Integration in Sinsheim

"Richtig üble Sachen hatten wir zum Glück noch nicht"

Drei Mitarbeiter der Stadt berichten von ihrer Arbeit mit Flüchtlingen und der Lage in der Stadt

31.08.2018 UPDATE: 01.09.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 13 Sekunden

Inge Baumgärtner (M.) und ihre Kollegen Bettina Richter-Kluge und Frederik Böna stecken viel Energie in ihre Arbeit. Foto: Friedemann Orths

Von Friedemann Orths

Sinsheim. Als während der Flüchtlingskrise 2015 "tageweise Busse" in Sinsheim eintrafen, hatte die Integrationsbeauftragte Inge Baumgärtner alle Hände voll zu tun. Damals arbeitete Frederik Böna noch nicht bei der Stadt, seine Stelle als Flüchtlingsbeauftragter gibt es erst seit Mitte 2016. Gemeinsam mit Bettina Richter-Kluge, Abteilungsleiterin im Amt für Bildung, Familie und Soziales, kümmern sie sich um das weite Feld der Integration zugewanderter Menschen in Sinsheim.

Doch was ist gelungene Integration? Inge Baumgärtner hält das für die schwierigste Frage: "Die billige Antwort ist: Wenn man die Sprache beherrscht und Arbeit hat." Dies sei zum Beispiel bei Geflüchteten relativ schnell der Fall. "Als integriert würden die sich aber nicht bezeichnen, da sie sich in vielen Dingen noch sehr unsicher fühlen", sagt Inge Baumgärtner.

Für sie sind die sozialen Kontakte ein wichtiger Faktor, wie Bezugspunkte und -personen, sodass sich Migranten akzeptiert fühlen und schließlich Verantwortung im Gemeinwesen übernehmen. Frederik Böna fügt hinzu: "Wichtig ist, dass sich jemand dort, wo er wohnt, wohlfühlt. Fühlt man sich unwohl, dann helfen auch Sprache und Arbeit nicht."

Das Ziel sei, dass "irgendwann nicht mehr von Integration gesprochen wird", denn dann sei sie gelungen, erklärt Bettina Richter-Kluge. Besonders wichtig sei hierbei, dass es Vertrauenspersonen gibt, "egal ob die Nachbarin oder der Mann auf dem Rathaus", erklärt Inge Baumgärtner.

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Um diese Voraussetzungen zu schaffen, sehen sich die drei als "Katalysatoren" und sorgen dafür, dass Zuwanderer und Einheimische ins Gespräch kommen und eine gemeinsame Aufgabe finden. "Die Akteure dabei sind die Menschen selbst", sagt Baumgärtner. Eine bedeutende Stütze sind die rund 100 Ehrenamtlichen, die zum Beispiel mit Flüchtlingen, von denen derzeit etwa 650 (davon rund 40 Minderjährige) in der Stadt leben, unter anderem Deutsch lernen.

Integration sei jedoch keine Einbahnstraße, wie Inge Baumgärtner betont: "Die Zielvorstellung ist, dass alle Beteiligten von Integration profitieren. Die Leute, die dazu kommen, wollen auch etwas geben." Hier sehen Baumgärtner und Böna Berührungspunkte, die sie aufgreifen können.

Beispiele sind Hausaufgabengruppen, die von zugewanderten Frauen geleitet werden, oder eine Studentin aus Zuzenhausen. "Sie betreut seit einem Jahr zwei Flüchtlinge, die eine Ausbildung machen, und bereitet einen jungen Mann auf eine Aufnahmeprüfung der Uni vor", berichtet Frederik Böna.

"Mittlerweile sind auch Freundschaften entstanden und die Leute treffen sich privat", weiß Inge Baumgärtner. Und so sollte Integration im Idealfall auch funktionieren. "Durch Kontakte entsteht die soziale Integration", sagt sie, was zugleich auch das Entstehen von Vorurteilen verhindere. Besonders wichtig sei hierbei das Vertrauen, ohne das man den Menschen nicht helfen könne.

Probleme wären dann auf die Stadt zugekommen, gäbe es eine zentrale Anschlussunterbringung. "Eine Horrorvorstellung", sagt Baumgärtner. "Von den Menschen, die dezentral in den Ortsteilen wohnen, haben mittlerweile viele Kontakt zur Nachbarschaft." Probleme mit Menschen, die nicht "können oder wollen", denen man "hinterherrennen" müsse, gebe es aber auch, sagt sie.

"Ab einem gewissen Zeitpunkt ist das aber die Entscheidung eines jeden Einzelnen - richtig üble Sachen hatten wir zum Glück noch nicht." Frederik Böna erklärt: "Das kann aber auch daran liegen, dass wir als Stadt nur für die Personen zuständig sind, die in Anschlussunterkünften untergebracht werden." Das funktioniere sehr gut.

In diese Unterkünfte kommen Menschen, deren Asylverfahren (positiv oder negativ) abgeschlossen sind. Im letzten Jahr waren das laut Böna 116, in diesem Jahr liegt die Zahl bei 97. "Dort stehen jeder Person zehn Quadratmeter Wohnraum zu, Einzelpersonen müssen sich zumeist ein Zweibettzimmer teilen", erläutert Baumgärtner. "Diese Form ist vergleichbar mit der Obdachlosenunterbringung", erklärt Böna.

"Die Bereitstellung des Wohnraums war und ist für die Kommune die größte Herausforderung. Ein Arbeitskreis wurde hier früh installiert, um die Kräfte zu bündeln und nach Lösungen zu suchen. Erfreulicherweise vermieten auch zahlreiche Privatpersonen Wohnraum, sonst wäre die Aufgabe nicht zu leisten," merkt Bettina Richter-Kluge an.

Das Thema Ausbildung und Arbeit sei in Sinsheim "extrem positiv", sagt Böna, und hat Zahlen, die das belegen: Im letzten Jahr haben über 30 Flüchtlinge eine Ausbildung begonnen, auf die alle, die damit zu tun haben, "sehr stolz" sind, sagt Inge Baumgärtner. Dieses Jahr "wird die Zahl nicht ganz erreicht werden", gibt Böna zu Protokoll. Er berichtet zudem von vielen Unternehmen, die ihn anrufen und nach Arbeitskräften fragen.

Die Zahl der Geflüchteten, die Arbeit gefunden haben, schätzt er zwischen 60 und 80. "Wer arbeiten kann und darf, der tut das auch", fasst Inge Baumgärtner zusammen. Dabei ergeben sich laut Böna weitere positive Effekte: "Da passiert es öfter, dass der Chef seinen Angestellten mit ins Stadion nimmt, ihn nach Hause einlädt oder bei der Wohnungssuche behilflich ist." Die Sinsheimer Betriebe seien jedoch verunsichert, da nicht abzusehen sei, ob ihre Azubis oder Angestellten abgeschoben werden.

Eine Zeit lang hatten Inge Baumgärtner und Böna auch das Gefühl, dass ihnen "Knüppel zwischen die Beine geworfen" würden. Dies habe sich nach Gesprächen mit den Behörden jedoch verbessert. Mittlerweile treffen noch drei bis vier Menschen pro Monat in der Unterkunft am Fohlenweidenweg ein, weshalb "wir wieder zum Kerngeschäft zurückkehren können und nicht mehr im Notfall-Modus arbeiten müssen", sagt Inge Baumgärtner.

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