Eppingen

Kehrtwende im Prozess um Übergriffe auf Seniorin

Prozess um Übergriff in einem Eppinger Seniorenheim findet ein überraschend schnelles Ende

21.02.2019 UPDATE: 22.02.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden

Vor dem Heilbronner Amtsgericht wurde gestern wegen eines sexuellen Übergriffs in einem Eppinger Seniorenheim verhandelt. Foto: Guzy

Von Armin Guzy

Eppingen/Heilbronn. "Ich würde das niemals machen", übersetzte die Dolmetscherin die Aussage des Mannes, dem am Donnerstag vor dem Amtsgicht Heilbronn ein sexueller Übergriff auf eine bewegungseingeschränkte damals 65-Jährige vorgeworfen wurde. "Ich glaube nicht, dass sie das erfunden hat", sagte hingegen die Betreuerin der Seniorin, die nach mehreren Schlaganfällen seit 20 Jahren in einem Eppinger Pflegeheim versorgt wird. Die Kluft zwischen diesen beiden Aussagen war gefüllt mit einem Konglomerat aus Gerüchten, Verständigungsschwierigkeiten, weiteren Übergriffvorwürfen, außer Landes weilender Zeugen, einer Liaison im Pflegeheim und den Angaben des Opfers, das laut ärztlichem Attest mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand besser nicht in den Zeugenstand gerufen werden sollte. Richter Michael Reißer hatte keinen leichten Fall vor sich. Das Ende kam dann plötzlich und überraschte auch die Kammer.

Angeklagt war ein heute 48-jähriger Afghane, der 2012 in Deutschland Asyl beantragt hatte, heute geduldet ist, eine Festanstellung bei einer Baufirma, drei Kinder und eine Frau hat. 2016 war er in dem Heim als Hilfskraft beschäftigt und kümmerte sich dabei auch um die Körperpflege der Bewohner. Bis ihn die Heimleitung anzeigte, weil er sich zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt um Weihnachten herum bei der Körperpflege auf die 65-Jährige gelegt und dann - vollständig bekleidet - mit dem Unterleib rhythmische Bewegungen wie beim Geschlechtsverkehr vollführt haben soll.

Der Hilfspfleger gab hingegen an, ausgerutscht zu sein, und bestritt den Tatvorwurf vehement. Das war auch der Grund, warum es überhaupt zur Hauptverhandlung kam: Das Amtsgericht hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft bereits eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und zur Bewährung ausgesetzt. Weil sich der 48-Jährige aber zu Unrecht beschuldigt sah, hatte er Einspruch eingelegt.

Auf welchem Weg die Heimleitung damals über den Vorfall informiert wurde, kam bei der Verhandlung am Donnerstag nicht zur Sprache. Jedenfalls war es zur Anzeige gekommen, und die Polizei hatte dabei auch die Seniorin befragt. Diese hatte angegeben, sie wisse nicht mehr, ob sie zum Tatzeitpunkt bekleidet war, und schätzte die Zeit, in der der Mann auf ihr gelegen habe, auf etwa eine Minute. Gewehrt habe sie sich nicht, was ihr aufgrund ihrer erheblichen Bewegungseinschränkung auch kaum möglich gewesen sein soll. Beim Waschen habe der Mann zwar ihre Scheide berührt, das sei aber ein normaler Vorgang.

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Zum Übergriff sei es erst später gekommen. All dies gab die 65-Jährige mithilfe einer ihr gut vertrauten Betreuerin zu Protokoll, die mit der undeutlichen Aussprache der Schlaganfallpatientin besser zurechtkam als die Polizei. Sie selbst sei damals von der Seniorin nicht über den Vorfall informiert worden. "Das hat mich schon gewundert", sagte die Betreuerin gestern.

Während der Verhandlung kamen weitere Übergriffe zur Sprache, die der 48-Jährige im Heim begangen haben soll. Eine Frau hatte bei den Ermittlungen angegeben, der Afghane habe sie im Fahrstuhl bedrängt, eine weitere hatte sich bei der Heimleitung gemeldet, weil er versucht habe, sie zu umarmen und zu küssen. Außerdem war von einem weiteren möglichen Übergriff auf eine Heimbewohnerin die Rede, die aber inzwischen gestorben sein soll. Dass es in der Gerüchteküche des Heims gebrodelt habe, wie Richter Reißer wissen wollte, verneinte die Betreuerin nicht.

Mit einer Beschäftigten des Heimes soll der 48-Jährige fast ein Jahr lang eine Art Beziehung gehabt haben. In Afghanistan sei es erlaubt, mehrere Frauen zu haben, sagte der Angeklagte - und auch, dass sie ihn habe heiraten wollen. Diese Frau war am Donnerstag ebenfalls geladen, musste aber wie vier weitere Personen nicht mehr in den Zeugenstand: In einer längeren Verhandlungspause hatte sich der Angeklagte offenbar nochmals beraten lassen. Danach lenkte er überraschend ein, zog seinen Einspruch zurück und akzeptierte die Bewährungsstrafe. Die Staatsanwältin erhob keine Einwände. Drei Stunden zuvor war Richter Reißer noch davon ausgegangen, dass ein Fortsetzungstermin nötig wird.

Weil der Fall durch die plötzliche Wendung lediglich anverhandelt wurde, musste das Gericht die wenigen bis dahin gehörten Zeugenaussagen nicht bewerten und gewichten und auch kein neues Urteil fällen. "Im Falle einer Verurteilung kann nach oben oder unten abgewichen werden", hatte Richter Reißer dem Angeklagten bereits zu Beginn der Verhandlung erklärt. Möglicherweise sah der 48-Jährige den Strafbefehl nun doch als geringeres, weil kalkulierbares Übel. Ein Schuldeingeständnis war von ihm vor Gericht nicht zu hören.

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