Wieslocher Historie

Vom Amtsgefängnis zur Jugendarrestanstalt

1905 wurde das Gebäude eingeweiht. Bis 2010 war es in Betrieb. Nach der Nutzung für "Kunst im Knast" wird es nun für Wohnzwecke umgebaut.

19.02.2023 UPDATE: 19.02.2023 06:00 Uhr 6 Minuten, 41 Sekunden
Ein Luftbild von 1969 zeigt die Situation in der Wieslocher Innenstadt – noch ohne Ärztehaus und ohne Kulturhaus. Zunächst befanden sich Gericht und Gefängnis auf dem Areal des heutigen Polizeireviers, 1905 wurde das Gefängnis in der Bergstraße eröffnet. Repro: Pfeifer/Stadtarchiv

Von Anton Ottmann

Wiesloch. Weder im Stadt- noch im Generallandesarchiv in Karlsruhe finden sich Hinweise, ab wann die kurpfälzische Stadt Wiesloch eine eigene Gerichtsbarkeit ausüben durfte. Bekannt ist nur, dass sich im Oberen Tor (Eingang Obere Hauptstraße) ein Gefängnis befand, das im Jahr 1842 abgerissen wurde. Danach kam es in das "Dörndl", dem heutigen Stadtmuseum. Dort war um 1557 schon einmal ein "Ortsgefängnis" untergebracht. Zudem ist der Pranger am Alten Rathaus, der aus dem 17. oder 18. Jahrhundert stammt, ein Beweis für eine hiesige Gerichtsbarkeit.

Wiesloch kam, wie große Teile der recht-rheinischen Kurpfalz, 1806 zum Großherzogtum Baden. Als einem der ersten in Deutschland, wurde hier im Jahr 1857 das Gerichtswesen reformiert. So wurden Richter weitgehend unabhängig von Verwaltung und Obrigkeit. Auf der unteren Ebene erhielten die Bezirksstädte eigene Amtsgerichte, darüber kamen die regionalen Hofgerichte und als letzte Instanz entstand das Oberhofgericht in Bruchsal.

Die Wieslocher Innenstadt im Jahr 1910. Repro: Pfeifer/Stadtarchiv

So wurde in Wiesloch ein zweigeschossiges Amtsgebäude mit Gericht und Gefängnis erstellt, dazu ein weiteres frei stehendes Gebäude mit Dienstwohnungen. Den Plänen des Generallandesarchives nach befindet sich in diesen beiden Häusern heute das Polizeirevier.

Wie in einem Artikel der "Wieslocher Zeitung" vom 23. Oktober 1892 nachzulesen ist, beabsichtigte man gegen Ende des Jahrhunderts, auf das vorhandene Gebäude einen dritten Stock zu setzen. Der Grund: Es fehlten Arrestzellen und ein Sitzungssaal für Schöffengerichte. Diese Pläne wurden aber wegen des instabilen Untergrundes verworfen und ein "Bauplatz für das zukünftige Amtsgerichtsgebäude und das Amtsgerichtsgefängnis" gekauft.

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1905 folgte die Einweihung des neuen, dreistöckigen Gefängnisbaus aus rotem Sandstein mit hoher Umfangmauer in der heutigen Bergstraße. Dort saßen Straftäter ein, die bis zu einem Monat Gefängnis verurteilt waren. Längere Haftstrafen wurden in Bruchsal, Heidelberg und Mannheim abgesessen. Über den Neubau des benachbarten Amtsgerichtes konnten keine Unterlagen gefunden werden, allein der Baustil im "Neo-Klassizismus" spricht dafür, dass es auch um 1900 erstellt wurde.

Erst ab 1930 sind das Leben und die Zustände im Wieslocher Amtsgefängnis dokumentiert. So erlaubte man ab 1936 das Halten von Schweinen. 1937 beschwerte sich zum einen der "aufsichtführende Richter" über "die misslichen Abortverhältnisse im Erdgeschoss" und forderte eine Wasserspülung.

Zum anderen beklagte der Gefängnisarzt, dass er für seine Tätigkeit keine Vergütung erhalte, weil er keine "Belegungsfähigkeit von über 30 Gefangenen" nachweisen könne. Als Gegenbeweis führte er an, dass es "während der Dauer der spontanen Reaktion des Volkes" (gemeint waren vermutlich Aktionen der SA) mit 35 oder 36 Personen belegt gewesen sei.

1938 findet sich in den Akten ein Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft zum Brotverzehr, darin steht unter anderem: "Wenn ein Gefangener sein Brot nicht essen kann, ist ihm das übrig gebliebene Brot vom Tag zuvor abzunehmen." Man erfährt auch, dass Kurzzeit- und Untersuchungsgefangene zum Entrippen von Tabakblättern eingesetzt wurden.

Die Folge des dort niedrigen Stundenlohns waren entsprechende viele Aufträge der örtlichen Zigarrenfabriken. Gefangene wurden so auch in der Küche, der Waschküche und im gefängniseigenen Garten beschäftigt, wofür wiederum auch teilweise Sträflinge aus Mannheim angefordert wurden.

Anfang 1938 war das Gefängnis nur mit neun Untersuchungs- und sieben Strafgefangenen belegt. Um der Nachfrage nach billigen Arbeitskräften durch die hiesige Landwirtschaft nachzukommen, forderte man, länger Inhaftierte wieder aus dem Mannheimer Gefängnis an, die bei der Hopfenernte in Sandhausen und Walldorf helfen mussten. Ende des Jahres saßen 23 Männern und zwei Frauen ein.

Mitte August 1940 stellte das Gefängnis der Stadt Wiesloch elf Zellen für die Unterbringung von 33 Kriegsgefangenen zur Verfügung, die in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Eine weitere Zelle war für die beiden Wächter vorgesehen. Schon eine Woche später wurde es um zehn weitere Kriegsgefangene und einen Wächter ergänzt.

Die Stadt zahlte für die Unterbringung pro Tag und Gefangenem 10 Reichspfennig und zusätzlich 15 Reichsmark pro Monat für das Benützen der Matratzen, Bettwäsche und "Gebrauchsgegenstände".

Am 4. Januar 1941 wurde das Amtsgefängnis dann zur Jugendarrestanstalt umgewidmet. Davor war gründlich renoviert worden und die Aborte bekamen die gewünschte Wasserspülung. Die Gitter an den Fenstern der Ostseite, den Arbeitsräumen und dem Krankenraum, wurden entfernt und die ganze Anstalt gründlich desinfiziert, da "sich bei der bisherigen Belegung der Anstalt mit Kriegsgefangenen wiederholt Ungeziefer zeigte".

Auch wurde im zweiten Stock extra ein Flügel für Mädchen eingerichtet, um die Trennung der Geschlechter zu gewährleisten. Nach 1949 wurde aus der Jugendarrestanstalt wieder ein normales Amtsgefängnis, dann ab 1962 erneut zur Jugendarrestanstalt, diesmal mit neuer Zielsetzung.

Die Situation 1972. Repro: Pfeifer/Stadtarchiv

Nach der Schließung im Jahr 2010 beabsichtigte das Sozialministerium, dort eine geschlossene Einrichtung zur Unterbringung und Therapie psychisch gestörter Gewalttäter einzurichten. Da dies auf heftigen Widerstand der Stadtverwaltung und der Bevölkerung stieß, den auch der damalige CDU-Landtagsabgeordnete Karl Klein unterstützte, ließ man die Pläne fallen.

Anschließend hatte der neu gegründete Verein "Kulturforum Südliche Bergstraße" die Idee, das Gebäude in ein Kulturzentrum zu verwandeln, um Kulturschaffenden aus Wiesloch und Umgebung Ateliers, Ausstellungs- und Vortragsräume zu bieten. Die Pläne scheiterten an der Finanzierung. Schließlich wurde das denkmalgeschützte Gebäude an einen Investor verkauft, der es zu Wohnungen umbaute.

Sozusagen als Abschiedsveranstaltung und unterstützt vom neuen Eigentümer organisierte der "Kunstkreis Südliche Bergstraße" im Mai 2014 die dreitägige Veranstaltung "Kunst im Knast". Sie wurde ergänzt durch ein Programm mit Musik, Tanz und Literatur. Der Publikumszuspruch war riesengroß, so wurde allgemein bedauert, dass eine Wiederholung an diesem Ort in Zukunft nicht mehr möglich ist.



Hinter den hohen Sandsteinmauern befand sich in direkter Nachbarschaft des Amtsgerichts die Jugendarrestanstalt. Foto: Pfeifer

Hier wurde der Arrest nicht einfach nach Gesetz vollzogen

Im Jahr 1952 wurden vor dem Jugendgericht Wiesloch die "Schrecken des Angelbachtals" für insgesamt 24 Diebstähle und Einbrüche verurteilt. Wie in einem Artikel der RNZ vom 12. März nachzulesen ist, betrugen die Haftstrafen für den 15-jährigen Wendelin und den 16-jährigen Horst jeweils acht Monate, "Mitläufer" Willi kam mit vier Wochen Jugendarrest davon.

Nach Wendelins Ausbruchsversuch aus dem Wieslocher Gefängnis überwies man ihn in das Landesgefängnis Mannheim. Horst überfiel einen Wärter und schlug ihn mit einem Holzknüppel zu Boden, er kam in die Heidelberger Haftanstalt. Der Dritte im Bunde war nicht mehr auffällig.

Das Beispiel zeigt, dass bereits in den 1950er-Jahren vor Jugendgerichten Recht gesprochen wurde. Dabei ging es aber allein darum, Straffällige "gerecht" zu bestrafen und die Gesellschaft vor ihnen zu schützen. Der Gefängnisaufenthalt unterschied sich dabei nicht wesentlich von dem für Erwachsene. So sahen junge Straftäter damals ihre Zukunft oft nur in einer kriminellen Karriere, da ihnen keine Alternativen geboten wurden und sie in den Gefängnissen entsprechende "Vorbilder" hatten.

Die Einsicht, jugendliche Täter anders als Erwachsene zu behandeln, hatte sich schon in der Zeit des Dritten Reiches durchgesetzt. Die Folge: Das Wieslocher Gefängnis wurde zwischen 1941 und 1949 erstmals als Jugendarrestanstalt betrieben. Neben der Renovierung der Räume und der Sanierung der sanitären Anlagen wurde eine Bibliothek mit 163 Büchern angeschafft, in der vorwiegend nationalsozialistisch orientiertere Literatur nicht fehlen durfte.

Als Erziehungsmittel galten militärische Ordnung und Strenge. Der Arbeitseinsatz war tägliche Pflicht: Für Jungen Holzhacken, Garten- und Hausarbeit, für Mädchen Waschen, Bügeln und Flicken. 1949 machte man sich dann Gedanken über "die geistige Betreuung der jugendlichen Arrestanten". Lehrkräfte auf freiwilliger Basis fand der Leiter der Anstalt aber keine, erfolgreich war er nur "bei den Geistlichen beider Konfessionen". In einem Schreiben an seine Vorgesetzten stellte er resigniert fest: "Erzieherische Gemeinschaftsveranstaltungen mussten aus Mangel an geeigneten Kräften unterbleiben."

In der neuen Jugendarrestanstalt fand ab 1962 ein Umdenken statt, vor allem strebte man eine Rehabilitation der Jugendlichen an. Nebenamtliche Lehrer unterrichteten in Geschichte, Deutsch und Erdkunde. Es wurden Gemeinschaftsveranstaltungen angeboten – mit "getrennter Sitzordnung von Jungen und Mädchen" und "verbalem Kontaktverbot". Auch das Rauchen war absolut tabu.

Pflicht blieben bis 1975 die "strengen Tage", wie schon in den 1940er-Jahren praktiziert. Dazu gehörte hartes Liegen auf Holzpritschen, die für diesen Zweck extra aus dem Gefängnis Bruchsal geholt worden waren. Vormittags gab es 200 Gramm Brot, mittags und abends 300 Gramm, jeweils ohne Aufstrich, einmal am Tag eine warme Suppe und Kaffee. Hatten die Gefangenen Dauerarrest, mussten sie dies jeden vierten Tag erdulden, bei Freizeitarrest über das Wochenende jeden Tag.

Bis 1977 wurden auch Lohnarbeiten für verschiedene Firmen ausgeführt, etwa Falten kleiner Schachteln für Kinderkaufläden, das Zusammensetzen und Sortieren von Wäscheklammern, das Sortieren von Kolbenringen und die Vermittlung von Gartenarbeit. In der Freizeit war nur strenger Hofgang und einmal in der Woche Fernsehen erlaubt.

Später wurden die Vorschriften gelockert und Sozialarbeiter eingestellt. Es gab Werk- und Sportunterricht. In der Freizeit wurde gebastelt, Tischtennis gespielt und gemeinsame Veranstaltungen angeboten. Ab den 1980er-Jahren wurde der Unterricht intensiviert, der Malteser Hilfsdienst und die Ortsgeistlichen mit ins Boot geholt.

So wurden die Jugendlichen in Einzel- und Gruppengesprächen persönlich beraten. Es folgten die Aufhebung der Briefzensur und des Rauchverbotes. Ganz neue Impulse kamen durch die Gründung des Vereins "Jugendhilfswerk Wiesloch". Er stellte einen eigenen Sozialarbeiter und einen Arbeitserzieher ein. Sie führten Einzelgespräche, gaben praktische Lebenshilfen.

Auch organisierten sie Gruppenveranstaltungen zu Themen wie Gewalt, Aids, Drogen, Alkohol und dem Umgang mit Geld. Zudem wurden Geräte zur Freizeitgestaltung angeschafft – vom Verein finanziert durch die Zuweisung von Bußgeldern.

In den 1990ern wurde vor allem auf die Schulung der Mitarbeiter großen Wert gelegt, darunter die Themen: "Rückfall und Bewährung", "Vermeidung von Aggressionen und Konflikten", "Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen" und "Persönlichkeitsstörungen bei Jugendlichen".

Nach dem Jahr 2000 gelang es auch immer mehr, Gruppen von außerhalb zur Mitarbeit in die Anstalt zu holen. So wurde mehrmals im Jahr ein Anti-Gewalt-Training angeboten, ein Facharzt beriet in psychosozialen Fragen und Studentinnen der Pädagogischen Hochschule hielten Kochkurse ab.

Es gab ein Projekt "Sport und Ernährung", die Drogenberatung kam ins Haus und Vorträge zu "Partnerschaft und Sexualität" von Pro Famila ergänzten das Programm. Besonders beliebt waren die Besuche einer Trainerin mit ihrem Hund, die demonstrierte, wie man Vertrauen fördert und Ängste abbaut.

Amtsgerichtsdirektor Andreas Schlett verabschiedete am 24. September 2010 die letzten drei Arrestanten aus der Einrichtung. Foto: Pfeifer

Mit der Schließung der Jugendarrestanstalt 2010 ging ein vorbildliches Engagement zu Ende. Das stellten alle mit Bedauern fest, die sich kurz zuvor noch zu einem geselligen Meinungsaustausch im Hof trafen. Dazu zählten Vollzugsbeamte und Arbeitstherapeuten, sowie Drogenberatung und die Polizei, der Verein Wieslocher Hausfrauen, die einmal im Monat mit den Jugendlichen einkauften und kochten, die Musikschule, die einen Trommelkurs anbot und ein ehemaliger Bankangestellter, der Einzelberatungen anbot. Übereinstimmend wurde festgestellt, dass sich die Jugendlichen hier bei Problemen Hilfe holen konnten und auch ganz konkret an die Hand genommen wurden.

"Die Anstalt wurde nicht wegen der hier arbeitenden Menschen, sondern wegen des Gebäudes geschlossen", erklärte Andreas Schlett, Amtsgerichtsdirektor und Leiter der Jugendarrestanstalt. Auch seien die sanitären Anlagen nicht mehr zeitgemäß. Gabriele Meister, die die Einrichtung von 1998 bis 2000 leitete, ergänzte, dass sie eine Arrestanstalt vorgefunden habe, in der der Arrest nicht einfach nach Gesetz vollzogen wurde, "sondern mit großer Ernsthaftigkeit und Engagement, mit menschlichem Anstand und praktischem Verstand".

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