An der Bergstraße und in der Pfalz ist die Weinlese in vollem Gange
Die Lese hat in diesem Jahr noch früher als 2024 beginnen. Die Trauben sind dabei außergewöhnlich gesund.

Symbolfoto: dpa
Von Carsten Blaue und Micha Hörnle
Schriesheim/Mainz. Mit dem Herbst hat die Weinlese eigentlich nicht mehr viel zu tun. Eher mit dem Spätsommer. Die Ernte beginnt immer früher. Also passt das "Herbsten" als Synonym gar nicht mehr so richtig. Dieses Jahr haben die Winzer an der Badischen Bergstraße und an der pfälzischen Weinstraße schon Anfang vergangener Woche begonnen, die Ernte einzufahren.
Und damit noch mal rund eine Woche früher als 2024. Was die Qualität angeht, sind sich die Erzeuger links und rechts des Rheins einig: Die Trauben sind in außergewöhnlich gutem Zustand und kerngesund. Bei den Mengen gehen die ersten Zwischenbilanzen aber auseinander.

Während der Schriesheimer Georg Bielig von einem "ausgeglichenen" Ertrag spricht, prognostiziert der Sprecher des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Pfalz, Andreas Köhr, einen mengenmäßig kleinen Jahrgang.
Wie es kürzlich bei der Genossenschaft "Weinbiet Manufaktur" in Neustadt an der Weinstraße hieß, die schon ein Viertel des Ertrags eingefahren hat, seien für die geringere Menge ausbleibende Niederschläge im Mai und Juni mitverantwortlich. Anders an der Bergstraße, wo sie sich darüber freuen, dass krasse Wetterkapriolen ausgeblieben sind.
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Der Schriesheimer Winzer Max Jäck sagt: "Die Trauben sehen sehr gut aus, durch die Kühle haben sie mehr Säure, was mir persönlich gut gefällt." Gleichzeitig sei die Zuckerreife aber hoch. Jäck findet das alles vielversprechend – "insofern man das schon sagen kann."
In diesem Jahr sei es wirklich recht unproblematisch gewesen, stimmt Bielig zu: "Wir hatten rechtzeitig Regen. Und die kühlen Nächte wie auch das wechselhafte Wetter schlagen sich positiv beim Aroma nieder." Es sei so, wie es sein soll. Da darf man fröhlich im Weinberg sein: "Wir haben so richtig Bock", sagt Bielig.
Generell war auch der Pilzdruck viel geringer als bei den Jahrgängen zuvor – vor allem als im letzten, als sich durch den vielen Regen der Falsche Mehltau ausbreitete.
Jäck überblickt die gesamte zurückliegende Dekade und erinnert sich: "Entweder war es viel zu heiß, zu trocken oder zu nass." Sorgen, die er sich dieses Jahr nicht machen muss. Und gesunde Trauben machen auch beim Ernten mehr Spaß: "Die Lesehelfer sind happy, weil kaum was zu selektieren ist", sagt Jäck. Daher sei er mit der Lese entweder früher fertig als geplant "oder wir schaffen mehr".

Auch er hat schon etwa ein Viertel geerntet, also einen Hektar von vier. Spätburgunder für Rosé und sogar schon für Rotwein hat er gelesen, dann Müller-Thurgau für alkoholfreien Traubensecco (den macht auch Bielig) sowie Chardonnay und auch Riesling, der ja eigentlich sonst viel später dran ist.
"Der steht bei uns noch an", sagt Köhr für die Pfalz. Hier habe die Hauptlese Anfang der Woche begonnen, und zwar nicht nur mit den frühreifen Sorten, wie Portugieser, Dornfelder oder Müller-Thurgau. Er habe Rückmeldungen, dass einige Winzer sogar schon die Burgundersorten geerntet hätten. Oder auch Chardonnay und Sauvignon Blanc.
Köhr sagt, in einer Weinlese gebe es die klassische Abfolge der früher oder später geernteten Rebsorten nicht mehr: "Wir sehen viele parallele Reifegrade." Das beschleunige auch die Lese im Ganzen.
Dazu Köhr: "Heute geht es nicht mehr über acht Wochen, sondern über drei oder vier." Vier werden es auch bei Jäck sein, wenn es so weitergeht: "Ich vermute, dass ich bis zum 20. September fertig bin." Das wäre zwei Tage vor dem kalendarischen Herbstbeginn.
Meteorologisch hat er ja bereits am vergangenen Montag angefangen. Bielig erinnert sich da noch an ganz andere Zeiten. Als er vor etwa drei Jahrzehnten in die Lehre ging, da war der Lesestart traditionell Ende September gesetzt.
Dass es dieses Jahr so früh losging, erklärt Jäck mit dem warmen Frühjahr, das die Trauben schneller wachsen ließ: "Schon Ende Mai war absehbar, dass es dieses Jahr eine frühe Ernte geben wird." Bielig hingegen ist selbst überrascht, wie schnell jetzt doch alles ging. Die Trauben wurden sehr schnell reif, auch "die Mostgewichte sind hervorragend". Also wozu länger warten?
So kam am Montagmorgen vergangener Woche der Vollernter. An Bieligs Aussiedlerhof holte dieser die pilzwiderstandsfähige Sorte Levitage ein, die der Winzer zu einem leichten Rosé ausbauen möchte – übrigens ein Anbauversuch der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg, die diese Sorte 1994 gezüchtet hat.
Im Moment erntet auch Bielig wie seine Kollegen in der Pfalz die ersten Grau- und Weißburgunder, nächste Woche aber erst die Rotweinsorten. Der Schriesheimer strebt beim Ausbau seiner Weine Alkoholgehalte von um die zwölf Prozent an. Das entspreche dem "Kundenwunsch".
Inzwischen kämpfen manche Betriebe um jeden einzelnen, und die Branche als Ganze kämpft um einen Weg aus der Krise. Wobei es immer noch auf den Einzelfall ankommt, wie Köhr im Gespräch deutlich macht: "Der Absatzrückgang zeichnet sich ab. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Vor allem verzichten immer mehr Menschen auf Alkohol, und die Negativberichterstattung über Alkoholkonsum bleibt in den Köpfen. Aber am Ende ist die Situation in den Betrieben unterschiedlich. Es kommt darauf an, wie sie aufgestellt sind, welche Betriebsform sie haben, wohin und wie sie ihren Wein verkaufen – also, ob sie exportieren, ab Hof verkaufen, im Supermarkt oder über die Gastronomie."
Erst vergangene Woche warnte der Verein Zukunftsinitiative Deutscher Weinbau, dass die aktuelle Lage "dramatisch" sei. Die Preise für Trauben- und Fassweine würden bei nur 40 bis 60 Cent pro Liter liegen – und damit weit unterhalb der Produktionskosten. Die Hälfte der Betriebe stehe vor dem Ende.
Köhr sagt, in der Pfalz weite man die Rebflächen nicht weiter aus und reagiere so auf den Negativtrend. Diesem müsse die Branche mit besserem Marketing begegnen: "Denn wir haben in Deutschland top Qualitäten." Es gelte, "Vermarktungspotenziale" zu nutzen. Sprich: den Konsumenten hierzulande vom eigenen Produkt zu überzeugen. Denn 59 Prozent aller in Deutschland getrunkenen Weine kommen aus dem Ausland.
Trinkt mehr deutschen Wein als Wein von anderswo, forderte vor Kurzem sinngemäß daher auch der baden-württembergische Umweltstaatssekretär Andre Baumann (Grüne) bei seinem Besuch auf dem Schriesheimer Madonnenberg. Der Konsument habe es in der Hand.
Jäck und Bielig sind bisher von der großen Krise verschont geblieben. Jäck setzt auf seine relativ hochpreisige Nische und verkauft seinen Wein ab Hof, in der Gastronomie und auch in Läden. Bielig berichtet hingegen, dass "die wirtschaftliche Situation immer schwieriger" werde. Sein Weingut könne kaum mehr aus eigener Kraft wachsen.
Wobei: Ein bisschen was geht immer, und so besorgte er sich neue Flächen, um Ersatz für die Lemberger-Stöcke zu finden, die nun am Ende ihrer Lebenszeit angekommen sind.
Mit dem kleinen Zuwachs will Bielig auch den Betrieb für die kommende Generation sichern. Tochter Hannah steht schon in den Startlöchern: Am 1. August begann sie mit ihrer Lehre beim Zwingenberger Weingut Simon-Bürkle an der Hessischen Bergstraße. Offenbar für sie die richtige Entscheidung: "Abends kommt sie immer mit einem Lächeln heim, das war zu Schulzeiten schon mal anders", berichtet der stolze Vater.