Weinheim: Junge Anwohner wehren sich gegen Bebauung des Bolzplatzes Klausingstraße
Sie fühlen sich ignoriert - "Zur Not ketten wir uns an"

Für die Jugendlichen ist er mehr als nur Asphalt und Metall: Zusammen mit erwachsenen Anwohnern setzen sich die jungen Menschen für einen vollständigen Erhalt des inzwischen traditionsreichen Platzes an der Klausingstraße ein, bisher aber ohne Erfolg. Foto: Kreutzer
Von Frederick Mersi
Weinheim. Trostlos sieht er aus, der Bolzplatz an der Klausingstraße: 29 Meter lang, etwa zehn Meter breit, das Spielfeld aus Asphalt, die Tore aus Metall. Ein hoher Zaun lässt den Platz wie einen Käfig aussehen, der alles andere als einladend oder schützenswert wirkt. Für etwas Farbe sorgen nur die Bäume in der Umgebung.
Doch für die Jugendlichen dort ist der "Bolzer", so wie er ist, genau richtig: Für einige ist es der Ort ihrer Kindheitserinnerungen, für andere ist es der einzige Treffpunkt mit Freunden ihres Alters. Mert Ünal, 19 Jahre alt, wird sentimental, wenn er über die 300 Quadratmeter rissigen Asphalts redet: "Ich habe hier so viel erlebt. Wer weiß, wie oft ich hier auch auf die Fresse geflogen bin." Der ebenfalls 19 Jahre alte Samir El Quitar sagt: "Ich will nicht wissen, was aus uns geworden wäre, wenn wir diesen Platz nicht gehabt hätten."
Nun soll der Bolzplatz einer Anschlussunterbringung von bis zu 60 Flüchtlingen weichen und um fünf Meter verkürzt auf das Gelände des nahe gelegenen Spielplatzes umziehen. Das löst bei vielen Anwohnern Unmut aus. Eine Initiative setzt sich mit den Jugendlichen für den Erhalt von Spiel- und Bolzplatz in ihrer jetzigen Form ein. Fest zum Bolzplatz gehört "Japong" oder auch "Chapong" - keiner hier weiß genau, wie es eigentlich geschrieben wird. Wie es gespielt wird, weiß aber jeder: Elemente des Metallzauns werden als Tore genutzt, jeder Mitspieler hat fünf "Leben" und verliert eins, wenn jemand in sein Tor schießt. Das Spiel wurde schon in den Siebzigern an der Klausingstraße erfunden und erfreut sich dort noch heute großer Beliebtheit.
Wenn der Platz tatsächlich abgerissen würde, werde er dagegen demonstrieren, sagt der 19 Jahre alte Enis: "Zur Not ketten wir uns halt ans Tor." Bislang brachte das Engagement der Jugendlichen keinen Erfolg: Die vom Gemeinderat eingesetzte Standortfindungskommission für Flüchtlingsunterkünfte wird sich wohl für die Option Klausingstraße aussprechen. Von den Mitgliedern des Gemeinderats fühlen sich Enis, Mert, Samir und ihre Freunde "ignoriert", "verarscht" und "wie Bürger zweiter Klasse" behandelt. Der Jugendgemeinderat (JGR) unterstütze das Anliegen der Jugendlichen, sagt die Vorsitzende, Frieda Fiedler: "Wir wollen auf jeden Fall, dass der Bolzplatz erhalten bleibt. Es ist wichtig, dass man einen Platz zum Austausch hat." Von den Jugendlichen habe man einen Brief erhalten, allerdings leider ohne Kontaktdaten, so Fiedler.
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Man bemühe sich seitdem um bessere Kommunikation. Falls das Thema noch einmal auf die Tagesordnung des Gemeinderats gesetzt werde, wolle sich der JGR für einen Erhalt des "Bolzers" aussprechen. Wenn dieser verlegt werden müsse, dann in seiner jetzigen Größe und abgetrennt vom Spielplatz, so die Position des Gremiums. Dass der Platz verkleinert auf den Spielplatz umziehen soll, verärgert neben den Jugendlichen auch die erwachsenen Nachbarn. "Es gibt für die Kinder hier sonst gar nichts", sagt Anwohnerin Alexandra Friedemann. "Vielleicht sollten wir hier einfach irgendwelche seltenen Kröten aussetzen", meint eine andere Nachbarin. "Wir haben dort nicht die Freiheit, die wir hier haben", ergänzt Samir El Quitar.
Die Freiheit, die er meint, besteht darin, einen abgegrenzten Raum nur für Jugendliche zu haben, selbst wenn dieser nur aus einigen Metallstangen und Asphalt besteht. "Ich kann hier chillen und meine Freunde treffen", sagt die 17 Jahre alte Tugba. Wenn hier Jugendliche rauchten, sei das kein Problem. In Sichtweite des Spielplatzes würden sich die Eltern beschweren. Dass es ihnen ausdrücklich nicht um Ablehnung gegenüber Flüchtlingen geht, betonen die Jugendlichen immer wieder.
Nur Tugba gibt zu, dass sie vor den neuen Nachbarn auch Angst habe. Der 16 Jahre alte Aytug, in einem der Wohnblöcke direkt gegenüber vom Bolzplatz aufgewachsen, sagt dagegen: "Der Platz ist meine Kindheit. Ich wusste zuerst auch gar nicht, dass hier ein Flüchtlingsheim gebaut werden soll." Er habe über Whats-app und auf Facebook nur erfahren, dass dort Häuser entstehen sollen. Die Initiative zum Erhalt des Platzes vermutet, die "Klientel- und Lobbypolitik der Stadt" sei der Grund für die Auswahl der Klausingstraße als Standort. In wohlhabenderen Stadtteilen habe man sich vor Ärger mit den Anwohnern gefürchtet, also gehe man den Weg des geringsten Widerstands. Dem widerspricht Roland Kern, Sprecher der Stadt Weinheim, entschieden: "Es gab eine öffentliche Diskussion, die Gelegenheit dazu wurde auch wahrgenommen." Die Standortfindungskommission habe "viel Mühe gehabt, die Interessen abzuwägen", denn optimale Standorte gebe es nicht. Der mögliche Widerstand seitens der Bürger habe keine Rolle gespielt, so Kern: "Das war bei keinem Standort ein Kriterium. Dann würden wir ja nur noch in der Peripherie bauen."
Am 13. Juli soll der Gemeinderat über die Planungsvergabe zum Standort Klausingstraße abstimmen. Eine Mehrheit für eine Beauftragung gilt mit der Empfehlung der Kommission als wahrscheinlich. Vielleicht werden die Jugendlichen Ende 2017 tatsächlich gegen anrückende Bagger demonstrieren.



