Keine Einigung zwischen Solvay und der SPD in Sicht
Bei der Verunreinigung des Trinkwassers mit Trifluoracetat beharren SPD und Solvay auf ihren Standpunkten - Ein Werksbesuch

Uwe Männele ist seit Juli 2016 Werksleiter von Solvay in Bad Wimpfen und stand zwei Monate später vor der wohl größten Herausforderung seines Berufslebens. Eine Stilllegung der Anlagen konnte das Unternehmen abwenden, jetzt wehrt man sich am Standort gegen den Vorwurf, Müll im Neckar zu entsorgen. Foto: Pilz
Von Maren Wagner
Edingen-Neckarhausen/Bad Wimpfen. Als Bürgermeister Simon Michler am 15. November dem Gemeinderat mitteilte, dass das Trinkwasser in Edingen-Neckarhausen von erhöhten Messwerten des Stoffs Trifluoracetat betroffen ist, war das nur eine kurze Information am Ende der Sitzung. Wenige Tage zuvor hatte die Bürgerinitiative "Bürgerbegehren Mittelgewann" ihre Unterschriftenliste abgegeben, das geplante Neubaugebiet überschattete die Gemeindepolitik. Das Mittelgewann ist vom Tisch, das Trifluoracetat hat sich zu einem Streit entwickelt, den sich der SPD-Ortsverein zu eigen gemacht hat.
Unzählige Schleifen zieht der Neckar die 80 Kilometer von Edingen-Neckarhausen nach Bad Wimpfen. In Sichtweite der berühmten Stiftskirche steht das Werk von Solvay. Am 21. Juli wird Jubiläum gefeiert, seit 200 Jahren sieden und verarbeiten sie hier Salze. 1921 ging Solvay den Weg in die Chemie.
Es sind Verbindungen der sogenannten CF3-Gruppe, die dem Werk Probleme bereiten, Stoffe wie Trifluoressigsäure, die in Düngemitteln oder Medikamenten genutzt werden, um deren Wirkung zu erhöhen. In vier Anlagen wurden die Produkte hergestellt, in der Abluftwaschanlage fiel als Abbauprodukt das Salz Trifluoracetat (TFA) an, das mit dem Abwasser in den Neckar eingeleitet wurde. Drei Anlagen sind noch in Betrieb.
Nachdem eine Forschungsgruppe Mitte September vergangenen Jahres auf erhöhte TFA-Werte im Neckar gestoßen war und sich herausstellte, dass das Trinkwasser von Edingen-Neckarhausen massiv damit belastet ist, wollte das Regierungspräsidium (RP) in Stuttgart die Produktionen verbieten, bei denen das Salz anfällt. "Da haben wir uns gewehrt", sagt Uwe Männele. Er ist seit Juli 2016 Werkleiter in Bad Wimpfen und wurde zwei Monate später auf die wohl größte Probe seiner Karriere gestellt: "Das sind für uns wichtige Produkte, von denen Arbeitsplätze und letztendlich der Standort abhängen."
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Männele und Solvay-Pressesprecher Dirk Schulte führen übers Gelände: einen Kilometer lang, knapp 400 Meter breit, 310 Mitarbeiter. Seit 1991 darf das Unternehmen TFA mit dem Abwasser in den Neckar leiten. Im Mai 2016 erst wurde die wasserrechtliche Genehmigung von den Behörden in Stuttgart erneuert. Sie gilt 40 Jahre. TFA jedoch, so sagt das RP, sei darin nicht erwähnt, vielmehr handele es sich ganz allgemein um prozessbedingt anfallendes Abwasser, das erst behandelt wird und dann in den Fluss gelangen darf. Dennoch leitet das Unternehmen das TFA nicht etwa illegal ein. Das wäre kein Kavaliersdelikt: Werkleiter Männele würde bei einer derartigen Umweltverschmutzung persönlich haften, er könnte ins Gefängnis kommen. Das Problem ist vielmehr politischer Natur: "Für Trifluoracetat enthält die Abwasserverordnung keinen gesetzlich festgelegten Grenzwert, sodass hierfür auch kein Überwachungswert festgelegt wurde", heißt es vom RP. Der Stoff konnte erst mit modernen Messtechniken im Wasser nachgewiesen werden, er gilt nicht als gesundheitsschädlich, die deutschen Behörden haben aber nur wenig Erfahrung damit.
Mit der Behörde haben sie bei Solvay einen öffentlich-rechtlichen Vertrag abgeschlossen, die TFA-Einleitung wurde auf ein Drittel reduziert, jetzt investiert Solvay noch einmal fast eine Million Euro, um zusätzliche Produktionsschritte einzubauen, damit das Salz wenn überhaupt nur noch in ganz geringen Mengen in den Neckar gelangt. "Wir werden unter den wirtschaftlichen Gegebenheiten alles tun, um die Fracht zu reduzieren", sagt Männele, "aber eine Null-Fracht werden wir nicht akzeptieren." Als das RP von einem Einleitungs-Stopp abrückte, griff die SPD in Edingen-Neckarhausen die Forderung auf. Denn weil der Wasserversorgungsverband "Neckargruppe" seine Brunnen wegen der TFA-Werte abschalten muss, zahlen die Bürger mehr für ihr Trinkwasser. Es muss bald aus Mannheim angeliefert werden.
Die Sozialdemokraten starteten eine Petition, sie schrieben einen offenen Brief an Solvay. "Sie wollen weiterhin ihr Abfallprodukt TFA im Neckar entsorgen", heißt es dort in einem Satz. Das habe sie hier tief getroffen, in Bad Wimpfen. Man habe eine Philosophie, den "Solvay way", sagt Pressesprecher Schulte. Eine Nachhaltigkeitsinitiative, die auf Kunden, Mitarbeiter, die Umwelt ausgerichtet ist. Es geht darum, wie an den Standorten mit Ressourcen umgegangen wird. "Das ist nicht bloß Rederei", sagt Schulte, "es ist ein Management-Tool, davon hängen unsere Gehälter ab." Dass die SPD ihnen vorhält, Müll in den Neckar zu kippen, sagt Schulte, "das ist Polemik".
Michael Bangert ist der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins. Er sitzt im Hof seines Hauses in Neckarhausen und nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas. "Als politische Partei wird man natürlich nicht bestreiten, dass man auf Wählerstimmenfang ist." Das Trinkwasser bietet sich dafür an, schließlich sind davon alle rund 14.000 Bürger betroffen. "Mir geht es aber nicht darum, Solvay oder die gesamte Chemie zuzumachen."
Bangert ärgert, dass das RP mit dem Unternehmen eine Vereinbarung getroffen hat, ohne dass die Gemeinde mitreden durfte. Ihn ärgert, dass die Wasserrechnungen steigen und der Wasserversorgungsband in Edingen-Neckarhausen um seine Zukunft bangt.
Dürfe Solvay weiterhin TFA im Abwasser in den Neckar einleiten, um Arbeitsplätze zu erhalten, dann sollten entweder das Unternehmen oder das RP für den Schaden in Edingen-Neckarhausen zahlen, sagt Bangert. "Dann sind unsere Bürger zufrieden, und dann halten wir die Klappe." Dass das RP oder Solvay damit einen Präzedenzfall schaffen würden, wisse er: "Und dass die das nicht wollen, ist mir auch klar."
Solange aber niemand für den Schaden in Edingen-Neckarhausen aufkomme, will die SPD weiterhin auch öffentlich Druck machen. Am kommenden Donnerstag fährt ein Teil des Vorstands die rund 80 Kilometer den Fluss entlang von Edingen-Neckarhausen nach Bad Wimpfen, um sich mit Vertretern von Solvay zu treffen. Der Streit am Neckar geht damit in eine weitere Runde.



