Neuer Bildband über das Leben in Odenwald und Bauland
Karl Wilhelm Beichert und Gerhard Layer legen Bildband über das Leben in Odenwald und Bauland vor - Viel harte Arbeit, wenig Idylle

Mosbach. Die Szene mutet archaisch an. Da zieht ein stattlicher Schäfer mit seiner Herde aus einem Dorf hinaus auf die Felder. Die Dächer der Fachwerkhäuser im Hintergrund und die Wiese neben dem Weg sind voller Schneematsch. Der "gute Hirte", er stammt aus Katzental und holt den Leser auf dem Titelblatt ab. Er läuft durch unwirtlichen Matsch, schmiegt sich in seinen weiten Mantel und führt den Leser zu einer ganz besonderen Zeitreise.
"Odenwald und Bauland in alten Ansichten", titeln Gerhard Layer und Dr. Karl Wilhelm Beichert eine Neuerscheinung in der Reihe "Archivbilder" des Erfurter Sutton Verlags. 160 Schwarz-Weiß-Fotografien haben die beiden Mitherausgeber des RNZ-Heimatkalenders "Unser Land" hier versammelt. Dass ihnen damit wirklich ein aussagekräftiges Panoptikum des Landlebens vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gelingt, zeigt nicht nur der Blick auf die fünf Kapitel. Schon die stolze Zahl von 43 Leihgebern belegt unschwer, dass die Autoren zahlreiche private, kommunale und betriebliche Sammlungen und Archive nach aussagekräftigen "Schätzen" durchforstet haben.
Die Fülle des Lebens, sie zeigt sich gleich am Anfang und am Ende des Bands. "1900" steht in etwas ungelenker Schönschrift auf der Trommel, um die sich die 14 Herren der Walldürner "Musikkapelle Stumpf" im Sonntagsstaat versammelt haben. Den Gegenpart zu den herausgeputzten Musikern vom Inneneinband bildet eine ganz schlichte Dorfszene. Ohne Personen. Auf drei Stühlen steht ein Sarg aufgebahrt. Im Schatten vor einem sonnenbeschienenen Haus. Von der Wiege bis zur Bahre reicht der Weg, zu dem der Hirte den Leser führt.
Das Kapitel über die "Landwirtschaft" ist - entsprechend der naturräumlichen Gegebenheiten - besonders opulent bestückt. Dass einst die ganze Familie mit anzupacken hatte und Zugtiere bis in die 1960er-Jahre im Einsatz waren, darauf verweist bereist der stets fundierte Begleittext. Bei jeder Aufnahme erfährt der Leser Wissenswertes zu den Hintergründen. Etwa, dass Mais als "Welschkorn" erst spät in die Region kam. Dass der Tabakanbau sogar im badischen Odenwald hochwertiges Ausgangsmaterial für Zigarren lieferte. Oder, welchen schweißtreibenden Weg der Grünkern vom Acker im Bauland bis in den Suppenteller zurücklegte.
Auch wenn die meisten Fotos gestellt sind. Die Abgelichteten also genau wussten, dass sie "geknipst" wurden. So wachsen die Motive vielfach über das rein Porträthafte hinaus - offenbaren hinter der Situation das Über-Individuelle. Wer es versteht, in den Gesichtern zu lesen, etwa in denen der Schafschererinnen in Katzental, dem zeigt sich, dass die Kehrseite zu manch scheinbarem "Idyll" harte Arbeit bedeutete. Wie früh die Kindheit endete, zeigt sich ebenfalls vielfach.
Als zweiten Komplex stellt der hervorragend gestaltete Bildband das Handwerk dar. Bäcker, Hafner, Schmiede und Korbflechter betrieben häufig nebenher noch eine Landwirtschaft, um leben zu können. Auch den Ansätzen der Industrialisierung spürt das Buch nach. Hier dominierten "Steine und Erden". Zu sehen im Basaltwerk am Katzenbuckel, bei den Gipswerken Obrigheim, Neckarzimmern oder in den Ziegelwerken Höpfingen und Aglasterhausen. Der Blick in einen gut ausgeleuchteten Stollen fasziniert ebenso wie jener in die Regale der Firma Nimis & Schneider, die in Walldürn Gips-Heiligenfiguren herstellte.
Auf Schusters Rappen, aber auch auf Fährbooten und Neckarschleppern führt die Reise durch die Region. Der Aufbruchgeist der frühen Eisenbahnzeit wird spürbar. Von der Postkutsche über den "Schneewittchensarg" bis zum "Käfer" reicht die Motor-Evolution. Viel zu schnell ist man beim letzten Kapitel angelangt. Hier geht es um kirchliche Feste und besondere Ereignisse. Vom Schloßauer "Christkindlesspiel" bis zum "Ersatzkarussell" ist es nur ein Seitensprung. Erwin Englert holte bei der Schwarzacher Kerwe 1955 spontan seinen "Käfer" und unterhielt die Kinder mit einer Spritztour auf dem offenen Anhänger. Ein Gegenstück zur Kapelle von 1900 bildet die 1947 gegründete flotte Tanzkapelle "Ramona" aus Sindolsheim. Einziger Wermutstropfen: Die Tour des Schäfers endet nach 120 Seiten. Doch auch beim nächsten Blättern wird der Betrachter viel Neues entdecken.
Info:
Dr. Karl Wilhelm Beichert, Gerhard Layer: Odenwald und Bauland in alten Ansichten, Sutton Verlag, 122 S., 160 Abb., gebunden, 19,99 Euro.