Buchen

"Den Landwirten wird der Boden entzogen"

Kreisbauernverband und betroffene Landwirte warnen in einem offenen Brief zur Bebauung der "Marienhöhe" vor möglichen Folgen

13.01.2020 UPDATE: 14.01.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 13 Sekunden
Blick von der „Marienhöhe“ in Richtung Buchen: Ende des Jahres soll die Erschließung des neuen Baugebiets beginnen. Foto: Rüdiger Busch

Buchen. (RNZ) Harsche Kritik üben der Bauernverband des Neckar-Odenwald-Kreises und drei der betroffenen Landwirte an der Ausweisung der "Marienhöhe" als Baugebiet: Buchens bester Ackerboden gehe dadurch unwiederbringlich verloren, heißt es in dem offenen Brief, den wir nachfolgend veröffentlichen.

"Nachdem die Ausweisung neuer Bauflächen fast aller Kommunen rasant an Fahrt aufnimmt, waren in Buchen auch kritische Stimmen zu hören, unter anderem auch von zwei der unterzeichnenden Landwirte, da mit den 35 Hektar der ,Marienhöhe’ gerade Buchens bester Ackerboden unwiederbringlich verloren geht. Von Bürgermeister Burger war daraufhin zu hören, dass er den ,Befürchtungen, dass Buchen zugebaut wird, entgegentreten’ kann. Schließlich wären von der Gesamtfläche der Stadt 43 Prozent Wald, 44 Prozent Landwirtschaft und nur 3,3 Prozent als Wohnbaufläche ausgewiesen.

Buchen sei also nach wie vor von seiner Landschaft und der Land- und Forstwirtschaft geprägt. Bewegt sich diese Argumentation eigentlich noch auf dem Boden der Tatsachen? Der Prozentsatz mit 3,3 Prozent für Wohnfläche mag an sich richtig sein, trifft die Wirklichkeit aber nicht. Entscheidend ist der Prozentsatz der insgesamt versiegelten Fläche, und der liegt nicht bei 3,3, sondern bei 11,3 Prozent.

Prozentzahlen sind immer relativ. Aussagekräftiger sind die absoluten Zahlen, die der letzten 40 Jahre. So wurde die Siedlungsfläche unter den drei Bürgermeistern Frank, Brötel und Burger um ein Viertel erhöht, also stolze 400 Hektar versiegelt. Diese beispiellose Entwicklung Buchens war aber der enormen Bevölkerungszunahme durch geburtenstarke Jahrgänge und dem Zuzug aus dem Osten geschuldet, und einhergehend mit der wirtschaftlichen Entwicklung als Mittelzentrum auch notwendig.

Aber gibt es ein ,Weiter so‘? Der demografische Wandel zeigt schon seit Jahren in eine andere Richtung: 210 Todesfälle, aber nur noch 160 Geburten. Was machen die nächsten drei Bürgermeister? In deren Amtszeit werden die Babyboomer der 60er Jahre die Sterberate weiter nach oben verschieben. Mit jedem Hektar neu versiegelter Fläche verstärkt sich die schon seit Jahren zu beobachtende ,Auswanderungswelle‘ aus den innerörtlichen Quartieren hinaus auf die grüne Wiese. Die Ortslagen verlieren zunehmend an Identität und damit Attraktivität. Kann die damit einhergehende soziale und räumliche Spaltung der Gesellschaft wirklich gewollt sein?

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Die Probleme sind längst bekannt, aber trotzdem wird weiter Baugelände auf bestem Boden ausgewiesen, obwohl geschätzt 500 voll erschlossene Bauplätze brachliegen. Wer regelt hier Angebot und Nachfrage? Wie kann es dann sein, dass eine Gemeinde ein Baugebiet mit 35 Hektar erschließt, obwohl nur 70 Prozent der Fläche in ihrem Besitz sind? Bedeutet das im Umkehrschluss, dass von 300 Bauplätzen wiederum 100 umgelegt werden und ohne Baupflicht an die Besitzer zurückgehen?

Wird hier nicht zu Lasten des Allgemeinwohls, des Bodens und der Umwelt und zu Gunsten einiger Weniger, ob gewollt oder ungewollt in dieser Rolle, das Angebot letztlich nicht so signifikant erhöht wie es scheint? Klar, jeder Bodeneigentümer muss sich hier zuerst an die eigene Nase fassen, aber was hier fehlt sind die Leitplanken! Warum werden ungenutzte, aber erschlossene Flächen oder leerstehende Immobilien nicht längst durch entsprechende Abgaben sanktioniert, und die Mittel für die Subventionierung der innerörtlichen Potenziale genutzt? Neubaugebiete lassen die Stadt jung und sexy erscheinen!

Buchen hat noch genug schöne Landschaft, könnte man meinen! Dass sich dies – nicht nur durch die Erschließungswut, sondern auch durch den Klimawandel – relativ schnell ändern wird, konnte auch der Buchener im letzten Jahr beobachten, wenn er im Hasenwald unterwegs war. Ein heißer Sommer wie 2018 – in 20 bis 30 Jahren übrigens ein normaler Sommer – reicht aus, um ausgerechnet die Buche zu schädigen. Wenn dann auch Tiefwurzler wie die Kiefer absterben, deutet es darauf hin, dass sich auch das symbiotische Bodenleben schon verabschiedet. Im Ackerboden geschieht das Gleiche, nur nicht so offensichtlich, da der Bewuchs jährlich wechselt. Es ist abzusehen, dass sich zuerst die flachgründigen Muschelkalkböden aus einer vernünftigen Produktion verabschieden werden. Durch die geringe Wasserhaltefähigkeit des Untergrunds kommt es nach relativ kurzer Trockenperiode zum Verlust der zur Kühlung fähigen Pflanzendecke. Was folgt, ist eine enorme Aufheizung der Flächen. Da trockengeschrumpfte Tonböden die Starkniederschläge nicht aufnehmen sinkt der Grundwasserpegel, abgestorbenes Bodenleben wird in viel zu warmen Wintern zu Nitrat abgebaut, das wiederum das Bodenleben vergiftet. Selbst bei ökologischem Landbau laufen diese Prozesse bereits ab und die Bauern müssen mehr oder weniger zusehen.

Umso schmerzlicher ist es für die Landwirtschaft, wenn genau jetzt gerade die besten, weil tiefgründigeren Böden für immer vernichtet werden.

Der Boden ist der wichtigste Produktionsfaktor des Landwirts. Wird der Landwirtschaft laufend Boden entzogen, verteuert sich dieser Faktor immer weiter, ohne dass die verbleibenden Betriebe dies etwa durch höhere Erlöse ihrer Produkte kompensieren können.

Was bleibt, ist die Erhöhung der Erträge: zehn Tonnen Weizen alle drei Jahre, sechs Tonnen Raps und dazwischen vielleicht noch neun Tonnen Gerste oder Mais müssen dann schon sein. Ein Kilogramm Weizen pro Quadratmeter, wo soll da noch Platz sein für Artenschutz, Grundwasser-, Boden- und Klimaschutz? Die Landwirte hierzulande werden dafür zunehmend an den Pranger gestellt, sind aber das schwächste, weil erste Glied einer gigantischen Wertschöpfungskette der Lebensmittelindustrie.

Gleichzeitig degradiert der landwirtschaftliche Boden zum reinen Ressourcenlager für Baugebiete, das ungehemmt ausgebeutet wird. Mehr als zweimal die ,Marienhöhe‘ pro Tag in Deutschland sind zu viel!

Stellt sich für uns Landwirte noch die Frage, für was es eigentlich ein Bodenschutzgesetz gibt. Nach §2 ist vor einer Baumaßnahme zu prüfen, ob Bedarf besteht, ob Baulücken vorhanden sind, ob stattdessen bereits versiegelte Flächen genutzt und – jetzt kommt’s – ob zuerst minderwertigere Flächen genutzt werden können. Die Versiegelung der ,Marienhöhe‘ nach diesen Kriterien abgeprüft wäre schlicht nicht genehmigungsfähig! Natürlich ist die Bauleitplanung einer Kommune von dieser Prüfung ausgenommen, das Bodenschutzgesetz also letztlich nicht das Papier wert!

Bleibt nur noch unser Appell an die Kommune und ihre Vertreter: Wir selbst sind keine Umweltfanatiker oder Klimahysteriker oder Vorbilder in irgendeiner Hinsicht, aber wir spüren, dass es ungemütlich werden wird. Die Veränderungen, die da kommen, werden aufgrund der geologischen und hydrologischen Gegebenheiten des Stadtgebiets eher noch schlimmer als befürchtet. Machen sie die Stadt und ihr Umland fit für die Veränderungen, die kommen werden, z. B. durch die Entwicklung einer innovativen Wasserwirtschaft, die das Wasser nutzbar in der Fläche zurückhält und die Wetterextreme der Zukunft abfedern kann. Lenken Sie die Baunachfrage nach innen und in die Höhe, statt nach außen und in die Breite. Nutzen Sie, wenn unumgänglich, erst die flachgründigen Flächen. Verstecken Sie sich nicht hinter überholten Flächennutzungsplänen aus dem letzten Jahrtausend. Stehen sie zu Ihrer Verantwortung für das Allgemeinwohl der zukünftigen Generationen, anstatt die Veränderungen kleinzureden und damit weiter anzufeuern. Und fangen Sie damit an, wenn Sie diese Zeitung aus der Hand legen."

Für den Bauernverband Neckar-Odenwald-Kreis Geschäftsführer Andreas Sigmund und die Landwirte Gerit Scheuermann, Herbert Kieser und Michael Schüßler.

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