BASF-Unglück in Ludwigshafen: "Wo andere rausgehen, gehen wir rein"
Die scheidenden Leiter der Ludwigshafener Feuerwehr und der BASF-Werkfeuerwehr, Peter Friedrich und Rolf Haselhorst, im Interview

Von Alexander Albrecht
Ludwigshafen. Sie haben fast zeitgleich ihre Führungsjobs übernommen und knapp 15 Jahre lang eng zusammengearbeitet. Jetzt endet die gemeinsame Zeit: Am 24. Februar geht Peter Friedrich, Chef der Ludwigshafener Berufsfeuerwehr, in den Ruhestand. Rolf Haselhorst, der Leiter der BASF-Werkfeuerwehr, wechselt zum 1. April firmenintern auf eine Spitzenposition, die nichts mehr mit seiner bisherigen Tätigkeit zu tun hat.
Für die RNZ haben sich die beiden noch einmal an einen Tisch gesetzt. Friedrich und Haselhorst sprechen über das BASF-Unglück im Herbst letzten Jahres und die Folgen, die Ludwigshafener Brandkatastrophe 2008, ihr Berufsverständnis und die Diskussion um die Integrierte Rettungsleitstelle auf der anderen Seite des Rheins.
Herr Friedrich, Herr Haselhorst, Sie haben schwierige und traurige Monate hinter sich. Trotzdem haben Sie in der ganzen Zeit immer Souveränität und Ruhe ausgestrahlt. Entspricht das einfach Ihrem Naturell oder ist das die typische Eigenschaft eines Feuerwehrmanns?
Friedrich: Ruhe und Souveränität sollte man als Feuerwehrmann immer bewahren - gerade wenn man an der Spitze steht. Wenn Sie in eine schwierige Situation Hektik reinbringen, dann wird es ganz schlimm. Sie haben bei allen Feuerwehreinsätzen eine Chaosphase. Um die möglichst kurz zu halten, müssen Sie schon zugucken, dass Sie den Überblick behalten, denn alles schaut ja auf Sie.
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Haselhorst: Wir haben ja beide eine ähnliche Ausbildung zum Leiter einer Feuerwehr gemacht. Die enthält auch ein Training, wie man mit solchen Situationen umgeht. Man legt sich sein Handwerkszeug zurecht, mit dem man sich immer wieder nach dem gleichen Schema in eine Entscheidungsposition bringt, die einen ruhig und überlegt handeln lässt.
Hintergrund
Rolf Haselhorst
Der 59-Jährige (Foto: Kunz) stammt aus dem Ruhrpott und wurde in eine Bergbau-Familie hineingeboren. Bergbau hat er auch studiert. Da er Mitglied einer Grubenwehr war und weil er in einen prosperierenden Industriezweig wechseln wollte, stieg Haselhorst
Rolf Haselhorst
Der 59-Jährige (Foto: Kunz) stammt aus dem Ruhrpott und wurde in eine Bergbau-Familie hineingeboren. Bergbau hat er auch studiert. Da er Mitglied einer Grubenwehr war und weil er in einen prosperierenden Industriezweig wechseln wollte, stieg Haselhorst 1988 bei der BASF ein und machte eine Ausbildung zum Leiter einer Werkfeuerwehr. Seit 2001 führt er nicht nur jene in Ludwigshafen, sondern kümmert sich um insgesamt 60 hauptberufliche Wehren des Chemieriesen an 380 Standorten. Ab 1. April steigt Haselhorst auf und leitet das Europäische Standortmanagement der BASF.
Peter Friedrich
Der Branddirektor (Foto: vaf) wurde in Neustadt-Hambach geboren, wo er heute noch wohnt und im Alter von 15 Jahren in die Freiwillige Feuerwehr eintrat. Seit 2002 ist Friedrich Chef der Ludwigshafener Feuerwehr mit insgesamt 185 Einsatzkräften und 13 Verwaltungsmitarbeitern. Nach einer Ausbildung beim Fernmeldeamt in Neustadt studierte er Elektrotechnik in Bingen und arbeitete bei den Berufsfeuerwehren in Stuttgart und München. 1989 kam er nach Ludwigshafen. Seine Hobbys sind Motorradfahren und ein Dalmatiner. Zudem ist er Vorsitzender des TV Hambach. alb
Wie sah es intern aus?
Haselhorst: Es gehört schon eine gewisse Art von Charakterstärke dazu, sich vor die Mannschaft zu stellen und sie - wie bei dem schweren Unglück - wieder aufzurichten. Und ihr unmittelbar nach dem Einsatz oder ein paar Tage später erklären zu müssen, dass Kollegen gestorben sind. Das verlangt hohe kommunikative Eigenschaften und viel Sensibilität. Soziale Kompetenz spielt heute eine wesentlichere Rolle als früher. Ansonsten können Sie ein so großes Team gar nicht führen.
Friedrich: Man muss lernen, damit umzugehen. Unsere sozialen Strukturen bei der Feuerwehr sind anders als in irgendeinem Büro. Wir sind 24 Stunden zusammen, da kennt jeder jeden, die Stärken und die Schwächen. Als Chef müssen sie schauen, dass die Wölfe in die richtige Richtung heulen. Es darf nichts aus dem Ruder laufen, man muss die Mannschaft zusammenhalten, deshalb achten wir bei uns auf ein mehr oder weniger familiäres Umfeld.
Herr Haselhorst, Sie haben drei Ihrer Leute verloren. Kann Ihre Truppe heute wieder "normal" arbeiten, geht das überhaupt?
Haselhorst: Wir werden heute noch mit den Folgen konfrontiert. Nach der Erstphase, die schwer genug ist, kommt jetzt die Phase des "normalen" Dienstbetriebs. Weihnachten ist vorbei, das neue Jahr ist da: Es wird noch auffälliger, wer da wie auch sozial fehlt. Da wird noch heftig dran gearbeitet. Es gibt noch Kollegen, die völlig berechtigterweise psychosoziale Unterstützung in Anspruch nehmen. Wir bestärken sie darin. Das ist keine Sache, die man mit einer Kurzzeitmaßnahme in den Griff bekommt, sondern ein langer Weg.
Ein Werkfeuerwehrmann lag zuletzt noch im Krankenhaus. Wie geht es ihm und wie den Angehörigen der Opfer?
Haselhorst: Die Kontakte, die wir zu dem Kollegen haben, beschränken sich auf die Auskunft der Ärzte. Die sprechen von einem stabilen Zustand. Um die Angehörigen der Verletzten und Verstorbenen kümmern wir uns sehr intensiv. Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut. Wir haben wöchentlich oder monatlich Kontakt zu ihnen. Da gibt es viel zu tun.
Wie bewerten Sie das Unglück mit zeitlichem Abstand?
Friedrich: Das ist ganz, ganz schwierig. Es verpufft alles, wenn sie solch einen menschlichen Schaden und solche Tragödien hinten dran haben. Der Einsatz war völlig okay. Aber diese Verluste - das ist eine ganz andere Dimension.
Haselhorst: Die einsatztaktischen und -technischen Maßnahmen sind sehr gut gelaufen, auch die Zusammenarbeit zwischen den Feuerwehren über den Unglückstag hinaus. Ich kann meiner Mannschaft und der von Peter Friedrich nur ein großes Lob aussprechen.
Gibt es etwas, das sie gelernt haben? Sind Fehler gemacht worden?
Haselhorst: Man hinterfragt sich natürlich immer. Aber all das, was wir an Feedback bekommen haben, war positiv.
Herr Friedrich, die Werkfeuerwehr war die empfohlenen 50 Meter vom Brandort weg, als es zur Katastrophe kam. Reicht das?
Friedrich: Darüber haben wir bereits diskutiert. Das hätten andere Feuerwehren in Deutschland auch so gemacht. Vielleicht reichen die Abstände nicht aus und müssen größer werden. Zunächst jedoch sollten wir die genaue Ursache des Unglücks kennen. Wir müssen überlegen, ob wir etwas technisch verbessern können, da sind unsere Leute dran. Dieser Prozess wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Ein Restrisiko bleibt immer.
Friedrich: Ja, das bringt der Beruf mit. Wo andere rausgehen, gehen wir rein.
Es gibt in Ludwigshafen täglich 16.000 Gefahrguttransporte, wir hatten 2013 den Brand auf der Parkinsel, 2014 die Gasexplosion mit zwei Toten und im vergangenen Oktober das Unglück im Landeshafen. Finden Sie angesichts des gefährlichen Standorts noch genügend qualifizierte Leute?
Friedrich: Ja. Wir versuchen natürlich, die Leute entsprechend zu schulen. Die Ausbildungen werden spezieller. Es gab früher in den Feuerwehrwachen Werkstätten, Schneidereien, Schuhmachereien und Schreinereien - das ist inzwischen alles weg. Die Kollegen machen wirklich nur noch Feuerwehr.
Trotzdem: Ludwigshafen ist nicht Heidelberg oder Mainz.
Friedrich: Das ist eine andere Liga. So kompakt, wie wir es hier haben mit 212 Anlagen in 17 Störfallbetrieben - das finden sie nirgendwo sonst.
Ist der Standort Ludwigshafen mit einer Größe von zehn Quadratkilometern und knapp 40.000 Mitarbeitern angesichts der Gefahrenlage vielleicht zu kompakt?
Friedrich: Das Ganze ist so gewachsen, das lässt sich nicht kurzfristig ändern. Wenn Sie das tun wollten, ist das ein Projekt für zig Jahre Stadtplanung. Abgesehen davon tut auch die BASF viel für die Sicherheit und hat sehr gute Störfallplanungen entwickelt. Es darf definitiv nichts passieren. Wenn Sie einen Kilometer Abstand zum Hauptwerk hätten, fährt ihnen der Gefahrgutzug immer noch durch die Stadt, und das Schiff haben wir nach wie vor auf dem Rhein.
Haselhorst: Ich glaube sogar, dass dieser Standort in seiner Größe und der Partnerschaft, die wir hier bei den Feuerwehren haben, ein positives Merkmal der Chemie ist. Das ist besser, als wenn Sie das dezidiert in kleinen Standorten mit einer nicht so hohen Schlagkraft einer Feuerwehr organisieren. Wir ziehen aus dem Konglomerat von Anlagen viele gute Erkenntnisse, die sich aus der Verbund- und der Sicherheitsstruktur ergeben.
Könnten Sie es dennoch verstehen, wenn ein Feuerwehrmann sagt: Der Job in Ludwigshafen ist mir zu gefährlich.
Haselhorst: Es gehört zu unserem Job, das Risiko zu akzeptieren. Wenn man alles mal darlegt und offen darüber redet, was hier von der Stadt, der BASF und den anderen Betreibern getan wird, dann kann man auch denjenigen davon überzeugen, der grundsätzlich Angst hat. Respekt ist dagegen gut und kann einen in schwierigen Situationen sogar antreiben.
Herr Friedrich, in Ihre Amtszeit fällt eine weitere furchtbare Tragödie: der Wohnhausbrand von 2008. Neun türkischstämmige Menschen kamen ums Leben, vier Frauen und fünf Kinder. Es gab damals Vorwürfe, die Feuerwehr habe zu spät oder nur halbherzig eingegriffen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Friedrich: Es war eine schlimme Zeit. Ich habe drei Tage gebraucht, bis mir bewusst wurde: Wir haben nichts falsch gemacht - konnten aber erst dann helfen, als man uns gerufen hat. Es waren viele Leute im Haus und vor Ort, doch zunächst setzte keiner einen Notruf ab. Als er kam, waren wir zwei Minuten später da. Es war ja der Tag des großen Faschingsumzugs, wir standen nur ein paar Hundert Meter weg. Ein riesiges Problem war, dass wir aufgrund der staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht alle Fakten auf den Tisch legen konnten: dass zum Beispiel jemand schon Löschversuche unternommen hatte - in einem Haus, in dem sich mehr als 70 Personen befanden. Der Knackpunkt war: Keiner rief die Feuerwehr in einem relativ langen Zeitraum. Wir haben den Brand ruck, zuck in den Griff bekommen.
Die Kritik hielt aber zunächst an. Sie mussten ein Fernsehinterview weinend abbrechen.
Friedrich: In der Nacht zuvor wurde ein Feuerwehrmann zusammengeschlagen, der auf der Fastnacht war. Das habe ich erst kurz vorher erfahren. Danach habe ich mich eine Zeitlang zurückgezogen, um mit mir ins Reine zu kommen.
Spüren Sie manchmal noch Misstrauen der türkischen Bevölkerung gegenüber der Feuerwehr?
Friedrich: Das kann ich nicht sagen. Wir haben sehr gute Kontakte zueinander und auch zur Feuerwehr in Istanbul.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch auf die rechte Rheinseite blicken. Die Integrierte Rettungsleitstelle soll laut einem Gutachten von Ladenburg nach Heidelberg umziehen. Die Stadt Mannheim will das nicht akzeptieren. Wie sehen Sie das?
Friedrich: Für mich ist dieses Gutachten ein Unding. In Mannheim spielt die Musik. Und wenn hier irgendwas los ist, müssen wir sofort mit Mannheim kommunizieren. Wir tauschen dann auch Verbindungsleute aus, da muss es sehr schnell gehen. Ich zweifle daran, ob man das in Heidelberg leisten kann. Wenn man sich die Einsatzzahlen und die Schwerpunkte der Einsätze anschaut, dann kann die Wahl nur auf Mannheim fallen.
Haselhorst: Das ist eine berechtigte Sichtweise, ich sehe das genauso.