Normannia-Affäre

Prozess um antisemitischen Übergriff startete mit Schweigen der Zeugen

Nach mehr als zwei Jahren startete der Prozess um den antisemitischen Übergriff bei der Burschenschaft Normannia. Es gibt vier Beschuldigte.

04.11.2022 UPDATE: 04.11.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 11 Sekunden
Was genau geschah in der Nacht zum 29. August 2020 im Haus der Burschenschaft Normannia am Kurzen Buckel unterhalb des Schlosses? Das soll ein Prozess jetzt klären. Einfach wird das nicht. Die Beschuldigten schweigen, Zeugen wollen sich nicht erinnern. Foto: Philipp Rothe

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Dieser Vorfall hatte vor über zwei Jahren bundesweit für Aufsehen gesorgt. In der Nacht zum 29. August 2020 soll es beim Stiftungsfest im Haus der Burschenschaft Normannia am Kurzen Buckel zu einem antisemitischen Übergriff gekommen sein. Am Mittwoch startete am Amtsgericht Heidelberg der Prozess gegen fünf junge Männer, die an der Tat beteiligt gewesen sein sollen. Der Vorwurf: gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit tätlicher Beleidigung.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die Männer, einen Gast der Feier aufgrund seiner jüdischstämmigen Großmutter mit Gürteln geschlagen, antisemitisch beschimpft und Münzen nach ihm geworfen zu haben. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft gegen zehn Personen aus unterschiedlichen Burschenschaften ermittelt, im Mai 2021 dann Strafbefehle gegen sechs Personen erlassen. Die geforderten Strafen reichten von einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen bis zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung. Fünf Personen hatten Einspruch eingelegt. Ein Verteidiger zog den Einspruch im Namen seines Mandanten, der am Mittwoch nicht vor Gericht erschienen war, zurück und akzeptierte damit den Strafbefehl – was einem Schuldeingeständnis gleichkommt.

Die übrigen vier Beschuldigten – heute zwischen 22 und 28 Jahre alt – äußerten sich zum Tatvorwurf nicht, einer der Rechtsanwälte erklärte: "Wir bestreiten die Tat pauschal." Zwei der Männer waren zum Tatzeitpunkt Mitglieder der Aktivitas der Burschenschaft Normannia, zwei waren Mitglieder der "Burschenschaft Germania Köln".

Zwei Stunden lang befragten Richterin Nicole Bargatzky und Oberstaatsanwalt Lars-Jörgen Geburtig das mutmaßliche Opfer. Der heute 27-Jährige wohnte damals in der Nachbarschaft der Normannia im Haus der Landsmannschaft Afrania. Zwei der heute Beschuldigten kannte er persönlich, mit einem von ihnen war er sogar eng befreundet. Mit ihm verabredete er per Whatsapp, dass er gemeinsam mit einem weiteren Freund zur Feier vorbeikommen wolle. Dort angekommen, habe ein ihm unbekannter Mann gefragt, ob er Jude sein. Das habe er verneint und sich ein Bier am Tresen geben lassen.

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Dann habe er gesehen, wie sich mehrere Männer ihre Gürtel ausgezogen hätten. Fünf bis sieben Personen hätten damit auf ihn eingeschlagen. Einem der Angreifer habe er ein Bier übergeschüttet. Danach sei es zu den Beschimpfungen gekommen und zu den Münzwürfen. Kurz darauf sei er gegangen. Einen Tag später erstattete er Anzeige bei der Polizei. Damals beschuldigte er konkrete Personen, ihn geschlagen zu haben, nannte Namen, darunter auch den seines Freundes, mit dem er sich vor dem Vorfall per Whatsapp ausgetauscht hatte. Vor Gericht sagte der 27-Jährige nun wörtlich: "Ich kann nicht konkret sagen, ob die Angeklagten dabei waren."

Er habe weder gesehen, wer ihn geschlagen, noch gehört, wer ihn beschimpft habe. Immer wieder hakte Richterin Bargatzky nach. Zweimal schickte sie den 27-Jährigen zur Beratung mit seiner Anwältin nach draußen. "Sie müssen mir schon erklären, wie es damals zu dieser klaren Aussage kam", forderte sie.

Der 27-Jährige erklärte daraufhin, er habe die Aussage bei der Polizei anhand von "Rekonstruktionen" des Abends gemacht. Auch andere seiner Aussagen von damals wollte er jetzt nicht mehr bestätigen. Etwa, dass einer der Beschuldigten antisemitische Meinungen vertrete, daran könne er sich nicht mehr erinnern und wolle dazu auch nichts mehr sagen. Hier platzte der Richterin dann der Kragen: "Es geht nicht, dass ein Zeuge entscheidet, was er beantwortet oder nicht."

Daraufhin fiel dem Zeugen wieder ein, dass der Beschuldigte Mitglied der rechtsextremen Identitären Bewegung gewesen sein soll und mal "jemanden gedrängt habe, mit seiner jüdischen Freundin Schluss" zu machen. "Haben Sie überhaupt noch ein Strafverfolgungsinteresse?", fragte die Richterin schließlich angesichts der "riesigen Diskrepanz zwischen der damaligen und der heutigen Aussage". Er habe Interesse an Aufklärung, ließ der 27-Jährige auch diese Frage letztlich offen.

Auch sein damaliger Begleiter, ein 26-jähriger Student aus Darmstadt, berief sich im Zeugenstand zunächst auf Gedächtnislücken und behauptete, nicht gesehen zu haben, wie sein Freund mit Gürteln geschlagen worden sei. Als ihm Bargatzky aber seine Aussage bei der Polizei vorhielt, schwieg er lange, rang sichtlich mit sich, gab schließlich zu, die Schläge doch gesehen zu haben und zwei der Beschuldigten zu "90 Prozent" als die Schläger identifizieren zu können. Damit verstrickte er sich allerdings erneut in Widersprüche. Einen der Beschuldigten, den er heute erkannt haben will, hatte er bei seiner polizeilichen Aussage explizit nicht beschuldigt. Er habe ihn damals schützen wollen, gab der 26-Jährige schließlich zu.

Einer, der Licht in die Angelegenheit bringen könnte, ist der damalige Vorsitzende der "Alten Herren" der Normannia. "Die Burschenschaft Normannia duldet keinen Antisemitismus in ihren Reihen oder durch Dritte auf ihrem Haus", schrieb dieser damals auf der Internetseite der Burschenschaft. Er soll in der Nacht selbst anwesend gewesen sein, war deshalb am Mittwoch ebenfalls als Zeuge geladen, erschien aber nicht. Das Gericht bestrafte ihn daher mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 300 Euro und lud ihn zum nächsten Verhandlungstag erneut.

Der RNZ liegt seit zwei Jahren umfängliches authentisches Material in Text, Bild- und Videoform vor, das beweist, dass es über einen Zeitraum von vielen Jahren rechtsradikale Vorfälle im Normannenhaus gegeben hat. Dokumentiert sind unter anderem rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Äußerungen sowie faschistische Grußformen. Der Prozess wird am 23. November fortgesetzt.

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