Jahreswechsel

Sechs Heidelberger über Enttäuschungen, Höhepunkte, Vorfreude

Wie sechs Menschen das alte Jahr sehen - Und was sie vom neuen erwarten

30.12.2018 UPDATE: 31.12.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 26 Sekunden

Stimmungsvoll wird sich heute Nacht Heidelberg vom alten Jahr verabschieden. Sechs Bürger der Stadt schauen auf das alte Jahr zurück und werfen einen ersten Blick auf 2019. Foto: Stefan Weindl

Heidelberg. (rie/bik/hö/hob/jola/ani) Wie war das alte Jahr, was wird das neue bringen? Die Stadtredaktion hat Heidelberger aus unterschiedlichen Bereichen der Stadtgesellschaft gefragt - und oft überraschende Antworten erhalten.


Jochen Flamme. Foto: Rothe

Der Kulturveranstalter

Jochen Flamme ist eine Institution im Heidelberger Kulturleben. Seit über 40 Jahren veranstaltet der 78-Jährige Konzerte - über 180 waren es allein in der Stadthalle.

Herr Flamme, was war Ihr Höhepunkt 2018?

Das war die Mezzosporanistin Fiorella Hincapié, die mir die Mozart-Nacht Mitte Dezember gerettet hat. Einen Tag vorher hatte die vorgesehene Sängerin krank abgesagt. Hincapié, die noch am selben Abend schon wieder an der Stuttgarter Staatsoper auftrat, war einfach sensationell. Auch die RNZ war begeistert!

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Und was war die größte Enttäuschung?

Also dass die Stadthalle, dieses so hübsche Jugendstilhaus, nun nächstes Jahr tatsächlich umgebaut wird, das ist für mich schwer. Und ich weiß einfach nicht, wohin. Es gibt in Heidelberg keine echte Alternative zur Stadthalle. Mit der Beethoven-Nacht gehe ich in den Rosengarten. Das ist schon hart, als Heidelberger nach Mannheim gehen zu müssen.

Was erhoffen Sie sich für 2019?

Dass es im März noch einmal ein rauschender "Ball der Vampire" mit 200 Gästen in der Stadthalle wird. Es wird der 45. Ball - und vielleicht der letzte! Ich fürchte, dass er einschlafen wird nach den drei Jahren Umbaupause.

Und worauf freuen Sie sich?

Na ja, da mich der Stadthallen-Umbau so ausbremst: auf mehr Ruhe. Und dass ich einfach mal nachdenklich auf mein Leben zurückschauen kann.


Gerlinde Kreuzinger. Foto: privat

Die Unternehmerin

Gerlinde Kreuzinger (49) leitet die Agentur "Kreuzkom" für Marketing und Kommunikation und ist Vorsitzende des Vereins "Heidelberger Unternehmerinnen".

Frau Kreuzinger, was war für Sie die wichtigste Wirtschaftsnachricht im vergangenen Jahr 2018?

Das war der Brexit - leider in Zusammenhang mit dem Infragestellen der Funktionsfähigkeit der EU.

Und der größte Skandal des Jahres?

Chemnitz. Alle reden von Vielfalt, wenige können damit umgehen.

Ihr persönlicher Höhepunkt des vergangenen Jahres?

In der Reflexion ist es der intensive Austausch mit unkomplizierten und wertvollen Menschen, der dem Jahr eine hohe Qualität verliehen hat.

Was erwarten Sie von 2019?

Um es vielleicht etwas aktiver zu formulieren: Wozu möchte ich beitragen? Eine konstruktive Dialog-Kultur zu fördern, um lösungsorientierte Schritte zu gehen - mit gegenseitiger Wertschätzung und Respekt.


Marion Tauschwitz. Foto: Ortner

Die Schriftstellerin

Marion Tauschwitz wurde in diesem Jahr zum Mitglied der deutschen Sektion des PEN-Zentrums, der wichtigsten Schriftstellervereinigung weltweit, gewählt. Die 65-Jährige war eine enge Vertraute der Dichterin Hilde Domin, über die sie 2009 eine große Biografie verfasste.

Was war Ihr Buch des Jahres?

Das war für mich eine Wiederentdeckung: die Gedichte der Autorin Gioconda Belli aus Nicaragua, die im November den Hermann-Kesten-Preis des PEN erhielt. Ich kannte diese außergewöhnliche, kämpferische Frau schon von früher, die unermüdlich die Unterdrückung der Meinungsfreiheit anprangert. Jetzt habe ich mich wieder neu in die zweisprachige Ausgabe ihrer Gedichte verliebt.

Was war für Sie das schönste und was das schlimmste Erlebnis des letzten Jahres?

Das schönste Ereignis auch im vergangenen Jahr ist meine Familie gewesen. Momente des Glücks und der Zuverlässigkeit, die mir mein Partner, meine Kinder und Enkel bescheren und mir Kraft geben. Möge es so weitergehen. Das schlimmste Erlebnis war und ist zu sehen, mit welcher Unverfrorenheit sich Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und nationalistisches Gedankengut ihre Wege in die Gesellschaft bahnen. Wie kann man so wenig aus unserer Geschichte gelernt haben, dass sich der Chemnitzer "Hutbürger" so gebärden darf? Man muss wachsam bleiben.

Wer war Ihr größter persönlicher Verlust des Jahres?

Viele Menschen, die mir etwas bedeutet haben, deren Lieder oder Worte mich berührten, sind gestorben, zum Beispiel Charles Aznavour, Kofi Annan, Stefanie Tücking. Betroffen aber machte mich der Tod Pieter Sohls, dem ich als Mensch und Künstler durch die gemeinsame Arbeit an seiner Biografie so nah kommen durfte.

Worauf freuen Sie sich 2019?

Auf Lesungen und Begegnungen, die mir meine Arbeit als Schriftstellerin beschert, auf zwei neue Bücher von mir, die im Frühsommer erscheinen. Auf Glücksmomente mit meiner Familie.


Ingrid Friedrich. Foto: Rothe

Die Ordnungshüterin

Die Stadt leistete mit dem Aufbau des Kommunalen Ordnungsdienstes Pionierarbeit. Seit zehn Jahren gibt es ihn nun, Ingrid Friedrich (62) ist von Anfang an mit dabei. Inzwischen hat er 20 Mitarbeiter und soll weiter aufgestockt werden.

Frau Friedrich, Sie haben oft mit betrunkenen Störern zu tun. Was war für Sie im 2018 das erfreulichste Erlebnis?

Dass ich im letzten Jahr gleich drei Frauen in der Heidelberger Hauptstraße wieder getroffen habe, die ich ein paar Monate zuvor in die Psychiatrie begleiten musste. Ich habe mich sehr gefreut, dass es ihnen wieder gut geht, und dass sie sich bei mir bedankt haben. Sie sagten, ich sei freundlich zu ihnen gewesen und hätte ihnen damals Sicherheit gegeben.

Was erhoffen Sie sich für 2019?

Alle Kollegen sollen jeden Tag heil von der Arbeit nach Hause kommen. Wir wissen nachts nie, was uns da draußen erwartet und sind immer häufiger auch Angriffen ausgesetzt.

Was wünschen Sie sich persönlich?

Ich bin ein sehr zufriedener Mensch. Ich bin gesund, fahre ab und zu in den Urlaub und meiner Familie geht es gut. So darf es weitergehen.


Süla Behramay. Foto: Rothe

Das Gesicht der Hauptstraße

Seit 13 Jahren arbeitet Süla Behramay bei der Stadtreinigung - und gehört zu einem der bekanntesten Gesichter der Stadt. Auf seiner Tour durch die Hauptstraße sorgt der gebürtige Kosovare mit Leib und Seele für Ordnung - und nimmt sich gerne Zeit, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Herr Behramay, wer war die interessanteste Person, die Sie in diesem Jahr kennengelernt haben?

Da waren viele. Erst vor zehn Tagen bin ich einem kleinen Jungen begegnet, der seine Großeltern aus den Augen verloren hatte und sehr traurig war. Ich habe ihm dann ein paar Gummibärchen gegeben, und dann haben wir bald auch seine Großeltern gefunden. Da war alles gut.

Welcher Arbeitstag war 2018 der Härteste?

Das war der Heidelberger Herbst. Da waren wir bis 23 Uhr unterwegs. Der schlimmste Tag im Jahr war dann, als ich erfahren habe, dass ein guter Kollege plötzlich verstorben ist.

Worauf freuen Sie sich 2019?

Es steht ein neues Auto an, ein elektrisches für die Arbeit. Nur das genaue Übergabedatum kenne ich noch nicht.


Fürozan Naderi. Foto: Dorn

Die neue Vorsitzende

Sechs Jahre lang war der Vorstand des Jugendgemeinderats eine Männerdomäne - das hat Anfang 2018 ein Ende genommen. Denn den Vorsitz des neu gewählten Rats hat Fürozan Naderi (19) übernommen.

Fürozan, was hat Dich dieses Jahr so richtig aufgeregt?

Aufgeregt? Im Allgemeinen Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit. In der Politik und auch in den Medien wird diese so wichtige Problematik noch immer nicht ernst genug genommen. Das muss sich ändern - und die Gesellschaft sollte gemeinsam dagegen angehen.

Und was war Dein persönliches Highlight 2018?

Ich habe mich für die transatlantische Sommerakademie des Deutsch-Amerikanischen Instituts Tübingen beworben - und ich wurde angenommen. Wir waren vier Wochen in den USA, unter anderem in New York, wo wir viel über afroamerikanische Geschichte gelernt haben. Ich konnte an Orte gehen, die man sonst nicht besuchen kann. Das war toll.

Was erwartest Du für 2019?

Ich erwarte mir, dass man mit sich selbst zufrieden und glücklich ist und die Leute ein harmonisches Miteinander haben.

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