Warum der Wohnungsbestand nur langsam wächst
Die Baugenossenschaft "Neu Heidelberg" ist die zweitgrößte Vermieterin der Stadt. Im Interview erklären die Vorstände: "Wohnungsnot gab es nach Krieg, aber nicht jetzt".

Von Denis Schnur
Heidelberg. Nur die städtische Wohnungsbaugesellschaft GGH verwaltet mehr Wohnraum in der Stadt: Die Baugenossenschaft "Neu Heidelberg" ist die zweitgrößte Vermieterin in Heidelberg – und bietet Wohnungen zu weit unterdurchschnittlichen Preisen an. Wie die Genossenschaft mit der riesigen Nachfrage umgeht, wie sich Corona auf das Wohnen in Heidelberg auswirkt und was in der Siedlung Ochsenkopf geschehen soll, erklären die beiden Vorstände Uwe Linder und Peter Jacobs im RNZ-Interview.
Fast eineinhalb Jahre Pandemie liegen hinter uns – was bedeutet dieser Ausnahmezustand für eine Baugenossenschaft?
Linder: "Kein Mieter verliert seine Wohnung wegen der Coronakrise!" Das war das Motto der Wohnungswirtschaft in der Pandemie – und das war ernst gemeint. Wenn jemand nicht in der Lage war, seine Miete zu zahlen, gab es Stundungsmöglichkeiten. Der Gesetzgeber hatte die für drei Monate vorgesehen, aber wir hätten das auch darüber hinaus angeboten. Aber das musste keiner unserer Mieter in Anspruch nehmen.
Das heißt, die Pandemie hatte für die Genossenschaft keine finanziellen Einbußen zur Folge?
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Linder: Auf der Erlösseite – also bei den Mieteinnahmen – sicherlich nicht. Und auf der Aufwandsseite gab es auch kaum Folgen. Es kam etwa zu Verzögerungen bei Baustellen, weil weniger Personal und Material zur Verfügung standen. Dadurch haben wir wahrscheinlich nicht mehr ausgegeben, aber weniger Leistung für dasselbe Geld bekommen. Aber die Auswirkungen waren so gering, dass es sich eigentlich nicht lohnt, zu jammern.
Jacobs: Dagegen kann man rechnen, dass weniger Kleinreparaturen durchgeführt wurden – aus Angst, einen Handwerker ins Haus zu lassen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Den Wasserhahn hat man dann doch nochmal selbst repariert. Da haben wir – ohne es quantifizieren zu können – sogar etwas eingespart.
Also hatten Sie trotz Pandemie ein gutes Jahresergebnis 2020?
Linder: Wir hatten einen geringen Jahresüberschuss – das ist für uns das beste Ergebnis. Denn das bedeutet, dass wir bei der Instandsetzung und Modernisierung viel gearbeitet haben. Würden wir da weniger machen, könnten wir einen deutlich höheren Jahresüberschuss ausweisen. Aber das würde natürlich nicht lange gut gehen.
Sie warnen auf Ihrer Internetseite, dass man mitunter Jahre auf eine Wohnung warten muss. Wie viele Wohnungen vermieten Sie denn pro Jahr?
Linder: 2020 haben wir 69 Wohnungen neu vermietet. Das war etwas weniger als sonst, normalerweise sind es 80 bis 90. Das lag wohl auch an der Pandemie. Man muss aber dazu sagen, dass weit über die Hälfte der Mieterwechsel durch Todesfälle oder Umzüge in Pflegeheime oder betreutes Wohnen zustande kamen. Und es sind auch die Mitglieder erfasst, die innerhalb unseres Bestandes umziehen, weil sie eine größere Wohnung brauchen. Echte Kündigungen, weil es den Menschen nicht mehr gefällt oder sie in eine andere Stadt ziehen, haben wir nur ganz wenige.
Wie viele Interessenten gab es für diese knapp 70 Wohnungen?
Linder: Bei uns kamen über 2000 Bewerbungen an. Und wir hatten die Wohnungen nicht mal in den gängigen Onlineplattformen angeboten, sondern nur über unsere eigene Homepage.
Also müssen Sie auswählen. Nach welchen Kriterien machen Sie das?
Linder: Wir haben klare Vergabekriterien, die man auch online einsehen kann. Die Dauer der Mitgliedschaft in der Genossenschaft etwa. Die Haushaltsgröße muss auch passen: Wir vermieten keine vier Zimmer an Einzelpersonen. Zu dritt eine Dreizimmerwohnung, zu viert eine Vierzimmerwohnung, selten auch mal vier Zimmer an drei Personen, wenn es passt. Auch das Haushaltseinkommen ist relevant: Maximal ein Drittel sollte für die Miete ausgegeben werden.
Aber die Nachfrage ist ja riesig. Viele sprechen in Heidelberg sogar von "Wohnungsnot"...
Jacobs: Da muss ich kurz einhaken. Das Wort gefällt mir in dem Zusammenhang nicht. Die Nachfrage beschränkt sich vor allem auf bestimmte Wohnformen und Stadtteile. An manchen Stellen haben wir Probleme, eine Wohnung zu vermieten – Boxberg und Hasenleiser sind etwa nicht besonders beliebt. Eine Wohnung im fünften Stock oder im Erdgeschoss ist es ebenfalls nicht. Da gibt es hohe Ansprüche. Dann kann man nicht mehr von "Wohnungsnot" reden. Die gab es nach den beiden Weltkriegen, aber nicht jetzt.
Dennoch könnten Sie deutlich mehr Wohnungen vermieten. Warum bauen Sie nicht einfach viel mehr?
Linder: Zum einen müssen wir ein Bauprojekt nach dem anderen realisieren, zu mehr sind wir personell gar nicht in der Lage. Aber der Hauptgrund ist, dass uns einfach keine Grundstücke zur Verfügung stehen, zumindest nicht in der Preisklasse, in der sie sein müssten. Deshalb haben wir auch unsere letzten Bauprojekte ausschließlich auf eigenen Grundstücken durchgeführt. Aber auch da haben wir noch Potenzial, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.
Im Ochsenkopf bauen Sie gerade schon. Wo sehen Sie sonst Potenzial für Neubauten?
Jacobs: Wir haben im Pfaffengrund fast 1000 Wohneinheiten, darunter viele Geschosswohnungsbauten aus den 50er- und 60er-Jahren. Einen davon im Möwenweg haben wir bereits abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Der wurde 2019 fertig. So haben wir mehr als das Doppelte an Wohnfläche hinbekommen. Das ist auch an anderer Stelle im Pfaffengrund denkbar. Ansonsten sind wir verstreut in den Stadtteilen. In Kirchheim gibt es noch ein Stellplatzgrundstück, welches man bebauen könnte. Zudem schauen wir auch, wo wir unsere Bestandsgebäude aufstocken oder Dachgeschosse ausbauen können.
Außerdem denken Sie über eine weitere Verdichtung der Ochsenkopfsiedlung nach – zum Ärger der Siedlungsgemeinschaft. Wie sehen da Ihre Pläne aus?
Linder: Bisher ist das nur eine Idee. Was die Siedlungsgemeinschaft uns vorwirft, dass wir schon den Plan in der Schublade hätten, stimmt nicht. Wir haben im Dialogforum Wohnen, in dem sich die wichtigsten Akteure der Heidelberger Wohnungspolitik austauschen, lediglich den Vorschlag zur Diskussion gestellt, dass man im Ochsenkopf an manchen Stellen zusätzliche Gebäude errichtet. Wenn Bürger, Verwaltung und Kommunalpolitik aber sagen: Lasst vom Ochsenkopf die Finger weg, dann ist das so.
Und? Haben Sie das gesagt?
Jacobs: Nein, wir haben viel Zuspruch bekommen, das auch umzusetzen.
Linder: Aber wie gesagt: Es gibt noch viele Fragezeichen. Der nächste Schritt wäre, eine Arbeitsgruppe mit der Stadt ins Leben zu rufen, wo man erörtert, was überhaupt in Frage kommt, falls man nachverdichtet. Braucht man eine Kita? Baut man speziell für Senioren? Für Familien? Das ist alles noch nicht besprochen.
Im Herbst 2020 hat sich auch der Gemeinderat schon mit einer möglichen Nachverdichtung im Ochsenkopf befasst und am Ende mit großer Mehrheit gesagt: Wir finden das gut, wollen Euch aber über die Schulter schauen.
Linder: Die Debatte ist ja schon alt. Als ich hier 2012 angefangen habe, haben wir kurze Zeit später das erste Gebäude im Ochsenkopf durch einen Neubau ersetzt. Schon damals musste ich in den Bauausschuss und das Projekt präsentieren. Dann kam jetzt der nächste Neubau, das Spiel ging von vorne los. Dann wurden wir gefragt: Wollt ihr im Ochsenkopf weitere Gebäude abbrechen? Und wir haben ganz klar gesagt: Nein! Abbruch und Ersatzneubau ist nicht mehr vorgesehen. Die restlichen Gebäude sind zum großen Teil schon modernisiert und gedämmt. Die Gebäude, die wir abgebrochen hatten, waren jeweils noch im Originalzustand der 30er-Jahre.
Hintergrund
> Die Baugenossenschaft "Neu Heidelberg" wurde 1918 als Reaktion auf die Wohnungsnot nach dem Krieg gegründet. Damals war das vorrangige Ziel, eine "halbländliche Kleinsiedlung" im Umland Heidelbergs zu errichten. Dies geschah ab 1919 im heutigen Pfaffengrund. Parallel
> Die Baugenossenschaft "Neu Heidelberg" wurde 1918 als Reaktion auf die Wohnungsnot nach dem Krieg gegründet. Damals war das vorrangige Ziel, eine "halbländliche Kleinsiedlung" im Umland Heidelbergs zu errichten. Dies geschah ab 1919 im heutigen Pfaffengrund. Parallel dazu entstanden in Handschuhsheim und Kirchheim die Siedlungen Pfädelsäcker und Am Brenner. Ab 1933 wurde "Neu Heidelberg" von den Nationalsozialisten verwaltet und musste als größte Heidelberger Genossenschaft die kleineren aufnehmen – darunter die "Bezirksbaugenossenschaft" mit 124 Wohnungen im Ochsenkopf.
> 1730 Mietwohnungen hat die Genossenschaft heute im Bestand. Der allergrößte Teil davon befindet sich im Pfaffengrund, aber auch in Wieblingen (Ochsenkopf), Kirchheim, Handschuhsheim, Neuenheim, Weststadt und auf dem Boxberg ist sie vertreten. Die Durchschnittsmiete im Bestand liegt bei 5,55 Euro pro Quadratmeter. Bei Neuvermietungen im Jahr 2020 schwankte sie zwischen 5,60 Euro (Boxberg) und 9,20 Euro im Neubau im Möwenweg.
> 4758 Mitglieder hatte "Neu Heidelberg" Ende 2020. Wer eintreten möchte, muss einen Anteil für 160 Euro erwerben sowie 60 Euro Eintrittsgeld zahlen. Wer einen Mietvertrag bei der Genossenschaft abschließt, muss zudem fünf weitere Anteile kaufen. rnz
Das heißt, Sie können nur noch bauen, wo es die langen Gärten zulassen?
Linder: Richtig. Es wäre maximal eine sanfte Nachverdichtung.
Dafür müssten Sie jedoch Grünflächen versiegeln – wie es schon bei den beiden Neubauten geschehen ist.
Linder: Das muss man differenziert betrachten: Die neuen Gebäude sind gar nicht viel größer von der Grundfläche. Sie haben ein Vollgeschoss mehr, so haben wir für zusätzliche Wohnfläche gesorgt. Aber sie haben anstatt eines Satteldaches ein Flachdach, das zur Hälfte begrünt ist und zur Hälfte mit Photovoltaik-Modulen belegt ist. Was da jetzt für Klima und Umwelt besser ist – unser neues gut gedämmtes Gebäude mit grünem Dach, Solarenergie und Fernwärme oder das alte, ungedämmte mit Gas beheizte Gebäude –, kann sich ja jeder denken. Das Klima-Argument wird gerne vorgeschoben, wenn es um die Fläche vor der eigenen Haustür geht.
Abgesehen von dem Klima-Argument ist es aber doch verständlich, dass die Bewohner nicht glücklich sind, wenn sie Teile ihrer Gärten abgeben sollen.
Jacobs: Absolut. Aber sie dürfen nicht vergessen, dass sie bei einer Genossenschaft wohnen, in der das Solidarprinzip gilt.
Linder: Außerdem ist in den Gärten ja auch nicht nur Grünfläche – da stehen zum Teil Carports, Grillplätze, Swimmingpools, Trampoline oder Gartenhütten. Zum Großteil sind die Außenanlagen bereits versiegelt.
Müssen Sie denn nicht langfristig ohnehin anders planen? Durch Corona ändert sich doch gerade vieles. Die Menschen wollen Home-Office-taugliche Wohnungen und müssen gar nicht mehr unbedingt zentral leben. Macht sich das bei Ihnen schon bemerkbar?
Jacobs: Wir bekommen schon Anfragen wegen Home-Office. Etwa weil Menschen ein Zimmer mehr brauchen.
Linder: Aber dass die Leute aus der Stadt wegziehen, merken wir nicht. Ich habe kürzlich eine Statistik gesehen, dass das vor allem auf Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohnern zutrifft – aber nicht auf kleine attraktive Mittelstädte wie Heidelberg.



