Das Mallorca-Atelier des Malers und Bildhauers Joan Miró
Auf Spurensuche am Stadtrand von Palma de Mallorca

Das Blau des mallorquinischen Meeres hat den weltbekannten Künstler Joan Miró schon in der Kindheit verzaubert. Auch deshalb verbrachte er seine letzten 26 Lebensjahre auf der Baleareninsel. Fotos: Helge Sobik
Von Helge Sobik
Als Kind", hat Joan Miró einmal gesagt, "habe ich den Himmel Mallorcas bewundert. Und in der Nacht hat mich hier die Spur einer Sternschnuppe, das Leuchten eines Glühwürmchen, das Blau des Meeres verzaubert." Als alter Mann hat der katalanische Künstler, dessen Ölgemälde inzwischen für Millionenbeträge gehandelt werden, diese Stimmung mit wenigen Zeichen und Farbtönen auf Leinwand gebannt. Seine letzten 26 Lebensjahre hat er auf Mallorca verbracht, an die Kindheitserinnerungen angeknüpft. Auf Strandspaziergängen weit außerhalb der Hauptsaison und auf Winterwanderungen im Tramuntana-Gebirge bei Valldemossa hat er Energie getankt, die sich in seinen Bildern entlud.
Hintergrund
■ Allgemeine Auskünfte erteilt das Spanische Fremdenverkehrsamt, Myliusstr. 14, 60323 Frankfurt, Telefon 069/725033, www.spain.info.
■ Anreise: Von Frankfurt nach Palma de Mallorca mit Air Berlin
■ Allgemeine Auskünfte erteilt das Spanische Fremdenverkehrsamt, Myliusstr. 14, 60323 Frankfurt, Telefon 069/725033, www.spain.info.
■ Anreise: Von Frankfurt nach Palma de Mallorca mit Air Berlin (www.airberlin.com), Tuifly (www.tuifly.com) und Condor (www.condor.com), ab 100 Euro pro Strecke.
■ Übernachten: Im Vier-Sterne-Hotel "Bonsol" (www.hotelbonsol.es; Telefon 0034-971/40211) im nahen Illetas, Doppelzimmer ab 254 Euro mit Halbpension. Oder im "Maricel" (www.hospes.com, Telefon 0034-971/707744) am Stadtrand von Palma, Doppelzimmer mit Frühstück ab 228 Euro.
■ Essen und Trinken: Rustikal und zugleich hervorragend ist das "Casa Manolo" in Ses Salines (Plaza San Bartolomé 2, Telefon 0034-971/64 91 30), das besonders für seine Fischspezialitäten bekannt ist. Auch das "Cassai Gran Café & Restaurant" (Carrer Sitjar 5, Telefon 0034-971/64 97 21) nur ein paar Häuser weiter mit seiner leichteren, moderneren Küche und dem edleren Ambiente ist empfehlenswert.
■ Miro: Die Miró-Ateliers sind vom 16.Mai bis 15.September Di-Sa 10-19, So 10-15 Uhr zur Besichtigung geöffnet, im Winterhalbjahr Di-Sa von 10-18 Uhr, sonntags 10-15 Uhr. Der Montag ist ganzjährig Ruhetag. Eintritt 6 Euro; samstags Eintritt frei, Calle Saridakis 29 in Cala Mayor, Telefon 0034-971/701420, www.fpjmiro.org.
■ Reise-Literatur: Vom Autor dieses Beitrags ist der Reportagen-Band "Mallorca - Miró und der Mann mit der Mandarinenkiste" erschienen (Picus Verlag, 14,90 Euro).
Auf den Arbeitstischen liegen noch immer halb ausgequetschte Farbtuben scheinbar wahllos herum. In staubigen Gläsern stehen Pinsel - alles zwischen den unfertigen und entsprechend noch unsignierten Werken im Atelier, als könnte dieser kleine, schmächtige Joan Miró jeden Moment wieder durch die Tür treten und weitermachen. Denn oft hat er hier auf kleinen, wackeligen Holzstühlchen gesessen, Änderungen erwogen, über nächste Schritte nachgedacht, ehe er wieder zum Pinsel griff.
Heute ist in dem nach seinen Wünschen und Bedürfnissen entstandenen Atelierneubau hoch am Hang in Cala Major bei Palma eine Stätte geworden, wo Kunstinteressierte dem Meister mehr als an jedem anderen Ort nah sein können. Denn nur hier bekommen sie den unmittelbaren Einblick in sein Schaffen. Nur hier sehen sie, wo er arbeitete, was ihn inspirierte - und all das, was sich links, rechts, oberhalb und unterhalb einer Leinwand befand. In Mirós Atelier auf Mallorca ist seit seinem Tod am ersten Weihnachtstag des Jahres 1983 nichts geändert worden. Im Flurbereich ist heute bloß ein dünnes Seil gespannt. Von dort aus dürfen die Besucher in den Raum schauen, wo der schüchterne, alte Mann wirkte.
Wenn der für niemand anderen erkennbare Moment für eines dieser Bilder gekommen war, nahm er es sich vor und malte daran weiter, ehe er sich wieder hinsetzte, mit Blicken in der Leinwand versank und nachdachte.
"Ich arbeite wie ein Gärtner auf Mallorca", hat er einmal gesagt. "Ich bin wie ein Insekt, wie eine Biene und bestäube die unterschiedlichen Pflanzen im Garten nach und nach, wenn es für jede einzelne davon so weit ist."
Die Wände der Finca Son Boter hat er als Skizzenblock genutzt. Sie sind mit flüchtigen Zeichnungen übersät, mit Linien, Bögen, Grundformen. Die jüngeren Werke unterdessen sind in jenem Gebäude entstanden, das der Künstler auf dem großen Grundstück unterhalb jenes alten Herrenhauses neu hat errichten lassen: Der Lichteinfall war genau durchdacht, eine Terrasse im Freien so angeordnet, dass sich die Sonnenstrahlen zunächst auf den Natursteinfliesen brechen mussten, ehe sie ins Atelier hineinscheinen konnten. Dieser bauliche Kunstgriff sollte das Licht wärmer machen, die Naturstein-Innenwand an der Stirnseite des Gebäudes einen ähnlichen Effekt haben.
"Ich durfte ihm dort mal beim Radieren zuschauen", erinnert sich Mirós langjähriger Galerist Josep Pinya, der im Zentrum von Palma jahrzehntelang die Galerie "Pelaires" geführt und inzwischen an seinen Sohn übergeben hat: "Es war ein Kraftausbruch, als er begann. Als ob der ganze Körper im Einsatz war, um eine Platte zu gravieren. Mit großem Schwung, mit weit ausholenden Bewegungen. Als würde eine fremde Engerie von außen in ihn hineingefahren sein."
Seine Inspiration hatte er zuvor anderswo auf der Insel gefunden. Er habe Mallorca im Kopf und im Herzen ins Atelier getragen und mit der Arbeit begonnen, erinnern sich Zeitzeugen. Mit seinem inzwischen hochbetagten Freund Pere Serra hat er sich oft im Tal von Sollér mitten zwischen den Orangenhainen verabredet. Sie haben dort gesessen, sinniert, diskutiert - und nebenbei Mandarinen gegessen. Und sie sind zusammen im Tramuntana-Gebirge wandern gewesen. "Mirós Augen", erinnert sich der alte Freund, "haben den Waldboden abgetastet, und er war glücklich, wenn er wieder einen kurios geformten Stein oder einen besonders originellen Tannenzapfen gefunden hat."
So etwas hat er zwischen den Fingern gedreht und gewendet und schließlich in die Jackentasche gleiten lassen und später im Atelier wieder vorgekramt. "Einmal beeindruckte ihn ein Keks, den es im Restaurant C´an Amer in Inca zum Kaffee gab, so sehr, dass er später nach diesem Vorbild eine große Skulptur schuf." Das Restaurant gibt es noch heute - und noch immer kommen dort ähnliche Kekse auf den Tisch.
Kann man Mallorca in den Bildern der letzten zweieinhalb Jahrzehnte wiederfinden? "Aber ja", ist Freund Serra überzeugt. Und Galerist Pinya ergänzt: "Aus dem, was er hier auf der Insel sah, was er hier fand - daraus zog er fast dreißig Jahre lang seine Inspiration".
Gerne setze er sich in die Kathedrale von Palma, ohne ein besonders gläubiger Mensch gewesen zu sein. Es ging ihm weniger ums Beten als um den Raum der Andacht, als um die inspirierende Stille seinerzeit in der Kathedrale Sa Seu. Die Zuneigung zu diesem Gotteshaus ging so weit, dass Miró den Gemeindeoberen anbot, ein großes Kirchenfenster zu gestalten. Sie lehnten ab - weil sie nichts mit seiner Kunst anfangen konnten.
Mirós Wohnhaus, inzwischen von dem 1992 eröffneten Museumskomplex annähernd halbkreisförmig mit einigen Metern Abstand umbaut, ist unterdessen für die Nachwelt verloren - obwohl es sich wunderbar in den Gesamtkontext der Anlage fügte und das Bild vom Leben dieses Künstlers so gut abgerundet hätte. Künstler-Enkel Joan Punyer wohnt dort, schaut manchmal vom bogenumfassten Umlauf aus herab auf das Museum und seine Besucher - und ließ kürzlich weite Teile des Hauses abreißen und in minimalistischem Stil völlig neu errichten. Es hat sich scheinbar gehäutet, das Gesicht völlig gewandelt - als ob der Enkel sich freistrampeln und an selber Stelle aus dem großen Schatten treten wollte. Er hat den weltberühmten Opa gegen alle Proteste herausrenoviert, nun ist es einzig das Haus des Enkels. Pere Serra und Josep Penya aber haben einen Schatz, der über den Verlust hinweghilft: ihre Erinnerungen. Mit all ihren Details. Und die Besucher von heute haben das Atelier, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Was für ein Glück.