Spanien

Als die Paella "auf die Nudel" kam

Sogar einen Namen bekam das neue Gericht: Fideuà.  Einmal im Jahr gibt es sogar ein Fideuà-Festival, den "Concurso Internaticional Fideuà de Gandia".

26.09.2025 UPDATE: 28.09.2025 04:00 Uhr 3 Minuten, 36 Sekunden
Koch José Manuel Navarro (links) ist berühmt für seine Fideuàs. Rechts Avelino Alfaro Serrano. Foto: Sobik

Von Helge Sobik

Sie mussten noch bei Dunkelheit mit ihrer "Santa Isabel" ablegen, um am besten wieder vor allen anderen dort draußen auf See zu sein, wo um diese Jahreszeit die meisten Doraden anzutreffen waren, die Rapes und Merluzas – Goldbrassen, Seeteufel und Seehechte. Da kann man schon mal etwas vergessen. Sogar das wichtigste: den Reis der Bordverpflegung. Fast immer gab es bei den Fischern aus Gandia, südlich von Valencia, an Bord Paella – das spanische Nationalgericht mit Reis und Meeresfrüchten. Um die Meerestiere brauchten sich die Männer der "Santa Isabel" keine Sorgen zu machen, die zogen sie wie immer frisch aus dem Wasser. Aber ohne Reis war nicht viel zu wollen: keine Chance auf das ersehnte Leib-und-Magen-Gericht. Außer sie würden einen Frevel begehen und improvisieren.

Mit kleinen, dünnen Nudeln, ausgerechnet. Die gab es noch im Vorratsschrank der Kombüse. Es müsste doch gelingen, sie so ähnlich zuzubereiten wie den Reis: mit Sofrito aus Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Petersilie, Salz und Paprikapulver, mit etwas mehr Fischsud, dem Caldo, als üblich köcheln lassen, dann die angebratenen Meerestiere zugeben, am besten Cigalas oder Gambas, manchmal auch Fisch. Und ein paar Safranfäden.

Cigalas heißen bei uns Kaisergranat oder Kronhummer. Foto: Getty

Was erst für lange Gesichter der sechs Besatzungsmitglieder gesorgt haben soll, als der Koch kleinlaut aus der Kombüse trat, hat richtig gut geschmeckt – so gut, dass es diese Neuerfindung an Bord plötzlich immer häufiger gab, und sich das Rezept herumsprach, erst in Fischerfamilien, dann in ganz Gandia. Es fand immer mehr Fans und tauchte recht bald auch auf den Speisekarten der ersten Restaurants auf. Sogar einen Namen bekam das neue Gericht: Fideuà. Und weil es nun mal von heimischen Fischern erfunden wurde, darf in der offiziellen Vollversion des Namens der Ort nicht fehlen: Fideuà de Gandia. Nur Spötter sprechen von der "Nudel-Paella". Obwohl das ziemlich genau den Tatsachen entspricht. Für die Leute von hier ist es ihre Fideaù! De Gandia! Fast so etwas wie ihr eigen Fleisch und Blut, die DNA, Tradition, lokales und regionales Kulturgut.

Sogar so etwas wie den offiziellen Kulturrat der Fideuà gibt es, die Asociación Gastronómica Fideuà de Gandia, um das Erbe und die Einhaltung der Tradition zu wahren. Avelino Alfaro Serrano ist seit vielen Jahren ihr Präsident. Er duldet, wenn junge Köche mit der Fideuà experimentieren, Dinge anders machen. "Jeder, wie er will", sagt er großmütig. "Aber nur die echte ist die echte. Immer das Original", schiebt er gleich hinterher. Er sagt es ohne jede Verbissenheit, viel eher aus Überzeugung, aus Stolz. Denn Menschen von anderswo kommen nach Gandia, um die echte Fideuà zu probieren, Restaurants machen beträchtlichen Umsatz damit.

In vielen Gaststätten ist das Gericht der Bestseller, manche sind berühmt dafür – wie "Casa José" von José Manuel Navarro in dritter Reihe zwischen den Appartementhäusern am Strand Platja de Gandia. Avelino Serrano verzeiht ihm, dass er mit der Fideuà inzwischen auch experimentiert. Navarro hat das Original auf der Karte, natürlich – und ein paar Varianten. Die frechste ist eine in Grün. Mit Algen zusätzlich zu den Nudeln. Spirulina, Wakame. Und Sepia ist auch dabei. Statt Gambas und der als "Mini-Hummer" populären Cigalas verwendet er Seeschnecken. "Wenn du etwas Neues ausprobierst, geht das nur, wenn du das Alte haargenau kennst. Und wenn du es wertschätzt und die Tradition hochhältst", rechtfertigt sich Navarro.

Einmal im Jahr gibt es sogar ein Fideuà-Festival, den "Concurso Internaticional Fideuà de Gandia": eine Mischung aus Volksfest und Kulinarik-Event, bei dem die beste Fideuà prämiert wird. Küchenchefs aus dem In- und Ausland treten dort an. Es waren schon Teilnehmer aus China, Japan und Mexiko dabei. Die Chinesen haben sogar mal den Sonderpreis für den besten Nachtisch auf Orangen-Basis gewonnen.

Der Jury sitzt Evarist Miralles vor, der ein eigenes Restaurant in den Bergen des Hinterlandes hat und an der Tourismusfachschule in Gandia unterrichtet – die Zubereitung der perfekten authentischen Fideuà zum Beispiel. Was sie ihm bedeutet? "Sie ist das Beste, was wir haben. Besonders, typisch, authentisch. Sie gehört hierher, sie schmeckt nach dem Meer." Und wie lange die dünnen Nudeln köcheln müssen? "Erst kurz trocken nur mit dem Sofrito, dann bis zu einer Viertelstunde im Caldo, dem Fischsud. Die Zeit ist nicht wirklich wichtig. Entscheidend ist, zu probieren.

Hintergrund

INFORMATIONEN

Anreise: Flüge nach Valencia ab verschiedenen deutschen Airports z.B. mit Lufthansa, Eurowings und Ryanair. Die Flugdauer beträgt rund 2,5 Stunden.

Übernachten: Ferienhäuser an der Costa Blanca

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INFORMATIONEN

Anreise: Flüge nach Valencia ab verschiedenen deutschen Airports z.B. mit Lufthansa, Eurowings und Ryanair. Die Flugdauer beträgt rund 2,5 Stunden.

Übernachten: Ferienhäuser an der Costa Blanca gibt es bei zahlreichen Anbietern (www.interhome.de, www.fewo-direkt.de, www.belvilla.de) je nach Reisezeit, Lage und Größe ab ca. 500 Euro/Woche.

Essen und Trinken: Die Restaurants sind unter www.restaurantecasajose.com (José Manuel Navarro) und www.elnoucavallverd.com  (Evarist Miralles) zu finden.
Weitere Infos: www.spain.info
www.comunitatvalenciana.com
und
www.visitgandia.com
www.fideuadegandia.org 

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"Ich höre nur auf den Klang, wenn es brutzelt. Das ist eine Komposition. Daran kann ich entscheiden, wie es weitergeht. Und wann es fertig ist." Wie lange die aufwendige Zubereitung insgesamt dauert? "Wer es gut kann, braucht einschließlich der Herstellung des Fischsud eine Stunde. Was wirklich Zeit kostet und den Unterschied macht, ist selbst zum Markt zu gehen, um die besten und frischesten Zutaten auszusuchen."

Dass es die Fideuà inzwischen auch anderswo gibt, in ein paar Restaurants in Madrid sogar, vor allem aber die Mittelmeerküste nördlich und südlich von Valencia rauf und runter, schert die Kulturguthüter aus Gandia wenig. "Anderswo", sagt Avelino Serrano, "ist es eher touristisch. Hier aber kommt die Fideuà aus der Mitte des Alltags der Menschen, das schmeckt man." Dass sie bei der Hochzeit von Prinzessin Cristina, der Schwester des Königs Felipe VI., Teil des Festmenüs war, obwohl nicht in Gandia gefeiert wurde, macht Avelino, José, Evarist und alle ihre Mitstreiter stolz. Es ist so etwas wie der Ritterschlag für ihre Spezialität.

Ob die Tradition mit der nächsten Generation verloren gehen wird oder sich auch junge Leute noch die Mühe machen werden, die echte Fideuà zu verteidigen? Ob sie den Unterschied überhaupt noch herausschmecken, sie selbst eines Tages an Land zubereiten werden? "Oh ja", Avelino lächelt entspannt, "ganz sicher", sagt er und lehnt sich zurück. "Mein Enkel ist sieben. Und er hat noch nie gesagt ,Opa, mach doch mal Milchreis’. Er sagt ,Opa, wann ist die Fideuà fertig? ’ – und er schaut zu, wenn ich am Herd stehe." Wenn das so ist, dann kann nichts schiefgehen.