"Würmchen" mit Sahne

Was sich hinter Vermicelles verbirgt (plus Rezepte)

Sie kennen Vermicelles nicht? Das heißt übersetzt "Würmchen". Was schräg klingt, ist ein Dessert aus pürierten Esskastanien, Schaumgebäck und Sahne - und nicht zu verwechseln mit dünnen Spaghetti.

26.09.2024 UPDATE: 26.09.2024 08:34 Uhr 5 Minuten, 6 Sekunden
Vermicelles ein Schweizer Dessert-Klassiker aus dem Püree der Esskastanie. Foto: swissmilk.ch/rezepte/dpa-tmn​

Von Geraldine Friedrich

Manche Speisen und Getränke klingen einladender, wenn man ihre französischen oder italienischen Namen benutzt. Der Weißwein Chasselas zum Beispiel, im Schweizer Kanton Wallis auch Fendant genannt. Hinter ihm verbirgt sich nichts anderes als die Rebsorte Gutedel. Auch der Name des Desserts Vermicelles klingt auf Italienisch appetitlicher. Denn der Name Vermicelles leitet sich vom italienischen "vermicelli" ab und heißt übersetzt "Würmchen".

Um Verwechslungen vorzubeugen: Vermicelli sind besonders dünne Spaghetti, Vermicelles ein Schweizer Dessert-Klassiker aus dem Püree der Esskastanie. Tatsächlich erinnert das Dessert optisch an Spaghetti-Eis. Im Unterschied zu dem Eisbecher bestehen die Spaghetti aber nicht aus Eis, sondern eben aus besagtem Püree, das in "Würmchen" geformt wird.

Und in diese Würmchen sind unsere Schweizer Nachbarn ganz vernarrt. Doch die Köstlichkeit scheint es bislang nicht über die Grenze geschafft zu haben. "In Deutschland ist Vermicelles weitgehend unbekannt", sagt Sabine Heide, Projektleiterin Genuss bei Swissmilk in der Schweiz. Swissmilk ist die Marketing-Organisation der Schweizer Milchproduzenten (SMP) mit Sitz in Bern. Die ausgebildete Konditorin und studierte Lebensmitteltechnologin entwickelt hier Rezepte, die Milch oder Milchprodukte enthalten. Die Grundzutat für Vermicelles ist aber eine andere.

Maroni, Sahne und Meringue

Die Schweizer nennen Esskastanien bzw. Edelkastanien Maronen oder Marroni. Und "marrone" heißt nichts anderes als "braun" auf Italienisch. Das rührt natürlich daher, da innerhalb der Schweiz die Marroni hauptsächlich in den südlichen Kantonen Tessin und in Graubünden wachsen, und dort spricht man eben die Schweizer Landessprachen Italienisch und Rätoromanisch.

Die klassische Vermicelles-Rezeptur mit Kastanien, Schlagsahne und Schaumgebäck lässt schon erahnen, dass es sich um einen üppigen Nachtisch handelt. "Es gibt auch Kombinationen mit Früchten, aber das ist eher untypisch. Die Schweizer sind bei Vermicelles sehr klar: Sie besteht aus pürierten Maronen, Meringue und Schlagsahne – sonst nichts", so Heide.

Geschälte Kastanien im Supermarkt? Zugreifen! 

Das Gute an Vermicelles ist die Einfachheit der Zubereitung, wenn man auf geschälte Kastanien oder fertiges Püree zugreift. In der Schweiz findet man fertiges Maronenpüree viereckig in Blöcken, ähnlich wie Butter, im Kühlregal oder bekommt sogar die fertige Vermicelles-Masse in der Tube samt Aufsatz für die Würmchen.

Die gibt es in Deutschland eher nicht. Und während man in Schweizer Supermärkten geschälte Maronen tiefgefroren fast das ganze Jahr über bekommt, ist diese Zutat in Deutschland frisch, foliert oder gefroren eher ein saisonales Produkt.

Wer also im deutschen Supermarkt TK-Kastanien oder folierte geschälte Kastanien entdeckt, sollte zugreifen und sich einen kleinen Vorrat zulegen. Gut zu wissen: Kastanien sind glutenfrei und daher auch für Menschen mit Zöliakie bekömmlich.

Esskastanien nicht mit Rosskastanien verwechseln!

Für die Sammler-Fraktion gilt: Esskastanien wachsen wild in der Pfalz und in Baden. Sicherheitshalber sei hier erwähnt: Bitte Esskastanien nicht mit Rosskastanien verwechseln. Die Esskastanie (castanea sativa) gehört zu den Buchengewächsen, ihre Früchte zählen botanisch zu den Nüssen, wie etwa Haselnüsse oder Walnüsse. Die Rosskastanie ist dagegen ein Seifenbaumgewächs und nicht essbar.

Gut erkennbar sind die Unterschiede an der stacheligen Hülle: Während bei der Esskastanie die Stacheln dicht an dicht sitzen, sind die Abstände der Stacheln bei der Rosskastanie viel größer. Die Früchte der Esskastanie sind zu einer Seite abgeflacht, ihr oberes Ende verläuft spitz zu und enthält eine Art Pinsel, den die Rosskastanie nicht hat. Die Früchte der Rosskastanie sind dagegen runder.

In der Schweiz gedeihen die Marroni besonders gut in der klimatisch begünstigten Gemeinde Bergell. Bergell oder auf Italienisch Bregaglia liegt nämlich bereits auf der Südseite der Alpen und grenzt an Italien. Dort bewirtschaften Kastanienbauern ihre Bäume in sogenannten Selven und dörren die geschälten Früchte in einer Räucherhütte, der Cascina.

Seit Jahrhunderten verarbeiten die Südschweizer ihre Kastanien zu Mehl und backen daraus Kastanienkuchen und Kastanienbrot. Sie nutzen die Früchte als Zutat für Salami und Likör, legen sie in Cognac ein oder machen daraus üppige Desserts wie Vermicelles.

Manuela Marazzi stammt aus Bondo, einem von sechs Dörfern der Gemeinde Bregaglia. Sie erntet von ihren eigenen Bäumen nicht nur jährlich bis zu 300 Kilogramm Kastanien, sondern sie ist auch eine der größten Produzentinnen für lokale Kastanienprodukte.

Vermicelles mit und ohne Räuchernote

Die 52-Jährige bereitet ihr Vermicelles im Gegensatz zu Heide aus gedörrten Kastanien zu. Dadurch bekommt die Vermicelles eine besondere Räuchernote, denn in den Cascinas werden die Maronen ja per heißem Rauch getrocknet und damit auch gleichzeitig etwas geräuchert.

Allerdings müssen die gedörrten Kastanien erst wieder schonend aufquellen. Marazzi erledigt das mit einem Dampfkochtopf. Sie gibt aber auch zu: "Ein Vermicelles aus frischen Zutaten ist viel Arbeit. Das machen wir nicht so oft."

Auch die Schweizer greifen beim Vermicelles letztlich gerne auf Convenience-Produkte zurück oder kaufen sie gleich fix und fertig als Törtchen im Supermarkt. Egal, ob gekauft oder selbst zubereitet: Wer gerne Kastanien isst, für den ist Vermicelles in jedem Fall eine köstliche Erweiterung des Dessert-Portfolios.


Klassisch oder gedörrt: Schritt für Schritt zu Vermicelles

Sie wollen Vermicelles mal ausprobieren? Kein Problem, zwei Expertinnen stelle zwei Wege vor, wie die Schweizer Spezialität auch daheim gelingt.

Rezept Nr. 1: Vermicelles ganz klassisch aus ganzen (TK-)Kastanien 

Entwickelt hat das erste Vermicelles-Rezept Sabine Heide von Swissmilk, der Marketing-Organisation der Schweizer Milchproduzentinnen und Milchproduzenten. Und so geht's:   

Zutaten für vier Portionen:

  • 250 ml Milch
  • Mark aus 1/2 Vanillestange
  • 500 g tiefgekühlte Esskastanien (meist roh oder nur blanchiert)
  • 3 EL Zucker
  • Optional: 2 EL Kirschwasser
  • 250 ml Schlagsahne
  • 4 bis 8 Stück Schaumgebäck (Meringues)

Zubereitung: 

1. Milch, Vanillemark und -schote zusammen vorsichtig aufkochen, denn Milch brennt schnell an. Die geschälten, aber rohen Esskastanien und Zucker dazugeben. Anschließend die Kastanie in der Milch etwa 20 bis 25 Minuten bei mittlerer Hitze kochen. Zur Orientierung: Fertig gekochte Kastanien zerfallen ähnlich wie gegarte Kartoffeln.

Insidertipp von Sabine Heide: "Wer gerne Röstaromen mag, ritzt die Kastanien ein, röstet sie zehn Minuten im Ofen und kocht sie anschließend. Die Kochzeit verkürzt sich dann um zehn Minuten."

Wer selbst gesammelte Kastanien verarbeiten möchte, kann die Kastanien auch in der Schale etwa 25 bis 30 Minuten in Wasser kochen, anschließend schälen und dann mit den oben genannten Zutaten vermengen.

2. Anschließend das Milch-Vanille-Zucker-Kastanien-Gemisch pürieren. Die Masse sollte gemäß Konditorin Sabine Heide die Konsistenz zwischen weicher Butter und Marzipan haben, "also etwas fester als weiche Butter, aber etwas weniger fest als Marzipan". Falls die Masse zu dick ist, kann man sie mit etwas Milch verdünnen.

3. Das Püree nun auskühlen lassen. Optional kann man etwas Kirschwasser unterrühren. Wer keinen Alkohol mag oder will, lässt diesen natürlich weg.

4. So lange die Masse auskühlt, schlägt man die Schlagsahne steif und stellt sie in den Kühlschrank.

5. Richten Sie die gekauften Meringues (Schaumgebäck) auf vier Tellern an. 

6. Nun geht es an die "Würmchen", die aus dem Kastanienpüree gepresst werden. Wer keine Vermicelles-Presse hat, kann eine Spätzlepresse nutzen. Die Würmer werden dann allerdings etwas dicker. Man kann das Püree aber auch durch einen Fleischwolf oder eine Kartoffelpresse drücke. Noch eine Option: Man füllt die Masse in ein Gebäckspritze und verteilt die Masse als "dicken Wurm" auf dem Schaumgebäck. 

7. Zum Abschluss die braunen Vermicelles mit der Schlagsahne krönen.


Rezept Nr. 2: Vermicelles aus gedörrten Kastanien 

Das Rezept stammt von Manuela Marazzi aus der Schweizer Gemeinde Bregaglia. sie bereitet das Dessert mit gedörrten Kastanien zu, wodurch sie eine Räuchernote bekommen. 

Zutaten für 4 bis 5 Personen: 

  • 250 g gedörrte Kastanien
  • 550 ml Wasser
  • 2 Prisen Salz
  • 50 ml Schlagsahne
  • Evtl. ein Schuss Ruhm
  • 4 bis 5 Stück Schaumgebäck (Meringue)
  • 200 ml Schlagsahne für die Sahnehäubchen

Für den Zuckersirup: 

  • 50 Gramm Wasser
  • 50 Gramm Zucker

Zubereitung: 

1. Die gedörrten Kastanien mit dem Wasser und Salz eine Stunde in einem Dampfkochtopf köcheln lassen, sodass sie quellen. 

2. Während dieser Zeit 50 ml Wasser mit 50 g Zucker aufkochen und den Sirup abkühlen lassen.

3. Nun die gekochten Kastanien pürieren, anschließend mit dem Zuckersirup und den 50 ml Schlagsahne verrühren.

4. Schaumgebäck auf Tellern anrichten. Die Maronenmasse durch eine Kartoffelpresse oder eben ein anderes Gerät pressen. Anschließend die Schlagsahne steif schlagen und auf den Würmchen verteilen.