Dienst statt Schlaf

Was Nacht- und Schichtarbeit mit uns macht

Gerade die Nachtarbeit kann gefährlich sein.

11.03.2020 UPDATE: 11.03.2020 14:18 Uhr 3 Minuten, 21 Sekunden
Rund um die Uhr: Schicht- und Nachtdienst ist in vielen Jobs Alltag - der Krankenpflege zum Beispiel. Foto: dpa

Bremen/Berlin (dpa) - Arbeiten, wenn andere schlafen: Zum Beispiel in Krankenhäusern, bei der Polizei oder in der Industrie ist das keine Seltenheit. Das macht nicht nur dauermüde, es ist auch ungesund. Das können Nacht- oder Schichtarbeiter nur bedingt beeinflussen. Aber es gibt ein paar Tipps, wie man mit seinen Arbeitszeiten besser zurechtkommen kann.

Welche Gefahren bestehen für Menschen, die im Nacht- und Schichtdienst arbeiten? An erster Stelle stehen laut Prof. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums an der Charité Berlin, Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems wie Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen - zumindest was die Häufigkeit angeht.

An zweiter Stelle folgen Stoffwechselerkrankungen. Das können neben Magen-Darmproblemen auch eine Insulinresistenz oder in der Folge Diabetes sein. Das gilt natürlich nicht ab der ersten Frühschicht oder dem ersten Nachtdienst. "Etwa ab dem fünften Jahr wird es gesundheitsgefährdend", sagt Fietze.

Nachtarbeit und Krebs

Vor allem die Nachtarbeit birgt aber noch mehr Gefahren, wie eine Auswertung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2019 zeigt: "Auf Basis dessen, was wir jetzt wissen, sind wir zu der Einschätzung gekommen, dass Nachtarbeit wahrscheinlich krebserregend ist", erklärt Prof. Hajo Zeeb vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), der an der Auswertung mitgearbeitet hat.

Aber warum schadet uns die Nachtarbeit? "Nachts erholt sich auch das Immunsystem", erklärt Fietze. Wer in der Nacht arbeitet und am Tag schläft, der hat somit ein weniger gut funktionierendes Abwehrsystem. Das gilt auch, wenn man den Schlaf tagsüber so gut wie möglich nachholen möchte: "Die Qualität des Schlafs ist am Tag immer schlechter und man schläft kürzer", so Fietze.

Das liegt zum einen daran, dass die Körpertemperatur am Tag höher ist. Außerdem ist der Cortisol-Spiegel, also die Menge des sogenannten Stresshormons, erhöht. Und zu guter Letzt fehlt am Tag, wenn es hell ist, das Schlafhormon Melatonin. Das alles hat zur Folge, dass der Körper nicht richtig zur Ruhe kommt.

Verträglichkeit ist eine Typfrage

Manche Menschen kommen damit zurecht, andere nicht. "Es gibt noch keine Prädiktoren, wer Schichtarbeit verträgt und wer nicht", sagt Fietze. Warnsignale, dass einem Nacht- und Schichtarbeit nicht bekommen, gibt es laut Fietze viele: Man ist unkonzentriert, es passieren vermehrt Fehler oder sogar Unfälle, man ist geistig und körperlich nicht leistungsfähig, man hat schlechte Laune oder das Gedächtnis lässt nach.

Dass die Schichtarbeit müde mache, sei hingegen normal, sagt Fietze. "Solange Schichtarbeiter an mehreren freien Tagen oder im Urlaub gut schlafen, ist die Welt noch in Ordnung. Wenn sie in diesen Zeiten genauso schlecht schlafen wie in der Arbeitswoche, dann ist das ein ernst zu nehmendes Warnsignal." Besser nicht im Schichtdienst arbeiten sollten Menschen mit ohnehin schon sensiblem oder schlechtem Schlaf, chronisch Kranke, wer einen weiteren Job hat oder familiär sehr eingebunden ist.

Und auch das Alter kann ein Problem sein - zumindest, wenn man erst mit über 55 Jahren in ein solches Arbeitsregime einsteigt. Denn gewöhnen tut man sich an Nacht- oder Schichtarbeit nicht, sagt Hans-Günter Weeß, Psychologe und Leiter des Schlafzentrums am Pfalzklinikum. "Unsere Schlafgene sind noch die der Steinzeit. Sie wissen nicht, dass wir uns in einer 24-Stunden-Non-Stop-Gesellschaft befinden."

Lerchen in die Frühschicht

Die meisten Menschen gelten als sogenannte Eulen: Sie würden am liebsten zwischen 23:30 und 2.00 Uhr ins Bett gehen und zwischen 7:30 und 9:30 Uhr wieder aufstehen, erklärt Weeß. Gut wäre es deshalb, wenn Menschen, die ohnehin Frühaufsteher sind - die sogenannten Lerchen - die Frühschichten übernehmen würden. Die Langschläfer machen dann dafür den Spät- und Nachtdienst.

Wenn in Wechselschichten gearbeitet wird, sei es laut Weeß besser, in kurzrotierenden Schichten zu arbeiten: also zwei Tage Frühdienst, zwei Tage Spätdienst, zwei Tage Nachtdienst und dann eine längere Erholungspause. "So fängt der Körper gar nicht erst an, sich anzupassen", erklärt Weeß. Wer etwa für jeweils eine Woche eine Schicht übernehme, befinde sich in einer Art Dauer-Jetlag, was langfristig belastender ist.

Wichtig sei außerdem, dass die Schichten, die aufeinander folgen, vorwärtsrotierend sind. Das heißt: zuerst Frühschicht, dann Spätschicht und dann Nachtschicht.

Mehr Schlafqualität für bessere Schichtarbeit

Aber: Die Chronobiologie, also der biologische Rhythmus des Menschen, stellt laut Weeß nur einen Teil des Problems dar. Viele Probleme von Menschen im Schichtdienst liegen in einer Ein- und Durchschlafstörung begründet, die man durchaus beeinflussen kann. Ein gängiges Problem ist zum Beispiel: Man liegt im Bett, will unbedingt schlafen, schaut ständig auf die Uhr und rechnet aus, wie viele Stunden einem noch zum Schlafen bleiben.

Das führt zu einer schlafverhindernden Anspannung, die schichtbedingten Schlafstörungen werden zusätzlich verstärkt. Daran zu arbeiten, sei ein längerer Prozess und die Lösungen sehr individuell, sagt Weeß. Aber ein paar Regeln können jedem helfen, besser zu schlafen - darunter der Verzicht auf Mittagsschlaf und andere Nickerchen. "Wer schlafen will, bleibt wach", nennt der Experte das.

Weeß gibt einen weiteren Tipp: "Der Wecker muss weg, nachts wird nicht auf die Uhr geschaut." Den Wecker sollte man aber natürlich so positionieren, dass man ihn hören kann, wenn er klingelt. Und: "Man sollte das nächtliche Aufwachen entkatastrophisieren", rät Weeß und erklärt: "Wach werden gehört zum Schlafen mit dazu. Und es dürfen einmal auch schlechtere Nächte mit mehr Wachphasen auftreten, ohne dass das Leistungsvermögen am nächsten Tage gleich bedeutsam beeinträchtigt ist."