Rückehr des Wolfes in die Region

Wachsame "Geschwister" schützen vor Angriffen

Herdenschutzhunde sollen Schafe vor Wolfsangriffen schützen - Erste Tiere sind schon im Einsatz - Zum Beispiel in Michelbach

02.11.2017 UPDATE: 03.11.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden

Wanderschäfer Manfred Voigt.

Von Lena Müssigmann

Michelbach an der Bilz. Alara und Hugh steckt eine Nachtschicht in den Knochen, aber davon lassen sie sich nichts anmerken. Sie sitzen mit wachem Blick vor 500 dösenden Schafen, als ihr "Chef", Wanderschäfer Manfred Voigt (67), am Morgen nach ihnen sieht. Alara und Hugh sind Herdenschutzhunde. Die Tiere werden bei Schafen geboren, wachsen mit ihnen auf und leben mit ihnen auf der Weide, erklärt Voigt. "Schafe sind für die Hunde wie Geschwister, die sie ein Leben lang verteidigen - bis aufs Blut."

Anfang Oktober wurde der erste Wolfsriss in Baden-Württemberg seit 100 Jahren bei Heilbronn gemeldet. Ein Wolf gelangte über Bachläufe auf die Schafweide, tötete zwei Lämmer und verletzte eines so schwer, dass es notgeschlachtet werden musste.

Hintergrund

Erfahrungen mit Herdenschutzhunden

Schäfereien und andere Nutztierhalter wollen sich auf die Rückkehr des Wolfes vorbereiten. Herdenschutzhunde könnten ein Teil der Lösung sein. In einem Pilotprojekt haben Landesschafzuchtverband und Naturschutzbund den Einsatz von

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Erfahrungen mit Herdenschutzhunden

Schäfereien und andere Nutztierhalter wollen sich auf die Rückkehr des Wolfes vorbereiten. Herdenschutzhunde könnten ein Teil der Lösung sein. In einem Pilotprojekt haben Landesschafzuchtverband und Naturschutzbund den Einsatz von solchen Hunden in drei Schafherden in Michelbach an der Bilz (Kreis Schwäbisch Hall), Aidlingen (Kreis Böblingen) und St. Blasien (Kreis Waldshut) ausprobiert.

Die Hunde: Herdenschutzhunde leben mit der Herde auf der Weide und fühlen sich den Schafen oder Ziegen gehörig. Im Pilotprojekt werden Pyrenäenberghunde eingesetzt. Ein ausgebildetes Tier hat nach Angaben des Landesschafzuchtverbandes 7000 Euro gekostet. Die Landesregierung hat sie bezahlt.

Ihre Aufgabe: Herdenschutzhunde sind ohne Schäfer mit den Schafen auf der Weide. Sie nutzen ihre feine Nase und ihr gutes Gehör, um Gefahren in der Umgebung auszumachen, anzuschlagen und Angreifer abzuwehren. In der Schäferei Voigt in Michelbach an der Bilz leben zwei Hunde in einer 500 Tiere zählenden Herde. Das werde aber nicht mehr ausreichen, wenn Wölfe im Rudel auftreten sollten, sagt Schäfers Manfred Voigt. Dann wird je 100 Schafe ein Herdenschutzhund gebraucht.

Der Umgang: Herdenschutzhunde sollte man nie anlocken, füttern oder berühren, rät der Landesschafzuchtverband. Spaziergänger sollten ruhig vorbeigehen und ihre Hunde an der kurzen Leine führen, damit die Herdenschutzhunde sie nicht als Gefahr ansehen.

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In einem Pilotprojekt testen drei Schäfereien in Kooperation mit dem Landesschafzuchtverband und dem Naturschutzbund seit 2015 die Arbeit mit Herdenschutzhunden. Grundsätzlich wird das Projekt von den Beteiligten als erster Schritt zu einem funktionierenden Herdenschutz in Baden-Württemberg angesehen. Doch es ist nach Angaben des Landesschafzuchtverbands schwierig, dass die Schafe den Hund als Herdenmitglied akzeptieren. Außerdem bereiten Vorschriften zur Hundehaltung den Schäfern Probleme.

Manfred Voigt macht mit seinem Landschaftspflegehof in Michelbach an der Bilz (Kreis Schwäbisch Hall) beim Pilotprojekt mit - "weil Schafe und Hunde mein Leben sind", sagt er.

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Im Hütealltag der Wanderschäferei übernehmen die Hunde die Nacht und die Frühschicht. Wenn Voigt zur Herde kommt, merkt er, ob die Hunde ereignislose Stunden verbracht haben, oder ob sie ihm vermitteln wollen "Du Chef, da war was". Er sucht dann nach Spuren, findet vielleicht neben dem Pferch eine ins Gras gewühlte Schneise einer Wildschweinrotte oder Spuren eines Fuchses. Einen Wolf oder seine Spuren hat er noch nie gesichtet, trotzdem sind seit einer Weile Ungewissheit auf dem morgendlichen Weg zur Weide ständiger Begleiter.

Der Herde auch bei Nacht einen Schäfer zur Seite zu stellen, wäre zu teuer. Die Tiere über Nacht in den Stall zu treiben, ist unmöglich: Derzeit grasen sie acht Kilometer vom Hof entfernt. Was den Schäfern noch Sorgen bereitet: Die bundesweit geltende Tierschutzhundeverordnung verbietet es eigentlich, Hunde innerhalb eines Elektrozauns zu halten. Sie dringen und hoffen derzeit auf eine rechtliche Klärung. Unter anderem wegen dieser offenen Frage will der Landesschafzuchtverband den Einsatz von Herdenschutzhunden noch nicht flächendeckend empfehlen.

Nach Ansicht des Bundesagrarministeriums bietet die bestehende Verordnung den Überwachungsbehörden der Länder ausreichend Flexibilität für einen Einsatz von Hunden. Es werde aber geprüft, ob eine Anpassung der Tierschutz-Hundeverordnung zu mehr Rechtssicherheit für die Tierhalter führen kann, teilte ein Ministeriumssprecher mit.

Die zurückliegende Nacht scheint friedlich gewesen zu sein. Die eineinhalbjährige Alara und der acht Jahre alte Hugh werfen sich ins taunasse Gras, ein Zeichen ihrer Unterwerfung gegenüber dem Schäfer. Sie vergraben ihre Schnauzen in seinen Händen, lassen sich am Hals kraulen und loben: "Ganz gut macht ihr das!"

Voigt hat die Tiere aus Brandenburg geholt, wo man schon mehr Erfahrung mit dem Wolf und somit auch mit Herdenschutzhunden hat. Ihr Charakter hat ihn überrascht. Sie seien lernfähiger, sensibler, aber auch nachtragender als andere Hunde. Man brauche Fingerspitzengefühl um die Hunde in eine Herde zu integrieren. Damit die Michelbacher Schafe sehen konnten, dass die Herdenschutzhunde keine Gefahr für sie darstellen, hat Voigt vier Schafe aus dem Herkunftsbetrieb der Hunde gleich mitgekauft. Als Vorbilder. Das habe geholfen.

Die Schicht von Alara und Hugh endet am späten Vormittag, wenn das Gras abgetrocknet ist. Voigt bringt sie in einen Anhänger, der in der Nähe der Weide geparkt ist. Dort sollen sie sich ausschlafen, damit sie zur Nachtschicht wieder fit und aufmerksam sind. Bis dahin hütet Voigt die Schafe.

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