Erstmals seit 100 Jahren

Wolf reißt ein Schaf in Baden-Württemberg

Züchter fordern Maßnahmen zum Herdenschutz

23.10.2017 UPDATE: 24.10.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 11 Sekunden

Wölfe reißen meist - wie hier - Wildtiere, etwa Rehe. Nutztiere greifen sie vor allem dann an, wenn die für sie leichter erreichbar sind. Archivfoto: Getty Images/iStockphoto

Von Lena Müssigmann

Stuttgart. Seine Lämmer-Weide war plötzlich ein trauriger Ort für Michael Straußberger (35), als er am Samstag vor gut zwei Wochen dort ankam. Zwei Lämmer waren tot, eines fast ganz aufgefressen, wie der Nebenerwerbsschäfer aus dem 350-Einwohner-Dorf Widdern-Unterkessach im Kreis Heilbronn berichtet. Ein drittes Tier war so schwer verletzt, dass Straußberger es notschlachten musste. Er rief die Polizei, der Jagdpächter kam hinzu. Er war geschockt.

Hintergrund

Wölfe erkennen

Niemand verwechselt einen Mops mit einem Wolf. Dabei sind Haushunde direkte Nachfahren des Wolfs. An manchen Hunderassen lässt sich das deutlich erkennen. Ähnlichkeiten zwischen den Spezies führen häufig zu Diskussionen, wenn bei

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Wölfe erkennen

Niemand verwechselt einen Mops mit einem Wolf. Dabei sind Haushunde direkte Nachfahren des Wolfs. An manchen Hunderassen lässt sich das deutlich erkennen. Ähnlichkeiten zwischen den Spezies führen häufig zu Diskussionen, wenn bei Nutztierrissen nur Fotobeweise belegen sollen, dass ein Wolf am Werk war. An diesem Nachweis entscheidet sich in vielen Fällen, ob ein Schäfer für gerissene Tiere entschädigt wird.

Optisch unterscheiden sich erwachsene Wölfe etwa durch helle Schnauzenbereiche und kleine dreieckige Ohren von vielen Hunderassen. Bei den Wildtieren hängt fast immer der Schwanz herab. Eindeutige Auskunft bringt aber nur ein Gentest. Auch Pfotenabdrücke können selbst Experten trügen.

Wenn sich Wölfe und Hunde paaren, spricht man beim Nachwuchs von Mischlingen oder Hybriden, weil die Eltern aus unterschiedlichen Spezies stammen. Wolfhunde sind eine Rasse, die aus einer Vermischung von Hunden und Wölfen gezielt gezüchtet wurde, um Hunde mit dem Aussehen eines Wolfes zu erhalten. Allerdings werden auch einzelne Rassen als "Wolfshund" bezeichnet, die ursprünglich für die Wolfsjagd gezüchtet wurden. Diese - wie der Irische Wolfshund - sehen dem wilden Vorfahr nicht mehr ähnlich. dpa

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Die Männer fragten sich: Wer macht so was? Wilderne Hunde? Oder etwa ein Wolf? Sie stellten Wildkameras auf und ließen die Kadaver liegen - vergeblich. Erst die genetische Untersuchung von Proben der getöteten Lämmer gibt Gewissheit: Zum ersten Mal seit 100 Jahren hat ein Wolf Schafe in Baden-Württemberg gerissen, teilte das Umweltministerium am Montag mit.

Die Wolfsexperten von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg ahnen, dass es sich um jenen Wolf handelte, der am 3. September im hessischen Teil des Odenwalds gesichtet wurde. Die Wildbiologin Judith Ohl hält ihn für ein Jungtier, das die Region nördlich von Heilbronn auf der Suche nach einem Revier durchstreift hat. Obwohl er sich vor allem von Wildtieren ernähre, fresse er auch Schafe, wenn sie einfacher erreichbar seien. Die Weide war nicht umzäunt, sondern nur durch den Bach Kessach und einen Mühlkanal abgegrenzt - für einen Wolf kein Hindernis.

Schafhalter Straußberger kann in den nächsten Wochen mit Geld vom Naturschutzbund (Nabu) rechnen, der den Ausgleichsfonds Wolf verwaltet und jetzt erstmals Geld auszahlen muss. "An erster Stelle steht jetzt eine schnelle und unbürokratische Hilfe für den geschädigten Schäfer", erklärt Markus Rösler, naturschutzpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion. "Mit dem Hilfsfonds stehen dafür Mittel bereit." Je nach Rasse, Alter, Geschlecht bekommt der Halter zwischen 50 und 400 Euro pro gerissenem Tier. Wölfe sind streng geschützt, wer sie abschießt, begeht eine Straftat.

Den Schafzüchtern geht das zu schnell. Die Ideen aus einem gemeinsam mit dem Nabu betriebenen und vom Land mit 200.000 Euro unterstützten Pilotprojekt zum Herdenschutz müssten erst noch umgesetzt werden, sagt die Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands, Anette Wohlfarth. Mehrere Schäfer hätten am Montag nach der Nachricht vom Wolfsriss beim Verband angerufen und gefragt: "Was machen wir jetzt?"

Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) bittet Nutztierhalter, nicht in Panik zu verfallen. Sein Ministerium weist außerdem darauf hin, dass es ungewiss sei, ob der Wolf überhaupt in der Region bleibe. Auch das Landratsamt des Neckar-Odenwald-Kreises gibt Entwarnung: Man sei mit einem klaren Melde- und Arbeitskonzept "gut auf den Wolf vorbereitet", teilte es am Montag auf Anfrage der RNZ mit. Erst Anfang September war in Wald-Michelbach im Odenwald ein Wolf fotografiert worden.

Der Herdenschutzbeauftragte der Rinderunion, Torsten Sommer, fordert eine Rechtssicherheit, dass dem Tierhalter alle Schäden ersetzt werden, die in der Folge eines Wolfsangriffes entstehen. Und er will ein Schmerzensgeld für die Tierhalter, die mit dem ideellen Verlust und dem psychischen Belastung klar kommen müssten. In Niedersachsen und Brandenburg etwa ließen Bauern ihre Kühe nicht mehr auf der Weide kalben aus Angst vor Angriffen auf die Kälber.

In Widdern hat Straußberger die drei Lämmer, die die Nacht mit dem Wolf überlebt haben, im Stall in Sicherheit gebracht. "Die sind ziemlich verstört, erschrecken, wenn ich die Stallstür aufmache", sagt er. Seine sieben Mutterschafe und ein Hammel seien auf einer anderen Weide gewesen und hätten nichts mitbekommen. Sie lässt er weiter draußen. "Ich verfall nicht in Panik." Straußberger hofft, dass der hungrige Wolf nur ein Durchzügler war.

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