"Natürlich habe ich Angst um meine Schafe"
Nach dem Wolfsriss bei Unterkessach besuchte die RNZ den Schäfer - Wie gelingt der Herdenschutz?

Der Adelsheimer Schäfer Helmut Weniger mit seiner Schafsherde und drei Hütehunden. Nach dem Wolfsriss in Unterkessach hat er Angst um seine Schafe. Foto: Dominik Rechner
Adelsheim. (dore) Der Wolf ist nach über einem Jahrhundert zurück in der Region: Wie die RNZ in ihrer Ausgabe vom 24. Oktober berichtete, fielen Anfang des Monats in Unterkessach mehrere Lämmer einem Wolf zum Opfer. Nachdem im September ein Tier bei Wald-Michelbach gesichtet wurde, scheint er sich nun auch in den Gefilden im und um den Neckar-Odenwald-Kreis aufzuhalten. Was Tierschützer erfreut, bereitet den heimischen Schafzüchtern große Sorgen.
Die RNZ besuchte den Adelsheimer Schäfer Helmut Weniger auf seiner Weide und sprach mit ihm über die aktuelle Situation. "Natürlich habe ich Angst, dass meine Schafsherde auch eines Tages dran ist", erzählt der Schäfer. "Schon vor dem Vorfall mit den getöteten Lämmern hat ein Ehepaar aus Sennfeld zwei Wölfe gesehen. Und ein Bekannter aus Leibenstadt hat einen Wolf bei Weigental (in der Nähe von Leibenstadt, Anm. d. Red.) gesichtet. Das ist nicht weit von meinen Schafsweiden entfernt." Ob es sich hier tatsächlich um Wölfe oder lediglich um Hunde handelte, sei einmal dahin gestellt. Dass sich ein Wolf in der Nähe von Adelsheim aufhält oder aufgehalten halt, beweist der Vorfall in Unterkessach.
Helmut Weniger meint, dass seine Herde in der nächsten Zeit besonders gefährdet sei, da die Mutterschafe nun wieder anfingen, Lämmer auf die Welt zu bringen. Diese seien besonders begehrt beim Wolf. Dem Schäfer aus Adelsheim bereitet vor allem auch der Gedanke Sorge, dass sich die Wölfe, wenn sie Junge bekämen, zu einem Rudel vermehren könnten.
Der Adelsheimer Schäfer betreibt seine Arbeit hauptberuflich seit 35 Jahren. Etwa 300 Tiere hat er in seiner Schafsherde. "Es ist eine anstrengende Arbeit, bei jedem Wetter. Ich kann bei schlechtem Wetter natürlich nicht sagen, ich bleibe daheim. Um die Schafe muss man sich immer kümmern", so Weniger. Das Futter baut er überwiegend selbst an. Zusätzlich lebt er noch von der Landwirtschaft, mit Ackerbau und einem guten Dutzend Milchkühen. Geld für seine Arbeit als Schäfer bekommt Weniger vor allem durch den Verkauf von Lammfleisch. Die Wolle dagegen bringt kaum etwas ein. Sie wird billig nach Bremerhaven und von dort Richtung China exportiert. So ist es nicht verwunderlich, wenn Weniger sagt: "Viele Schäfer machen da nicht mehr mit und geben ihren Beruf auf."
Wenn eines oder mehrere Schafe gerissen werden, bekommt der Schäfer jedoch eine finanzielle Entschädigung vom Land. "Die Lämmer fehlen mir dann aber trotzdem", meint Weniger, der das Ganze dennoch skeptisch sieht. "Natürlich bin ich froh, dass bei meiner Herde noch nichts passiert ist. Doch ich habe jeden Morgen die Ungewissheit, ob vielleicht ein Anruf mit der Nachricht kommt, dass den Schafen etwas zugestoßen ist."
Zwar sei die Herde, wenn er nicht da ist, von einem Weidezaun mit Strom umgeben. Doch dieser Zaun würde kaum einen Wolf davon abhalten können, ein Schaf zu reißen, sagt Weniger. Selbst die Schafe könnten bei einer durch einen Wolf ausgelösten Panik den Zaun überwinden. Auch seine drei Hütehunde würden gegen einen Wolf wahrscheinlich den Kürzeren ziehen.
Doch was können die Schafzüchter dann tun, um ihre Tiere vor Wölfen zu schützen? Weniger glaubt, dass ein höherer Zaun etwas nutzen würde. Seine Meinung deckt sich mit der von Forschern der dänischen Universität in Aalborg, die in einer Studie eine Zaunhöhe zwischen 115 und 145 Zentimetern statt den herkömmlichen etwa 100 Zentimetern empfehlen.
Wie das "Magazin für Schafzucht" berichtet, hat die Bundestagsfraktion "Die Linke" vor Kurzem eine "Kleine Anfrage" an die Bundesregierung zum Thema "Schutzmaßnahmen gegen Wölfe" gestellt. Die Bundesregierung antwortete darauf zusammenfassend, dass der Schutz von Herden vor dem Wolf durch elektrisch geladene Draht- und Litzenzäune in von Fachleuten empfohlener Höhe und durch den Einsatz von Herdenschutzhunden erreicht werden könne. Darüber hinaus sei "zu prüfen, ob Wölfe einzeln oder als Rudel entnommen werden können, wenn entsprechende Schutzmaßnahmen zum Beispiel auf Grund topographischer Schwierigkeiten nicht möglich sind". Im Einzelfall könnten Wölfe, die wiederholt Herdenschutzmaßnahmen überwinden, mit Genehmigung der zuständigen Behörde entnommen werden. Generell sei das Ziel aber, Akzeptanz bei der Bevölkerung und den Landnutzern gegenüber dem Wolf zu schaffen, indem man die richtigen Herdenschutzmaßnahmen anwende.
Bei einem zweijährigen Pilotprojekt haben der Landesschafzuchtverband (LSV) Baden-Württemberg und der NABU Baden-Württemberg den Einsatz von Herdenschutzhunden bei drei Betrieben und den von Elektronetzen bei weiteren drei Testbetrieben geprüft. Das Ergebnis: die Integration von Herdenschutzhunden bei Schafherden mit Hütehunden ist schwierig, der LSV empfiehlt daher eher die Verwendung von Elektronetzen. Da der flächendeckende Herdenschutz in Baden-Württemberg offensichtlich noch nicht funktioniere, so LSV-Geschäftsführerin Anette Wohlfahrt im "Magazin für Schafzucht", plädieren LSV und NABU an die Landespolitik, Folgeprojekte zu ermöglichen. Zahlreiche Fragen seien noch offen.
Der Umgang mit der Rückkehr des Wolfes nach Baden-Württemberg wurde gestern im Landtag diskutiert. Dazu waren Experten - unter anderem vom Bundesamt für Naturschutz, dem Landesjagdverband und dem Landesschafzuchtverband - eingeladen. Ein Experte gab dabei kund, dass er innerhalb der nächsten fünf Jahre mit einer Rudelbildung von Wölfen in Baden-Württemberg rechne.