Landtagswahl Baden-Württemberg

Warum FDP-Spitzenkandidat Rülke zuversichtlich ist

"5,0 Prozent sind natürlich die Schmerzgrenze". Er pflegt ein enges Verhältnis zu CDU-Chef Hagel.

06.09.2025 UPDATE: 06.09.2025 04:00 Uhr 5 Minuten, 36 Sekunden
Abgeordnete sitzen im Plenarsaal bei einer Landtagsdebatte. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Interview
Interview
Hans-Ulrich Rülke
FDP-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Dass seine Partei derzeit eher maue Umfragewerte verkraften muss, scheint Hans-Ulrich Rülke wenig zu beeindrucken. Das ist zumindest der Eindruck, den der baden-württembergische FDP-Partei- und Fraktionschef beim Redaktionsbesuch hinterlässt. Aber der 63-Jährige hat schließlich Routine darin, auch in scheinbar heiklen Phase phantastische Wahlergebnisse für seine Partei zu holen. Begleitet wird er an diesem Tag von Parteifreundin Claudia Felden, Bürgermeisterin in Leimen, die hofft, über Platz 4 der Landesliste in den nächsten Landtag zu kommen.

Herr Rülke, dies wird Ihr dritter Wahlkampf als FDP-Spitzenkandidat hier im Land. Der erste ohne Christian Lindner als Bundesparteichef. Wie fühlt sich das so an?

Naja, der erste Wahlkampf 2016 war zwar mit einem Bundesvorsitzenden Christian Lindner, aber einem Bundesvorsitzenden der außerparlamentarischen Opposition. Und vor diesem Hintergrund ist das Gefühl nicht ganz neu. Ich gehe schon davon aus, dass wir in Baden-Württemberg das selber schaffen müssen und uns nicht auf die Bundespartei verlassen.

Empfinden Sie es bei allem Wehmut über einen Bundestag ohne FDP als eine gewisse Freiheit, weil der Fokus voll auf Ihnen und Ihrer Rolle im Land liegt?

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Wenn man nicht im Bundestag vertreten ist, dann bedeutet das schon einen Wahrnehmungsverlust. Und dieser Wahrnehmungsverlust ist nicht hilfreich. Andererseits: Diese größere landesspezifische Aufmerksamkeit ist mir ehrlich gesagt lieber, als wenn bei der Landtagswahl über Berlin abgestimmt würde. Es wird um das landespolitische Personal gehen, um landespolitische Themen und um eine mögliche Regierungskonstellation für Baden-Württemberg, nicht für den Bund.

Die letzten Wochen hatte man den Eindruck, dass Sie sehr darauf setzen, als Teil eines schwarz-gelben Duos mit CDU-Spitzenkandidat Manuel Hagel. wahrgenommen zu werden. Warum ist diese Beziehung zur CDU Ihnen gerade so wichtig?

Wenn ich die Frage gestellt bekomme, woran ist die Ampel gescheitert, dann ist der wichtigste Grund meines Erachtens, dass die tragenden Persönlichkeiten, also die Herren Scholz, Habeck und Lindner, nicht miteinander konnten, sich misstraut haben, sich zumindest hinter den Kulissen gegenseitig bekämpft haben.

Politiker in einer Regierung müssen nicht zwingend persönlich miteinander befreundet sein, wie das bei Manuel Hagel und mir inzwischen der Fall ist, aber sie müssen zumindest ein hinreichend vertrauensvolles Arbeitsverhältnis haben, um gemeinsam eine Koalition zum Erfolg bringen zu wollen. Und das ist mir die wichtigste Lehre aus dem Scheitern der Ampel.

Und inhaltlich fühlen Sie sich auch wohl, wenn Sie sagen, als FDP richten wir uns eher liberal-konservativ aus?

Ja. Nehmen wir die Wirtschaftspolitik, nehmen wir die Frage der Zukunft unserer Schlüsselindustrie, der Automobil- und Zulieferindustrie: Da bin ich zutiefst davon überzeugt, dass wir einen technologieoffenen Ansatz brauchen. Das ist beim Kollegen Hagel auch der Fall. Auch in anderen zentralen Politikfeldern, bei der Bildung, bei der Migration, sind wir uns relativ nahe.

Jetzt erleben wir vermutlich einen Wahlkampf, der sehr auf die Frage zugespitzt ist: Schafft es die CDU wirklich wieder stärkste Kraft im Land zu werden oder gelingt Cem Özdemir doch noch die Überraschungsaufholjagd.

Sieht nicht danach aus.

Warum sollten da Wähler, die zwischen FDP und CDU schwanken, nicht lieber die CDU stärken, wenn Liberale und Konservative inhaltlich so nah beieinander sind?

Also zum Regierungshandeln der CDU gibt es schon Unterschiede. Und es ist eben ein Unterschied, ob die Grünen als Koalitionspartner die CDU in ihre Richtung ziehen oder ob die FDP die CDU in eine andere Richtung zieht. In der Bildungspolitik hat sich die CDU unter dem Druck der Grünen dazu hinreißen lassen, jetzt die Werkrealschule abwickeln zu wollen. Das wollen wir nicht.

Auch bei der Inneren Sicherheit gibt es Unterschiede. Die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte würden wir gerne wieder zurück nehmen. Wir wollen auch dieses Antidiskriminierungsgesetz nicht, das die Grünen gerne hätten. Da ist im Moment noch unklar, ob die CDU es mitträgt.

Also: FDP wählen, damit die Grünen nicht erneut an der Seite der Schwarzen regieren?

Ob jetzt jemand sagt, ich wähle die FDP aufgrund ihrer Inhalte oder ich wähle die FDP, um die CDU auf den rechten Weg zu führen, oder ich wähle die FDP, um die Grünen in die Opposition zu verbannen: Das ist alles recht. Letztlich nehme ich gerne jede Wählerstimme.

Mit Blick auf die Umfragen wird es nicht für Schwarz-Gelb reichen. Das heißt, die SPD müsste für eine Regierung ohne die Grünen mit dabei sein. Wie sehen Sie die Sozialdemokraten in so einem gemeinsamen Projekt?

Richtig ist, dass im Moment die Umfragen eine bürgerliche Koalition von zwei Partnern nicht hergeben. Das heißt nicht, dass sich das nicht noch im Wahlkampf ändert. Wenn es nicht klappt, wäre sicher das Beste für das Land Baden-Württemberg eine Dreier-Koalition mit der SPD. Aber mit der SPD kann man Kompromisse schließen – das haben wir bei den Gesprächen zu einer Bildungsallianz gesehen. Die sind nicht an unüberbrückbaren Barrieren zwischen CDU und FDP einerseits und der SPD andererseits gescheitert, sondern an Winfried Kretschmann.

Aber SPD und FDP stehen doch in so vielen Bereichen für unterschiedliche Ausrichtungen...

Schwierig ist traditionell das Feld der Haushaltspolitik. Ich sage mal so: Die SPD ist recht ausgabenfreundlich. Wir sind da eher für Haushaltssolidität. Aber ich glaube, dass die jüngsten Entscheidungen in Berlin auf jeden Fall im Haushalt erheblichen Spielraum schaffen werden. Und diese Spielräume würden eine Koalition mit der SPD leichter machen.

Neben Ihnen sitzt mit Frau Felden ja eine Bürgermeisterin im Raum: Die Kommunen sehen gar nicht so entspannt auf die Finanzen.

So ist es.

Ist es da nicht eine Illusion zu glauben, auf Landesebene gäbe es neue Spielräume? Das Geld müsste doch eigentlich direkt an die Kommunen weitergereicht werden.

Im Grunde genommen ist das genau der Knackpunkt: die Frage der Aufgabenbewältigung. Sowohl der Bund als auch die Länder schieben immer mehr Aufgaben nach unten, ohne die Kommunen und vor allem auch die Landkreise auskömmlich zu finanzieren. Das wird eine wesentliche Aufgabe der Zukunft sein, diesen Missstand zu beheben. Und ich glaube, dass das aus dem Landeshaushalt in Baden-Württemberg leistbar ist. Erst recht, wenn wir in Baden-Württemberg künftig durch neue Verschuldungsrechte noch weiteren haushalterischen Spielraum bekommen.

Das heißt, alles, was gerade so als Schreckensbild im Raum steht – geschlossene Schwimmbäder, Streichungen im Nahverkehr und bei der Kultur – sehen Sie gar nicht so dramatisch?

Nein, ich sehe die Dramatik. Was wir den Kreisen zumuten, bundesseitig, gerade im Sozialbereich oder im Krankenhausbereich, das ist schon enorm. Da brauchen wir schon auch Strukturreformen auf Bundesebene. Es gibt aber im kommunalen Bereich auch in erheblichem Maße Bereiche, wo Sie einsparen können. Ich kenne Beispiele aus Pforzheim, wo ich ja weiter selber im Gemeinderat tätig bin, da wird durchaus Geld unnötig versenkt. Es ist auch vor Ort möglich, zu solideren Haushalten zu kommen.

Das heißt, den Staat wieder zu verschlanken, ein klassisches FDP-Kernthema, ist Ihnen auch weiterhin noch ein Anliegen?

Das wird ein ganz zentrales Thema eines künftigen Koalitionsvertrages sein. Man muss an die Strukturen.

Viele Wahlkämpfe der letzten Jahre wurden durch das Thema Migration geprägt. Erwarten Sie das auch für das kommende halbe Jahr?

Also wir werden jetzt nicht von uns aus einen Migrationswahlkampf führen, sondern für uns sind die Schwerpunkte die Wirtschaft und die Bildungspolitik. Aber man kann als Partei nicht bestimmen, was die Menschen interessiert. 2016 wollten wir auch einen Wirtschafts- und Bildungswahlkampf führen, aber bei jeder Veranstaltung war ich spätestens nach fünf Minuten bei den Flüchtlingen, weil die Leute nur das interessiert hat.

Was wäre da aktuell Ihre Position?

Wir sind offen für Zuwanderung, wir wollen Zuwanderung, aber für Menschen, die arbeiten und die Spielregeln akzeptieren. Was wir nicht wollen, ist Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme und von Leuten, die Straftaten verüben. Das ist die klare Trennung und das unterscheidet uns einerseits vom Zuwanderungsoptimismus der Grünen und Angela Merkels, aber auf der anderen Seite auch vom Remigrationsfanatismus der AfD. Ich sehe aber auch, dass die Bundesregierung erste richtige Schritte gemacht hat. Es macht einfach einen Unterschied, ob eine Bundeskanzlerin Selfies macht mit Flüchtlingen oder ob die Leute hören, in Deutschland gibt es jetzt Grenzkontrollen.

Lassen Sie uns im Abschluss auf Ihre persönliche Rolle schauen. Sie haben schon gesagt: Wenn diese Wahl in die Hose geht, war’s das für Sie in der Politik. Was ist Ihre Schmerzgrenze? Die 5,0 Prozent?

Die 5,0 Prozent sind natürlich die Schmerzgrenze. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir diese Hürde schaffen. Wenn nicht, dann ist das meine persönliche Verantwortung als Spitzenkandidat, als Parteivorsitzender und als Fraktionsvorsitzender. Und dann werde ich meine politische Karriere zumindest mal auf Landesebene und auf Bundesebene beenden.

Manuel Hagel und Cem Özdemir liefern sich einen kleinen Wettbewerb darum, wer Winfried Kretschmann ähnlicher sei und wer der würdigere Erbfolger sein könnte. Haben Sie selbst an sich auch etwas beobachtet, das Sie in Kretschmanns Spuren bringt?

Mir wurde mal die Rolle des polternden Großvaters in der Landespolitik zugeschrieben. Da würde ich doch sagen: In den letzten zehn Jahren waren Großväter in der Landespolitik nicht nur erfolglos.

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