Lex Lucke
Beim Parteitag in Bremen drückt der AfD-Chef die neue Satzung durch - Seine Kontrahenten fühlen sich provoziert

Er ist der Gewinner der neuen Satzung: Bernd Lucke kann nun ab Dezember alleiniger Chef der Alternative für Deutschland werden. Foto: dpa
Von Kevin Hagen
Bremen. Die letzte Stunde vor der Entscheidung gehört ihm selbst. Als er merkt, dass an diesem späten Samstagabend doch noch die Würfel fallen könnten, springt Bernd Lucke immer wieder ans Rednerpult, stellt Anträge, weist Kritik aus den Reihen der Mitglieder zurück. Es soll jetzt schnell gehen - niemand soll mehr die neue Satzung der Alternative für Deutschland torpedieren. Es ist Luckes Satzung. Paragraf 13 (1) macht ihn im November zum alleinigen Chef der Partei - so der Plan.
Plötzlich reißt Lucke die Arme in die Luft, fällt sich mit Co-Sprecher Konrad Adam um den Hals. Seine Anhänger stimmen "AfD"-Rufe an. Ein früher Jubel. Da prangen die Balken kaum eine Sekunde auf der Leinwand - mit absoluten Zahlen aus zwei Räumen. Nur Blitzrechner können gewusst haben, ob das reicht.
67,5 Prozent. Am Ende steht fest, dass die AfD-Mitglieder beim Bundesparteitag in Bremen mit der nötigen Zweidrittelmehrheit für die von Lucke favorisierte Satzung gestimmt haben. Ende des Jahres gibt es einen statt - wie bisher - drei Sprecher. Dazu kommt ein hauptberuflicher Generalsekretär, der dem neuen Kopf der Partei zur Seite steht. Für eine Übergangsphase sollen im April Lucke und Petry als Doppelspitze gewählt werden. Petry will dann im Winter ins zweite Glied zurücktreten.
Es ist ein äußerst knappes Ergebnis in Bremen. Nur 0,9 Prozent weniger und Lucke wäre wohl nicht länger das Gesicht der Partei geblieben. Damit hatte er immer wieder gedroht. Auch an diesem Wochenende liegt diese Drohung in der Luft.
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Der Parteitag ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Wegen des starken Andrangs - letztlich reisten rund 1700 Mitglieder an -, musste die AfD neben dem Congress Centrum am Hauptbahnhof noch einen weiteren Saal hinzubuchen: das Musicaltheater. Kommuniziert wird über eine Videoleinwand. Das funktioniert nicht immer. Als der ins Tagungspräsidium gewählte Europa-Abgeordnete Marcus Pretzell mehrfach vergeblich versucht, Kontakt mit dem anderen Saal aufzunehmen, bleibt ihm nur noch die Ironie: "Ich liebe AfD-Parteitage", sagt er und schnauft kräftig durch.
Große Sorgen hatte es im Vorfeld gegeben, die Veranstaltung könnte im Chaos versinken. Nicht nur wegen der organisatorischen Hürden - sondern auch, weil die junge Partei zuletzt ein desolates Bild abgegeben hatte. An der Basis liegen sich Anhänger des wirtschaftsliberalen und des nationalkonservativen Flügels in den Haaren. Auch der Bundesvorstand fiel in der Vergangenheit durch nach außen getragene Schlammschlachten auf. Dass der moderate Lucke nach der alleinigen Macht greift, war vielen seiner Gegner bitter aufgestoßen.
Umso eindringlicher fällt zum Auftakt am Freitag sein Appell aus. "Lassen sie uns sachlich miteinander diskutieren", ruft Lucke den Mitgliedern entgegen. Daraus wird erst einmal nichts. Wie schon beim Landesparteitag in Karlsruhe verstrickt sich die Partei wieder zunächst in Geschäftsordnungsanträgen, wieder wird der baden-württembergische Landeschef Bernd Kölmel, ebenfalls Teil des Tagungspräsidiums, als "Lügner" beschimpft. Wieder ziehen sich Formalitäten quälend in die Länge.
Kurze Eintracht dann am Samstag. Als sich rund 3700 Gegendemonstranten auf dem Platz vor dem Congress Centrum versammeln, drängen sich AfD-Mitglieder auf den Balkon und schmettern die deutsche Nationalhymne.
Doch mit Luckes Erklärung, die er - anders als angekündigt - doch öffentlich abgibt, wird es wieder ernst. "Was wir als Bundesvorstand gemacht haben", sagt der 52-Jährige, "war stümperhaft." Es habe keine durchdachte Strategie, keine mittelfristige Planung und eine schlechte Koordination gegeben. Zu oft habe er als "Ausputzer" wirken müssen. Ein Affront gegen seine Widersacher, denen er gerade erst seinen Satzungs-"Kompromiss" aufgedrückt hatte.
Im Foyer des Congress Centrums blickt man später in entsetzte Gesichter aus dem konservativen Lager. "Das ist eher eine Kriegserklärung als eine Friedenspfeife", sagt AfD-Vize Alexander Gauland im RNZ-Gespräch. "Das war sicher nicht persönlich gemeint, aber ich lasse mich nicht als Stümper bezeichnen", schimpft Patricia Casale, ebenfalls stellvertretende Sprecherin. Und Frauke Petry sieht es so: "Bernd war mitnichten der Ausputzer. Er muss integrativ wirken. Da muss er noch nacharbeiten."
Lucke selbst rudert am Sonntag wieder zurück. "Das war vielleicht etwas missverständlich", sagt er der RNZ und lächelt. "Ich habe nicht die Vorstandsmitglieder, sondern die Bedingungen, unter denen wir gearbeitet haben, als stümperhaft bezeichnet." Da ist die Entscheidung über die Satzung aber auch schon längst gefallen - seine Satzung.