Mode-Schnäppchen und was sie wirklich kosten
Mal wieder nichts zum Anziehen? Viele kennen das: Obwohl der Schrank voll ist, hat man das Gefühl, dringend Shoppen zu müssen. Die damit verbundenen Umweltprobleme geraten da gerne in Vergessenheit.

Eine Frau sortiert Baumwolle auf dem Baumwollmarkt im indischen Kolkata. Foto: Piyal Adhikar
Von Vanessa Köneke, Nick Kaiser und Gisela Gross
Ahmedabad. Tops, Sonnenbrillen oder Badehosen - angepriesen für ein paar Euro. Billiganbieter für Mode und Sportartikel locken heute mit häufig wechselnden Sortimenten. Kunden verlassen die Läden oft mit großen Tüten. Dabei lässt sich feststellen: Auch vermeintliche Schnäppchen haben ihren Preis. Sie gehen oftmals auf Kosten der Umwelt - und damit auch von Menschen. Das zeigen Beispiele entlang der Kette vom Hersteller bis in den heimischen Kleiderschrank.
Wo kommt die Mode her? Einer der weltweit größten Exporteure von Bekleidung und Textilien ist Indien. Dort tragen gleich zwei Städte den Spitznamen "Manchester des Ostens" - nach der früheren Textilhauptstadt in England. Eine davon ist das westindische Ahmedabad. In der Region um die Metropole wird ein großer Teil der auf der Welt gebrauchten Baumwolle angebaut.
Hintergrund
> Internationaler Tag der Umwelt: Mit zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen wollen 150 Staaten alljährlich am 5. Juni das ökologische Bewusstsein stärken. Der Tag wurde erstmals am 5. Juni 1972 zu Beginn der Konferenz der Vereinten Nationen zum Schutz
> Internationaler Tag der Umwelt: Mit zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen wollen 150 Staaten alljährlich am 5. Juni das ökologische Bewusstsein stärken. Der Tag wurde erstmals am 5. Juni 1972 zu Beginn der Konferenz der Vereinten Nationen zum Schutz der Umwelt in Stockholm ausgerufen - vom United Nations Environment Programme (Umweltprogramm der UN). Seit 1976 feiert auch Deutschland den "World Environment Day". Der diesjährige "Tag der Umwelt" oder auch "Umwelttag" steht unter dem Motto "Insekten schützen - Vielfalt bewahren!" 2018 lautete das Motto: "Wie haben nur eine Erde - deshalb Ressourcen schützen". my
Die Industrie hat eine ganze Reihe von Problemen: Weil sich genverändertes Saatgut etabliert hat und jedes Jahr neu gekauft werden muss, häufen viele Baumwollbauern hohe Schulden an, jedes Jahr töten sich Tausende von ihnen. Der Gebrauch von giftigen Pestiziden und von Dünger belastet zudem die Umwelt und die Gesundheit der Menschen.
Auch der hohe Wasserverbrauch beim Baumwollanbau ist ein Problem. Für die Produktion eines Kilos Baumwolle werden in Indien nach Angaben des "Water Footprint Network" 22.500 Liter Wasser verbraucht. Damit könnten demnach mehr als 80 Prozent der Bevölkerung mit 100 Liter Wasser am Tag versorgt werden. Der hohe Verbrauch wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, dass nach einem Bericht des staatlichen Think Tanks Niti Aayog vom vergangenen Jahr fast die Hälfte der 1,3 Milliarden Inder unter Wassermangel leidet.
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Ein Lösungsansatz ist der Anbau von Biobaumwolle, der weniger wasserintensiv ist und bei dem keine synthetischen Pestizide zum Einsatz kommen. Indien ist der weltweit größte Produzent von Biobaumwolle, wenngleich sie nur einen kleinen Teil der insgesamt angebauten Baumwolle ausmacht.
Das andere "Manchester des Ostens" ist Kanpur in Nordindien - eine der Städte mit der schlimmsten Luftverschmutzung der Welt. Kanpur ist das Zentrum der indischen Lederindustrie - ebenfalls ein Exportgut. Dort stehen rund 400 Gerbereien am Ufer des für Hindus heiligen Flusses Ganges. Gläubige baden da-rin, um ihre Sünden abzuwaschen, und trinken dann traditionell auch einen Schluck.
Die Gerbereien erzeugen etwa 50 Millionen Liter Abwasser am Tag, wie der Umweltaktivist Rakesh Jaiswal erklärt. Es gebe nur eine Kläranlage. Diese könne nur neun Millionen Liter am Tag bewältigen, sodass große Mengen ungeklärter Abwässer in den Fluss gelangten. Jaiswal beschreibt es als "Cocktail tödlicher Chemikalien". Flussabwärts würden 2500 Hektar Land mit den Abwässern bewässert. So gelangten die giftigen Stoffe ins Grundwasser - die einzige Trinkwasserquelle für die Bevölkerung.
Wie kommt die Mode zu uns? Textilien müssen oft über lange Wege vom Produzenten zum Händler und zum Käufer transportiert werden. "Die Preise, die für Fast Fashion ausgerufen werden, lassen kaum Spielraum, um beim Transport besonders nachhaltig agieren zu können", sagt Markus Muschkiet, Leiter des Centers Textillogistik, das zum Fraunhofer Institut für Logistik und zur Hochschule Niederrhein gehört.
Hintergrund
Von Steven Hille
Köln. Anselm Nathanael Pahnke radelte 414 Tage durch Afrika und durchquerte dabei den ganzen Kontinent. Die Eindrücke seiner Reise hielt er mit einer Kamera fest und brachte den Film "Anderswo. Allein durch Afrika" in die Kinos. Beeindruckend ist, wie
Von Steven Hille
Köln. Anselm Nathanael Pahnke radelte 414 Tage durch Afrika und durchquerte dabei den ganzen Kontinent. Die Eindrücke seiner Reise hielt er mit einer Kamera fest und brachte den Film "Anderswo. Allein durch Afrika" in die Kinos. Beeindruckend ist, wie wenig Müll Pahnke bei dem Abenteuer produzierte.
Mit Kochgeschirr und Trinkflaschen ausgerüstet, kaufte der Globetrotter Lebensmittel nur unverpackt auf Märkten und entnahm Wasser ausschließlich an öffentlichen Quellen und Brunnen. Das Extrembeispiel zeigt, was mit großem Engagement möglich ist.
Doch wie können normale Reisende diesem Beispiel folgen? Es lässt sich kaum leugnen: Plastik ist praktisch. Es ist leicht, hygienisch, geruchslos, belastbar, hitzebeständig und sehr günstig.
Im Urlaub stören sich jedoch auch viele Touristen am Plastik, wenn zum Beispiel Verpackungsmüll den Urlaubsstrand verdreckt oder Wanderwege verschmutzt sind. Wer selbst möglichst wenig Plastik mit auf Reisen nehmen möchte, hat es gar nicht so leicht. In vielen Ländern sollte man zum Beispiel kein Leitungswasser trinken.
Die Herausforderung beginnt schon beim Packen. "Es gibt kaum plastikfreie Kosmetikprodukte, die in die kleine Reisetasche passen", sagt Natalie Szydlik, die beim nachhaltigen Anbieter Nomad Reisen für müllfreie Trips verantwortlich ist. "Viele Leute kaufen speziell für ihre Reise kleine Zahnpasta- oder Shampootuben, weil sie Platz sparen wollen." Im Verhältnis zum Inhalt entsteht dabei mehr Plastikmüll als bei herkömmlichen Verpackungen.
Platz sparen ist vielen Reisenden wichtiger als auf Plastikmüll zu verzichten. "Da hat jeder einen anderen Anspruch an sich selbst", sagt Szydlik. Die Expertin spricht lieber vom Reduzieren. Plastik vollständig zu vermeiden, geht oftmals nicht. "An einem Ort, an dem man noch nie war und die Supermärkte nicht kennt, ist man eher gewillt Ausnahmen zu machen", sagt Szydlik. Niemand möchte den Urlaub damit verbringen, plastikfreie Alternativen zu suchen.
Was ist noch möglich, um Plastik zu reduzieren? "Ich reise immer mit einem Mehrwegbecher und habe damit schon viele Erlebnisse gehabt, die mir ohne ihn verwehrt geblieben wären", so Szydlik.
Mit freundlicher Aufklärungsarbeit kommt das Thema bei den meisten an. "In Ägypten sind wir einmal getaucht und haben dabei ein Clean-up gemacht und Massen von Müll rausgeholt", erzählt Schnetzer. Zurück am Strand wurde sie darauf angesprochen. Wer den Urlaub nicht als Müllsammler verbringen möchte, hat andere Möglichkeiten, den eigenen Plastikverbrauch zu reduzieren. Möglichst viel selbst mitnehmen und sich informieren, rät Szydlik. Lieber etwas mehr Gepäck haben, aber dafür weniger vor Ort verbrauchen - das ist die Devise.
"In vielen muslimisch geprägten Ländern ist Trinkwasser beispielsweise kein Problem. An jeder Moschee kann man es mit einer Mehrwegflasche entnehmen."
Ebenfalls ratsam: Ein eigener Mehrwegbecher für Kaffee und Speiseboxen für die Verpflegung unterwegs oder den Einkauf von Mitbringseln wie Gewürzen. Pahnke empfiehlt eigenes Kochgeschirr. Unterwegs in Afrika ist er stets auf Märkten gewesen und hat die Einkäufe direkt in seine Fahrradtasche getan.
Entscheidender als die Infrastruktur in einem Land ist wohl die Einstellung des Reisenden. "Auf meiner Reise habe ich nicht einen Liter Wasser gekauft, weil ich von Brunnen zu Brunnen gefahren bin", berichtet Pahnke. An den Wasserquellen befüllte er seine Flaschen. Er übernachtete im Zelt, wusch sich nur mit Wasser und Kernseife und kaufte auf Märkten ein. "Ich fand es unterwegs leichter als zu Hause auf Plastik zu verzichten", sagt Pahnke. Seine Abenteuerreise ist jedoch - leider - nicht mit einem normalen Urlaub vergleichbar.
Doch die langen Wege seien nicht das Problem. "Auf das einzelne T-Shirt gesehen ist die Emission vernachlässigbar", so Muschkiet. Die Containerschiffe seien extrem effizient. Bei 16.000 Containern auf einem Schiff falle ein T-Shirt umwelttechnisch nicht ins Gewicht. Die meisten Emissionen fallen laut Untersuchungen auf den letzten Kilometern an. Fast jedes Kleidungsstück werde innerhalb Europas mit einem Lkw transportiert, sagt Muschkiet. Der Lkw ist am schnellsten, aber auch am schädlichsten für die Umwelt.
Laut Umweltbundesamt (UBA) verursacht jede Tonne Ware pro Kilometer Lkw-Transport 103 Gramm Treibhausgase. Bei der Bahn wären es 19 Gramm, bei Binnenschiffen 32.
Logistik-Professor Muschkiet hält neben dem eigentlichen Transport auch Lagerentscheidungen für ausschlaggebend: Wie viele Kleidungstücke ordere ich als Händler? Wie sehen die Lagerhäuser aus? Große Lagerhäuser benötigen mehr Energie und Land. Nicht verkaufte Stücke belasten die Umwelt unnötig. Hier lässt sich laut Muschkiet relativ viel CO2 einsparen. Er rät beispielsweise zu kombinierten Lagern, aus denen Händler sowohl den stationären Handel als auch den Online-Handel bedienen können.
Beim Onlinehandel gehören übermäßige Verpackung und Retouren zu den Umweltproblemen. Um Retouren zu reduzieren, bieten einige Unternehmen inzwischen virtuelle Anproben an oder Zusatzinformationen zur Passform. Dennoch geht bisher jedes zweite Kleidungspaket zurück, wie die Forschungsgruppe Retouren-Management der Universität Bamberg ermittelt hat. Über 70 Prozent aller Retouren seien Moderetouren. Die Kleidungs-Rücksendungen belasteten das Klima so stark wie 166.000 Tonnen CO2. Der Anteil am Gesamtausstoß in Deutschland sei aber trotzdem gering.
Wie gehen wir mit Kleidung um? Trotz des Billig-Trends sind die Ausgaben der deutschen Privathaushalte für Bekleidung und Schuhe in den vergangenen Jahren nicht gesunken: 2017 lagen sie laut Statistischem Bundesamt im Schnitt bei 110 Euro im Monat, 16 Euro pro Monat mehr als zehn Jahre zuvor. Greenpeace fasste 2017 in einem Report über "Fast Fashion" zusammen: Obwohl die Schränke voll seien mit nie getragener Kleidung, kaufe jeder Deutsche pro Jahr etwa 60 neue Teile. Die Tragezeit sei aber nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren.
Second-Hand-Läden, Kleidung mieten statt kaufen - darauf setzen zwar manche Konsumenten, von einem Massentrend kann aber nicht die Rede sein.
Dabei ergeben sich selbst beim Tragen und Benutzen von Klamotten manchmal noch Umweltprobleme. In Outdoor-Ausrüstung etwa werden oft sogenannte per- und polyfluorierte Chemikalien, kurz PFC, eingesetzt, weil diese wasser- und schmutzabweisenden Eigenschaften haben. Manche dieser Stoffe sind wasserlöslich oder flüchtig und können etwa beim Waschen einer Regenjacke in den Wasserkreislauf gelangen.
In der Natur können die Substanzen laut UBA aber "kaum bis gar nicht" abgebaut werden. Sie seien in Gewässern, Tieren, Boden und Luft ebenso nachgewiesen worden wie in Muttermilch. Manche der Substanzen gelten nach UBA-Angaben als krebserregend oder können die Fruchtbarkeit schädigen. Seit das Problem vor einigen Jahren bekannt wurde, hat sich in der Branche etwas getan. "Fast alle größeren Outdoor-Marken haben inzwischen PFC-freie Produkte im Sortiment. Aber es ist noch viel zu wenig", sagte Manfred Santen, Chemiker von Greenpeace. Man müsse den Herstellern aber auch etwas Zeit geben, die Forderungen umzusetzen.
Auch bei einem weiteren Problem dauert die Suche nach Lösungen an: Es geht um kleinste Fasern aus Fleecepullis und anderen synthetischen Materialien, die sich beim Waschen lösen und in den Wasserkreislauf oder mit dem Klärschlamm auf Felder gelangen können. Sie reichern sich in der Umwelt an und werden auch von Tieren aufgenommen.
"Diese Fasern sind vor allem dadurch problematisch, dass man sie sehr häufig in der Umwelt findet", sagte Leandra Hamann vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen. Einer Studie des Instituts von 2018 zufolge fallen durch Faserabrieb beim Waschen in Deutschland hochgerechnet 77 Gramm Mikroplastik pro Person und Jahr an - das entspricht etwa der Menge von 25 Stück Würfelzucker. Waschen liegt damit den Autoren zufolge auf Platz 10 der größten Mikroplastikquellen im Land. "Wir haben so große Mikroplastik-Emissionen, dass wir einen Großteil reduzieren müssen. Da ist jede Quelle relevant", sagte Hamann.