Berlin (dpa) - Renommierte Forscher haben von der Politik gefordert, Deutschland solle angesichts gefährlicher Krisen in der Welt eine stärkere Führungsrolle übernehmen. Zugleich müsse im Wahljahr 2017 der Zusammenhalt der Menschen gestärkt werden.
"Für Deutschland sehe ich die Chance, dass wir als europäischer und internationaler Akteur eine Position errungen haben, die man uns vor fünf Jahren nicht zugetraut hätte", sagte Professor Volker Perthes, Chef der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin. Gerade wenn die Zuverlässigkeit der USA mit einem Präsidenten Donald Trump abnehme, gelte: "Unser eher langsames, faktenorientiertes Entscheiden und Handeln wird zu einem Wert, der helfen kann, Konflikte einzudämmen."
Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sagte der dpa: "Wenn wir Europa anschauen, haben wir so viele Zentrifugalkräfte, dass die eigentlich nur von der Mitte her gehalten werden können." Deshalb forderte der Ökonom in einen am Dienstag veröffentlichten Interview: "Deutschland wird die nie gern gewollte, aber doch faktisch immer deutlicher definierte Führungsrolle übernehmen müssen."
Deutschland sei "ökonomisch, was die Einkommensverteilung angeht, nicht so zerklüftet wie die USA. Wir haben auch nicht so enorme regionale Ungleichheiten", erläuterte Professor Hüther in einer Prognose für das nächste Jahr. Weiter sagte der Chef des IW in Köln: "Trotzdem: Wir dürfen nicht zulassen, dass die Gesellschaft die gemeinsame Sprachebene verliert. Das wäre das Schlimmste. Manche, die sich am rechten Rand breitmachen, setzen genau darauf." Wirtschaftlich stehe unser Land vor allem bezogen auf die Erwerbstätigkeit hervorragend da: "Nach unseren aktuellen Umfragen werden wir 2017 weiterhin Beschäftigungsaufbau erleben."
Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Professor Matthias Kleiner, warnte davor, 2017 der "öffentlichen Erregung und dem Populismus nachzugeben". Professor Jutta Allmendinger regte eine offene Debatte über Migration und Armut an. Ungleichheit und Kriege lösten international große Wanderungsbewegungen aus. "Gerade in einem Wahljahr müssen wir offen darüber reden, wie sich das in vieler Hinsicht sehr reiche Deutschland hierzu verhält, genau wie über die steigende Ungleichheit in Deutschland", sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin. "Jeder Fünfte arbeitet schon im Niedriglohnsektor, die Vermögen sind zunehmend ungleicher verteilt."
Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Reimund Neugebauer, verwies auf die Rolle von Forschung und Wirtschaft, um die Probleme durch Globalisierung und Armutswanderung in den Griff zu bekommen. "Nur wenn wir in ärmeren Regionen bessere Lebensverhältnisse schaffen, werden wir dort Ruhe und Stabilität bekommen", sagte er. Und weiter: "Es ist die große Herausforderung, ob im Autobau, bei Fernsehgeräten, Rechnern oder in anderen Industrien: Wir werden in Zukunft mit etwa einem Sechstel des Materialeinsatzes auskommen müssen, wenn wir diejenigen weltweit versorgen wollen, die Bedarf für ihr Alltagsleben haben."
"Das hat sich so bei Industrienationen noch nicht durchgesetzt im politischen und wirtschaftlichen Denken - es muss aber losgehen", erläuterte Professor Neugebauer. Das bedeute: Kreislaufwirtschaft von Anfang an.
Außerdem forderte der Wissenschaftsmanager Anstrengungen in Milliardenhöhe für die technologische Souveränität: "Wenn wir diese drei Dinge nicht in Deutschland realisieren, ist der Umbau der deutschen Wirtschaft in Richtung der Nutzung der digitalen Potenziale nicht möglich: Das sind sicherer EU-Datenraum, schnellere Datenübertragung durch High-Speed-Internet und eine eigene Datenanalyse zur Mustererkennung", sagte Professor Neugebauer. "Wenn uns das nicht gelingt, würde Deutschland sich beim wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolg selbst unnötig schwächen."