Aus der Hand des Stararchitekten Reinhard Gieselmann: die Pfarrkirche St. Jakobus. Foto: Seelsorgeeinheit Sinsheim-Angelbachtal
Von Diana Deutsch
Sinsheim. Stünde sie allein auf einem der Hügel, so wäre die katholische Kirche von Sinsheim in jedem Bildband über die Avantgarde der 1970er Jahre abgebildet. Doch St. Jakobus steht an einem der tiefsten Punkte der Stadt. Auf Sumpfboden, umringt von Straßen und Parkplätzen. Eigentlich schade, denn das Gotteshaus ist ein Kunstwerk. Alle Wände sind gerundet. Mit weit ausholenden Bewegungen schwingen sie vom Kreis zum Oval, umschlingen einander und fließen sanft wieder voneinander weg. Am kommenden Sonntag, 26. November, wird St. Jakobus 50 Jahre alt. Der Festgottesdienst beginnt um 10 Uhr. Anschließend lädt die Gemeinde zum großen Empfang ins Gemeindehaus.
Jahrhundertelang war Sinsheim mit nur einer Kirche ausgekommen. Sie war erst katholisch, dann reformiert und wurde schließlich von beiden Konfessionen gemeinsam genutzt. "Simultankirche" nannte man solche Doppelkirchen, die in der Mitte durch eine Mauer geteilt waren. Die Katholiken feierten ihre Gottesdienste im Chor, die Protestanten im Langhaus. In Sinsheim lebten die Konfessionen so friedlich miteinander, dass sie sich 1788 sogar gemeinsam eine neue Kirche bauten. Die heutige Stadtkirche.
Wahrscheinlich würde man hier noch immer traulich gemeinsam Gottesdienst feiern, hätte sich die Zahl der Katholiken nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr als verdoppelt. Aufgrund der Heimatvertriebenen aus dem Osten war die Gemeinde auf 3200 Mitglieder angewachsen. Der Chor der Stadtkirche platzte aus allen Nähten. Eine neues Gotteshaus musste her. Am 22. November 1967 feierten die Katholiken ihre erste Messe in der frischgeweihten Sankt-Jakobus-Kirche. Die Protestanten ließen noch eine Anstandsfrist verstreichen, dann rissen sie die Trennmauer in der Stadtkirche endgültig nieder.
St. Jakobus katapultierte Sinsheim in eine neue architektonische Liga. Mit dem Karlsruher Stararchitekt Reinhard Gieselmann konnte ein Vordenker der Moderne gewonnen werden, dessen Vorlesungen an der Technischen Universität Wien bis heute legendär sind. Eine Kirche ist stets mehr als nur ein Haus, wurde Gieselmann nicht müde zu lehren. "Sie ist ein Bau höherer Ordnung, der nach vollkommener Schönheit streben muss."
Voilà: St. Jakobus, mit Pfählen 13 Meter tief im Sumpfgrund verankert, präsentierte sich als Symphonie aus reinem Weiß, Mauerwerk und Betongerippe. Harte rechte Winkel sucht man vergebens. Alles fließt. Weich, rund, lebendig.
Einen "Raumdialog zwischen Gott und Mensch" hat Architekt Reinhard Gieselmann mit seinem Entwurf schaffen wollen. Der Saal für die Gemeinde formt ein U, das sich zum Altar hin öffnet. "Die Frage an Gott", definierte Gieselmann bei der Einweihung 1967. Der Altar steht in einer Raumschale, die sich der Gemeinde zuwendet - "Gottes Antwort." Die Orgelempore ruht auf organischen Pilzstützen. Die Lampen sind in das spektakuläre Kirchendeckengewölbe aus Gips integriert. Ein Gesamtkunstwerk.
Allerdings eines, das dem Zeitgeschmack unterworfen ist. Im Jahr 1991 gefiel den Katholiken das Interieur ihrer Kirche nicht mehr. Zu weiß, zu ungemütlich. Anstelle der Klarglasfenster erhielt St. Jakobus nun starkfarbige Künstlerfenster von Raphael Seitz. Der weiße Putz wurde leicht farbig pigmentiert und in den großzügigen Eingangsbereich eine Werktagskapelle integriert. Architekt Gieselmann trug’s poetisch: "Hatte der Raum zuvor eine gelassene Melodie angestimmt, so spielt er nun großes Orchester."