Heilbronn

Wie aus Anne Frank ein Kinderschreck gemacht wird

Populisten stimmen im Gemeinderat gegen die Benennung eines Kindergartens nach einer "vom Krieg betroffenen Frau".

19.12.2019 UPDATE: 20.12.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden
Anne Frank
Anne Frank. Foto: ANP

Von Brigitte Fritz-Kador

Heilbronn. An die Hetze im Netz scheinen sich Teile der Gesellschaft gewöhnt zu haben, in Print erleben gerade die Leser der "Heilbronner Stadtzeitung" die subtilere Form davon.

Die "Stadtzeitung" fungiert in Teilen auch als offizielles "Amtsblatt" – eine Konstellation, die wegen eines kommerziellen Zeitungsanhanges nicht für jeden Leser erkennbar und durchschaubar ist.

Im offiziellen Teil, von der Pressestelle der Stadt gestaltetet und genutzt, werden relevante Themen aufgegriffen, stehen die Informationen zum Stadtgeschehen, amtliche Bekanntmachungen, Ausschreibungen, und auf Seite 2 erhalten seit jeher die Fraktionen ein Forum zur Darstellung ihrer Arbeit. Die Themenwahl ist frei, es gibt nur eine vom Gemeinderat beschlossene, zeitliche Einschränkung vor Wahlen. Nicht sonderlich auffällig liest man im Kleingedruckten: "Für die Beiträge in der Rubrik ’Forum Gemeinderat’ zeichnen die Autoren verantwortlich."

Was aber, wenn diese Kolumnen für die Fraktionen missbraucht werden? Bei allen bisherigen politischen Kontroversen hielt man sich an Spielregeln – bis zum Einzug der AfD. Deren Fraktionsvorsitzender Raphael Benner benutzt das Forum auch für persönliche Angriffe gegen Gemeinderäte und manipuliert selbst leicht nachprüfbare Sachverhalte offenkundig im Sinne des Gedankengutes und des Handelns seiner Partei.

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Das zeigt auch das jüngste Beispiel: Es geht dabei um die vom Gemeinderat beschlossene Umbenennung eines städtischen Kindergartens in "Anne-Frank-Kindergarten". Die AfD stimmte als einzige dagegen. In der Kolumne in der "Stadtzeitung" vom 4. Dezember brüstete sich Benner mit dem Fernbleiben bei der Feier zur Umbenennung. Seine Begründung: "Erstens hat der Name keinerlei Bezug zu Heilbronn. Zweitens werden ’unsere Sonnenscheine’ (Anm.: Damit sind wohl die Kindergartenkinder gemeint) schon im Vorschulalter mit den Tagebüchern einer vom Krieg betroffenen Frau konfrontiert."

Anne Frank, das jüdische Mädchen, war keine "vom Krieg betroffene Frau", sondern ein mit ihrer Familie von den Nazis verfolgtes, ermordetes Kind, ein "Sonnenschein", ein Mädchen, das kurz vor Kriegsende im Alter von 14 Jahren im Lager Bergen-Belsen starb.

Die Tagebücher, die Anne Frank in der Zeit des Versteckens in den Niederlanden zwischen 1942 und 1944 geschrieben hat, zählen zur Weltliteratur. Sie wurden in 70 Sprachen übersetzt, die Druckauflage lässt sich kaum erfassen und waren Opern- und Filmstoff.

SPD-Stadtrat Herbert Tabler scheint bislang der einzige zu sein, der in den Sozialen Medien auf Benners Beitrag reagiert hat. Beim verantwortlichen Herausgeber, der Stadt Heilbronn, bemüht man den Hinweis auf die Verantwortung des Autors: "Solange ein Text für das Forum Gemeinderat den Vorgaben des Redaktionsstatuts entspricht, obliegt es uns nicht, den Bericht zu zensieren. Der inhaltliche Bezug zu kommunalpolitischen Themen ist im konkreten Fall gegeben und damit eine wichtige Voraussetzung erfüllt. Die Meinungsfreiheit bewerten wir hoch und legen sie grundsätzlich und bei den Autoren aller Beiträge gleichermaßen weit aus. Name des Autors und Organisation kennzeichnen den Urheber jeweils eindeutig. Jeder Leser kann die Aussagen in den Texten für sich bewerten und sich eine eigene Meinung bilden."

Pressesprecherin Suse Bucher-Pinell fügt dann noch hinzu: "Es ist mir dabei wichtig zu betonen, dass die Beiträge keinesfalls die Meinung der Redaktion oder gar der Stadt Heilbronn widerspiegeln. Bei presserechtlichen Verstößen werden wir natürlich tätig."

In der Folgeausgabe der Stadtzeitung veröffentlichte Benner dann den folgenden Nachtrag zu der kritisierten Kolumne: "Als Namensvorschläge für die 'Anne Frank'-Kita in der Robert-Bosch Straße hatten wir auf 'Margarete Steiff', eine Württembergerin als positives Vorbild, die trotz einer schweren körperlichen Behinderung mit ihren Stofftieren und Puppen bis heute und zukünftig Millionen Kindern Freude schenkt, oder 'Käthe Kruse' gesetzt."

Zu was AfD-Kreise auch in Bezug auf Anne Frank fähig sind, hat sich unter anderem vor zwei Jahren gezeigt. Damals postete ein Bäckerei-Angestellter in Wetzlar in der geschlossenen Facebook-Gruppe "Die Patrioten" – in dieser fanden sich auch AfD-Mandatsträger – eine Fotomontage von Anne Frank auf einer Pizzaschachtel mit dem Text: "Die Ofenfrische, locker und knusprig zugleich". Er verlor den Job, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.

Der Beitrag erinnert auch daran, dass Michael Seher, ein anderer AfD-Stadtrat in Heilbronn, ungestraft auf gleicher geistiger und medialer Ebene den Widerstandskämpfer Graf Stauffenberg benutzen durfte, um ein Attentat auf die Bundeskanzlerin nahezulegen. Bis heute hat sich die Fraktion der AfD im Heilbronner Gemeinderat davon nicht distanziert.

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