Dossenheim im Zweiten Weltkrieg: US-Tiefflieger nahmen OEG ins Visier

Wie die Dossenheimer vor 70 Jahren das Kriegsende erlebten: "Wir konnten die Gesichter der angreifenden Piloten erkennen"

27.03.2015 UPDATE: 28.03.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

Die OEG am Dossenheimer Bahnhof. Die Züge wurden immer häufiger zum Ziel der alliierten Flugzeugangriffe. Foto: Archiv

Von Christian Burkhart

Dossenheim. Zwischen Mitte Dezember 1940 und Mitte März 1945 konnten die Dossenheimer von der Bergstraße aus zusehen, wie draußen in der Rheinebene die nordbadische Industriestadt Mannheim durch über 150 alliierte Luftangriffe mit mehr als 25.000 Tonnen Spreng- und Brandbomben in Schutt und Asche versank. Ab Herbst 1944 war die Gefahr aus der Luft dann auch für die Dossenheimer selbst ganz real: US-amerikanische Tiefflieger griffen am helllichten Tag aus heiterem Himmel an - Ziel waren oftmals die zwischen Weinheim, Heidelberg und Mannheim verkehrenden Züge der Oberrheinischen Eisenbahngesellschaft (OEG). Am 10. April 1946 berichtete die RNZ, dass von 21 OEG-Zügen bei Kriegsende nur noch acht übrig waren.

Waltraud Bohneberg, geborene Schmitt (Jg. 1927) hat das alles hautnah miterlebt : "In einer kurz vor Kriegsende zwischen Handschuhsheim und Dossenheim von Tieffliegern beschossenen OEG saß ich selbst. Ich hatte in der Heidelberger Bibliothek Bücher ausgeliehen und musste diese zurückbringen, weil sonst eine Verzugsgebühr von 20 Reichsmarkt fällig geworden wäre. Das habe ich wohl oder übel getan - obwohl man damals wegen der Tieffliegerangriffe bereits Angst gehabt hat, die Bahn zu benutzen. Die Flieger kamen so tief herunter, dass wir die Gesichter der Piloten vorne in der Glaskuppel deutlich erkennen konnten. Nachdem dieser mit seinem MG auf die OEG gefeuert hatte, lagen mehrere Tote und Verletzte neben dem zerschossenen Zug am Boden. Uns steckte der Schrecken in allen Gliedern, und wieder daheim, bekam ich dafür, dass ich so leichtsinnig gewesen war, mit der Bahn zu fahren, obendrein von meiner Mutter ganz schön was zu hören."

Karl Otto Frommel (1871-1951), evangelischer Theologie-Professor in Heidelberg, hielt die damaligen Ereignisse in seinem Tagebuch fest. Demzufolge kam es am Freitag, 23. März 1945, gegen Abend in Dossenheim zu einem weiteren Tieffliegerangriff auf einen Zug der OEG. Darin saß auch die Ehefrau des evangelischen Oberkirchenrats a. D. Ernst Julius Schulz (1876-1949), die in der Handschuhsheimer Pfarrgasse 4 wohnte und bei einem Bauern in Schriesheim Milch für ihre Enkelkinder holen wollte. Bei der Attacke "erlitt die unglückliche Frau schwere Verwundungen in Brust und Unterleib. Man brachte sie - statt nach Heidelberg - nach Schriesheim, wo ihr rechtes Bein - ohne Narkose - amputiert wurde. Dort erlag sie dem Blutverlust und den Qualen der Operation. Ihr Gatte, der, obwohl schwer herzleidend, im Eilschritt von Heidelberg herübereilte, traf sie bereits tot an, furchtbar zugerichtet, mit zerfetzten Kleidern, neben ihr das amputierte Bein. Schon getraute sich niemand mehr die Eisenbahn zu benutzen".

Gertrud Holschuh, geborene Bormuth (1929-2011) scheint dieselbe Attacke aus anderer Perspektive erlebt zu haben, nämlich als Teilnehmerin einer an diesem Tag um 18 Uhr stattfindenden Beerdigung: "Als die Trauergemeinde dann auf dem Gemeindefriedhof versammelt war, kam plötzlich ein amerikanischer Tiefflieger angebraust und hat auf uns geschossen. Die Trauergäste sind aber, als sie ihn kommen hörten und sahen, gerade noch rechtzeitig zwischen den Gräbern und hinter den Bäumen in Deckung gesprungen, sodass zum Glück niemand ernsthaft Schaden an Leib und Leben genommen hat. Danach trauten wir den Amerikanern wirklich alles zu."

Manfred Schmich (Jg. 1941) und seine Mutter hatten damals riesiges Glück: "Ich wohnte allein mit meiner Mutter im Frauenpfad 4, der Vater war im Krieg, die Geschwister noch nicht geboren. Da hörten wir plötzlich Flugzeuglärm und schon durchschlugen einige Geschosse eines amerikanischen Tieffliegers, der offenbar gerade entlang der Landstraße die vorbeifahrende OEG angriff, auch das Glas einer Fensterscheibe der elterlichen Wohnung. Sie trafen auch irgend etwas im Zimmer dahinter, sodass uns die Brocken um die Ohren flogen. Meine Mutter, die von etwas gestreift wurde und einen furchtbaren Schrecken bekam, packte mich und sprang mit mir hinter einem Möbelstück in Deckung."

Reichsmarschall Görings Luftwaffe hatte den haushoch überlegenen alliierten Luftstreitkräften damals kaum noch etwas entgegenzusetzen. Wenn überhaupt noch deutsche Militärmaschinen am Himmel auftauchten, blieben sie meist nicht lange in der Luft. So wurde auch nahe der Schleuse Schwabenheim im März 1945 eine Messerschmitt ME 109 abgeschossen und der Pilot kam dabei ums Leben.

Edelbert Lorenz (1933-2008) war Augenzeuge: "Ich habe selbst den Abschuss eines deutschen Flugzeugs beobachtet. Als Kind bin ich nämlich, wie andere Jungs in meinem Alter auch, oft auf dem Dach gewesen, um von dort aus die Flugzeuge zu beobachten. Das deutsche Flugzeug ist aus Richtung Ladenburg gekommen und von einem amerikanischen Jagdflieger verfolgt worden, der es auch beschossen und getroffen hat. Das deutsche Flugzeug ist bei Schwabenheim vor dem Neckarkanal aufgeknallt, seinen Motor hat man später aus dem Kanal herausgefischt. Der tote deutsche Pilot, der noch versucht hat, abzuspringen - er war aber bereits zu tief unten, sodass sich sein Fallschirm sich nicht mehr geöffnet hat - lag Richtung Hohe Straße."

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