Stefan Barcsay ließ die Musik für sich selbst sprechen. Zum Konzertprogramm inspiriert hatte ihn eine 500 Jahre alte Skulptur in der Bozener Pfarrkirche „Mariä Himmelfahrt“. Foto: Pia Geimer
Von Pia Geimer
Mosbach. Die kleinen Konzerte der "Gutleutmusik um 3" bieten interessierten Musikfreunden immer wieder Gelegenheit, sich auch auf ungewohnte Hörerlebnisse einzulassen. Schön, dass die Reihe nicht wie viele andere in diesem Jahr ausfallen muss, sondern anstatt in der beengten Gutleutkapelle in der weiträumigen Stiftskirche stattfinden kann.
Am letzten Sonntag im Juli war der Gitarrist Stefan Barcsay zu Gast, der sich in seinem Soloprogramm "Auf dem Weg zur Pietà" einem besonders eindrucksvollen religiösen Symbol widmete. Für viele – nicht nur für Katholiken – ist das Abbild der Gottesmutter, wie sie ihren toten Sohn in den Armen hält, der Inbegriff des intensivsten Leides, das ein Mensch empfinden kann. In Zeiten von Krieg, Vertreibung und Flucht bekommt das Bild der trauernden Mutter eine ganz neue, fast zeitlose Aktualität. Aber für Stefan Barcsay symbolisiert die Pietà ebenfalls den Trost, den die in sich gekehrte Frömmigkeit der Maria in vielen Darstellungen ausstrahlt.
Eine 500 Jahre alte Skulptur in der Bozener Pfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" hatte ihn zu diesem Konzertprogramm inspiriert. Der Augsburger Gitarrist spielt seit einigen Jahren in seinen Solokonzerten vor allem Auftragskompositionen, die eigens für ihn entstanden sind, und hatte verschiedene zeitgenössische Komponisten gebeten, neue Stücke zu diesem Thema zu schreiben.
Den zeitgenössischen Werken vorangestellt hatte er aber ein klassisches Stück von Fernando Sor (1778-1838): Mit dem gebethaften "Mouvement de prière religieuse" stimmte Barcsay seine Zuhörer auf die leisen Klänge seines Instruments ein, bei denen man schon ein wenig die Ohren spitzen musste. Mit einem "Lied ohne Worte" von Dorothea Hoffmann folgte danach das erste von vier für das Pietà-Programm neu entstandenen Auftragsstücken: Der Titel "Lacrimae" mag anknüpfen an das berühmte Lied "Flow my teares" und die darauf beruhenden "Lachrimae Pavanen" des Renaissancelautenisten John Dowland.
Genauso introvertiert und kontemplativ, aber natürlich harmonisch völlig anders und ganz und gar zeitgenössisch greift die 1961 geborene Komponistin das Thema auf. Stefan Barcsay mit seiner ruhigen, überaus konzentrierten Spielweise, die jede unnötige Bewegung vermeidet, wurde während des Spielens förmlich selbst zur Skulptur, nur seine Hände und Finger bewegten sich über dem Instrument. Er selbst trat als Ausführender fast ganz in den Hintergrund und ließ die Musik für sich selbst sprechen.
Beim Erschließen dieser neuen, für ihn komponierten Musik lasse er sich manchmal auch von visuellen Eindrücken leiten, erzählte er in seiner Moderation. So sei ihm beispielsweise beim folgenden Stück von Markus Lehmann-Horn (*1977) das Bild einer Gebetskette mit ihren durch die Finger gleitenden Perlen gekommen. Tatsächlich erscheinen in "Tempel – Meditation" die auf- und absteigenden Skalen wie die Perlen eines Rosenkranzes über einem Ostinato, das die repetitiven Anrufungen des "Ave Maria" symbolisiert.
Die einzelnen Stücke wurden gelegentlich durch passende Rezitationen ergänzt, die Christof Roos beisteuerte: zwei Strophen aus einem Passionschoral von Paul Gerhardt, das anrührende Gebet unter dem Kreuz "Stabat Mater". Um ein wirklich interessantes neues Werk für Gitarre solo handelte es sich bei dem anspruchsvoll zu spielenden "Ricercare" von André Herteux (*1981), bei dem auf elegante Weise traditionelle Formen wie das Ricercar mit Elementen aus dem Jazz kombiniert sind – eine echte Entdeckung.
Ganz still wurde es dann noch einmal beim letzten Stück "Pietà" von Alois Bröder (*1961), das mit seinem Tränenmotiv noch einmal Trauer und Leid aufgreift, aber auch die Freude, die aus den Tränen erwachsen kann, wie es der libanesische Dichter und Philosoph Khalil Gibran in einem seiner Gedichte ausgedrückt hatte, das zuvor rezitiert worden war.
Wie intensiv die Zuhörer dieser meditativen Einladung der Gutleutmusik gefolgt waren, zeigte sich an der langen, konzentrierten Stille am Ende des Konzerts, die auch Stefan Barcsay einfach geschehen ließ, bevor er dann doch noch einen herzlichen und hochverdienten Beifall für seinen Vortrag entgegennahm.