Von Anica Edinger
Heidelberg. Vor genau einer Woche fiel die Entscheidung: Die SPD votierte für Stefanie Jansen als nächste Bürgermeisterin für Familie, Bildung, Soziales und Chancengleichheit. Sie folgt damit – sofern der Gemeinderat zustimmt – ab 1. Januar 2021 auf den aktuellen Dezernenten Joachim Gerner. Und obwohl der Amtsantritt noch so lange hin ist, hat Jansen schon ziemlich genaue Vorstellungen davon, was sie in Heidelberg erreichen will.
Frau Jansen, Heidelberg hat die niedrigste Schulabbrecherquote im Land, auch in Sachen Kinderbetreuung ist die Stadt Vorreiter. Es gibt Quartiersmanagements in einigen Stadtteilen sowie Seniorenzentren. Eigentlich werden Sie in ihrem neuen Dezernat nicht viel zu tun haben, oder?
(lacht) Ja, mit Sicherheit hat man es in Heidelberg in diesen Bereichen einfacher als in vielen anderen Städten. Aber dennoch gibt es auch hier Menschen, die Probleme haben – und da ist jeder zu viel. Nur, weil auch im sozialen Bereich die Quoten sehr niedrig sind, heißt das nicht, dass alles gut ist. Wir sind erst dann zufrieden, wenn Chancengleichheit für alle gilt, wenn alle bestmöglich am Leben in der Stadt teilhaben können.
Chancengleichheit für alle: Ist das nicht leider Utopie?
Ja, das ist ein Ideal, aber deshalb muss man ja trotzdem daran arbeiten. In vielen Bereichen lohnt es sich, im Detail reinzuschauen. Da wird man feststellen, dass häufig noch Luft nach oben ist.
Beispielsweise sind laut Schätzungen zwischen 12.000 und 13.000 Menschen in Heidelberg von Armut betroffen oder armutsgefährdet. Wie wollen Sie das ändern?
Den Bericht zur sozialen Lage in der Stadt habe ich bereits studiert und in der Tat gibt es in diesem Bereich Handlungsbedarf. Ich strebe ein Sozialraummonitoring an, das auch die Schwellenhaushalte erfasst. Also diejenigen, die knapp über der Armutsgrenze sind. In Heidelberg bedeutet das nämlich in der Regel nicht nur armutsgefährdet, sondern schon von Armut betroffen zu sein – die Stadt ist eben ein teures Pflaster. Diese Schwellenhaushalte kann man nur schwer fassen, denn wir sehen ja nur die statistisch erfassten Leistungsempfänger. Dieses Dunkelfeld mit Leben zu füllen – das wäre ein Ansatz, auch individuelle Maßnahmen zu ergreifen und passgenau Hilfestellungen zu geben. Und das nehme ich mir auch vor.
Familie, Soziales, Bildung und Chancengleichheit: Wo gibt es Ihrer Meinung nach in Heidelberg den größten Handlungsbedarf?
In den kommenden Jahren wird es einen sehr großen Druck geben, was die Betreuungssituation betrifft. Vor allem bei den über Dreijährigen, da sich der Termin für die Einschulung verschiebt und viele ein Jahr länger im Kindergarten bleiben. Aber auch das Bevölkerungswachstum in Heidelberg wird uns vor große Herausforderungen stellen – da muss man genau in die Stadtteile hineinschauen und herausfiltern, wo es Bedarfe gibt. Und dann natürlich zügig handeln und Plätze schaffen.
Mit dem zügig Handeln ist es so eine Sache in Heidelberg ...
(lacht) Da werde ich so meine Probleme haben, denn ich bin ziemlich schnell, ein eher ungeduldiger Mensch. Im Rathaus wird mich sicher jeder an meinem Schritt erkennen. Aber ich denke doch auch, dass in vielen Bereichen, die mich betreffen werden, großer Konsens herrscht im Gemeinderat und man nicht die furchtbar harten Bretter bohren muss. Die Ausgangslage ist also gut.
Der Schritt ins Heidelberger Rathaus als Bürgermeisterin ist auch Ihr Weg in die Politik. Wieso haben Sie sich dafür entschieden?
Im Rhein-Neckar-Kreis hat man die Kette der Entscheidungen nie vollumfänglich in der Hand. Man muss sich immer mit 54 Kommunen abstimmen. Jetzt kann ich richtig politisch gestalten, was an sozialer Infrastruktur vorgehalten wird, das liegt dann auch zum großen Teil in meiner Hand – und natürlich in der des Gemeinderats. Zudem ist der Dezernatszuschnitt einfach toll. Denn er umfasst alle Themen, mit denen ich meine gesamte Berufslaufbahn schon arbeite. Sie sind genau meine Expertise, da habe ich Fachkompetenz. Deshalb habe ich mich beworben.
Auf die Kultur, die bis zu Joachim Gerners Abschied auch noch ins Dezernat fällt, hätten Sie keine Lust gehabt?
Lust auf Kultur natürlich schon, aber ich habe noch nie in diesem Bereich gearbeitet und deshalb kein Know-how. Da kam es mir entgegen, dass die Dezernate neu zugeschnitten wurden.
Waren Sie glücklich, als die SPD am vergangenen Samstag für Sie votierte?
Sehr. Das war ein sehr spannender Tag für mich – und in dem ganzen Bewerbungsprozess ja auch die wegweisende Entscheidung. Da war ich bei der Verkündung einfach froh und erleichtert, dass ich es geschafft habe.
Sie waren zuvor ja bereits Dezernentin. Wie groß ist jetzt der Karrieresprung für Sie?
Beim Rhein-Neckar-Kreis wurde mir mit der Ernennung zur Dezernentin das höchstmögliche Amt innerhalb der Verwaltung übertragen. Mit einem Wechsel ins Wahlamt ist schon ein deutlicher Karrieresprung verbunden, der sich in einer umfassenderen und größeren Verantwortung und in einer stärkeren öffentlichen Wahrnehmung bemerkbar machen wird. Darum geht es aber nicht.
Um was geht es denn?
Ich bin Heidelbergerin, ich bin in Heidelberg geboren, arbeite seit 30 Jahren in dieser Stadt und lebe seit über 20 Jahren hier. Ich kenne mich hier aus, kenne die Träger im sozialen Bereich, habe bereits Netzwerke. Als Mutter einer Tochter habe ich persönlich von der sehr guten Betreuungssituation in der Stadt profitiert. Deshalb ist mir das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr wichtig. Ich will mich engagieren für Heidelberg, um auch etwas zurückzugeben, weil ich dankbar bin. Und ich will Mutmacherin sein für andere Frauen, ihre Chancen auch wirklich zu nutzen.
Gerade Familien hatten es zu den Hochzeiten der Corona-Krise besonders schwer. Was ist da aus Ihrer Sicht schief gelaufen?
Das größte Problem gerade im Bereich Bildung und Betreuung war, dass wir von den Verordnungen aus Stuttgart getrieben wurden. Häufig kamen die freitagabends – und sollten am Montag schon umgesetzt werden. Ich meine aber, dass insbesondere die Stadt ihr Bestmögliches getan hat, um ein bisschen Last der Eltern abzufedern. Aber natürlich war und ist das noch immer für viele eine bittere Situation.
Bleiben wir bei der Corona-Krise. Allen Zuwendungsempfängern der Stadt wurden vorsorglich die Zuschuss-Verträge gekündigt. Werden Sie als erste Amtshandlung den Sozialabbau in der Stadt verhindern müssen?
Ich hoffe doch, dass es auch nach Corona noch Mittel – auch im sozialen Bereich – geben wird. Ich bin da aber zuversichtlich, da die Stadt ja bereits neue Verhandlungen ankündigte und es meines Wissens nach auch bereits Gespräche gab. Natürlich muss man es aber differenziert betrachten, genau hinschauen und sich fragen: Was ist Pflicht und was ist einfach schön zu haben? Denn klar ist: Die Bedarfe werden in vielen Bereichen steigen oder sich verändern. Mir ist es in erster Linie wichtig, den Bestand zu sichern und die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen im sozialen Bereich zu erhalten. Das wird eine meiner ersten Aufgaben sein. Die Krise darf da nichts kaputt machen.
Zum Thema häusliche Gewalt arbeiten sie gerade im Rhein-Neckar-Kreis an einem Konzept. Wäre das auch etwas für Heidelberg?
Definitiv. Gerade in Corona-Zeiten ist dieses Thema noch wichtiger geworden. Unser Konzept dazu ist sehr umfassend – angefangen bei der Prävention über die Beratung bis hin zur Nachsorge. Dabei sind auch Schutzwohnungen vorgesehen, die es uns ermöglichen, zügig, unabhängig vom Platz im Frauenhaus, Problemlagen zu lösen. Das kann ich mir auch gut für Heidelberg vorstellen.
Als einzige Frau unter vier Bürgermeistern: Was wünschen Sie sich für Ihre Amtszeit?
Wenn man als Frau aufwächst, hat man andere Lebenserfahrungen als ein Mann. Ich hoffe, dass ich mit diesem Hintergrund, als Frau, Mutter und Heidelbergerin andere Perspektiven einbringen kann – um so Politik und Rathaus zu bereichern. Das wäre mein Wunsch.