Heidelberg hat in Handschuhsheim einen neuen jüdischen Friedhof

Auf dem Bergfriedhof wird der Platz knapp - Die neue Grabanlage ist ein Symbol für das florierende jüdische Leben in Heidelberg

22.09.2016 UPDATE: 23.09.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 38 Sekunden

Landesrabbiner Moshe Flomenmann (links) und sein Heidelberger Amtskollege Janusz Pawelczyk-Kissin weihten gestern den neuen jüdischen Friedhof in Handschuhsheim ein - indem sie ihn umrundeten. Foto: Rothe

Von Micha Hörnle

Für die jüdischen Heidelberger war der gestrige Donnerstag ein ganz besonderer Tag - dabei wurde "nur" ein neuer Friedhof eingeweiht. Aber für die Juden, so erklärte der badische Landesrabbiner Moshe Flomenmann, sei "ein Friedhof heiliger als eine Synagoge". Überhaupt ist es für die jüdischen Gemeinden das Wichtigste, ihre Toten bestatten zu können, dann kommt die Mikwe, das Ritualbad - und erst dann der Ort zum Beten. Und vor allem ist dieser 4000 Quadratmeter große Teil des Handschuhsheimer Friedhofs auch ein Symbol für das wiedererstarkte jüdische Leben in der Stadt nach der Shoa: Denn wo gelebt wird, wird eben auch gestorben.

Hintergrund

Die Verhaltensregeln, die für jüdische Friedhöfe gelten, unterscheiden sich deutlich von den christlichen oder städtischen - auch wenn in Heidelberg beide auf demselben Gelände sind.

> Kleidung: Männer (auch nichtjüdische) dürfen einen Friedhof nicht ohne

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Die Verhaltensregeln, die für jüdische Friedhöfe gelten, unterscheiden sich deutlich von den christlichen oder städtischen - auch wenn in Heidelberg beide auf demselben Gelände sind.

> Kleidung: Männer (auch nichtjüdische) dürfen einen Friedhof nicht ohne Kopfbedeckung betreten, Frauen nur in angemessener Kleidung.

> Essen, Trinken und Rauchen sind absolutes tabu.

> Kein Blumenschmuck: Auf jüdischen Friedhöfen werden keine Blumen abgelegt (ausdrücklich verboten ist es nicht), sondern Steine. Mit dem Verzicht auf den teuren Blumenschmuck werden alle Toten gleich behandelt. Deswegen gab es bis ins 18. Jahrhundert auch die gleichen Grabsteine.

Regeln für den Friedhof und die Gräber:

> Anlage: Ein jüdischer Friedhof sollte so weit wie möglich weg von der Stadt und möglichst baumlos sein. Er muss eine sichtbare Grenze - egal ob Mauer, Zaun oder Sträucher - und einen separaten Ein- und Ausgang haben.

> Gräber: Oft wird mit den Füßen in Richtung Jerusalem bestattet, was aber nicht zwingend vorgeschrieben ist. Auf einem jüdischen Grabstein gibt es keine Fotos, sondern nur knappe Angaben zum Verstorbenen. Pflicht sind sieben hebräische Buchstaben: zwei oben ("Hier ist verborgen") und fünf unten ("Seine/Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens"). Leichname müssen begraben werden, eine Verbrennung ist nicht erlaubt.

> Ewigkeitsgarantie: Ein Friedhof bleibt immer bestehen, auch die Gräber werden niemals abgeräumt. hö

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Mittlerweile hat die jüdische Kultusgemeinde nicht nur eine vor 22 Jahren eingeweihte schmucke Synagoge in der Weststadt, sondern immerhin 450 Mitglieder. Und da wird der Platz auf dem Bergfriedhof langsam knapp. Noch in den fünfziger Jahren hatte die damalige jüdische Gemeinde den für sie reservierten Teil des Bergfriedhofs an die Stadt abgetreten, man sehe dafür keinen Bedarf. Damals lebten in Heidelberg nur gut 100 Juden.

Daran erinnerte der Heidelberger Rabbiner Janusz Pawelczyk-Kissin, der viel über die bisherigen jüdischen Friedhöfe Heidelbergs weiß: Der gestern in Handschuhsheim eingeweihte ist der vierte. Den ersten ließ Ruprecht II. von der Pfalz einebnen, nachdem er 1391 die Juden aus der Stadt vertrieben hatte; später nutzte die Universität das Areal für einen botanischen Garten, heute steht darauf die Turnhalle der Friedrich-Ebert-Grundschule in der Plöck. Der zweite wurde 1701 am Klingenteich oberhalb der Altstadt errichtet. Als der dann belegt war, wurde 1876 der jüdische Teil des Bergfriedhofs angelegt, der, wie alle Grabanlagen, nicht im Besitz der Stadt, sondern der jüdischen Kultusgemeinde ist. In der NS-Zeit wurde die jüdische Gemeinde von der Stadt gezwungen, einen Teil ihrer Grundstücke dort zu "verkaufen", das Geld wurde aber nie ausgezahlt.

Wie sehr sich die Zeiten - zum Glück - geändert haben, zeigte der gestrige Nachmittag: Die Stadt half dabei mit, den lang gehegten Wunsch der Heidelberger Juden für einen neuen Friedhof zu erfüllen, wofür sich Gemeindevorsitzender Vadim Galperin ausdrücklich bedankte: In Handschuhsheim wurde das städtische Grundstück, das für die Erweiterung des seit 1843 bestehenden Friedhofs gedacht war, dafür bereitgestellt, wie Ralf Krapp, Leiter des städtischen Liegenschaftsamtes, erklärte. Dass das nicht einfach war, berichtete Bürgermeister Wolfgang Erichson. Immerhin dauerte es fünf Jahre, bis endlich ein passendes Gelände gefunden war. "Für uns als Stadt ist es ein freudiger Tag - ein Zeichen, dass das jüdische Leben in Heidelberg wächst und gedeiht", so Erichson.

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Auch Vertreter der christlichen Kirchen sprachen bei der Einweihung: Die Handschuhsheimer Pfarrerin Martina Reister-Ulrichs erinnerte daran, dass "Gräber immer auch Heimat bedeuten": Dabei berief sie sich auf den biblischen Urvater Abraham, der als erstes Stück im gelobten Land ein Grab für seine Frau Sara kaufte - lange bevor seine Nachkommen das Land besiedelten. Stefan Osterwald von der Katholischen Stadtkirche wünschte den Heidelberger Juden, "dass Sie hier ein Stück Heimat finden".

Auch von Seiten des Landes war der gestrige Donnerstag ein großer Tag: Michael Hermann vom Kultusministerium war extra aus Stuttgart gekommen, um bei der Einweihung des Friedhofs dabei zu sein - für ihn ein Beweis "für die lange jüdische Geschichte in Heidelberg". Angesichts der verstörenden Nachrichten über rechtsextreme Ausschreitungen sagte Hermann: "Wir wollen ein starkes, selbstbewusstes jüdisches Leben in Deutschland." Denn auch wenn die Kultusgemeinden deutlich größer sind als noch vor 25 Jahren: So oft kommt es nicht vor, dass sie neue Friedhöfe bekommen. Landesrabbiner Flomenmann weiß von einem in Offenburg, der vor sieben Jahren eingeweiht wurde, in näherer Zukunft bekommt auch Baden-Baden einen. Und das bei insgesamt 90 jüdischen Friedhöfen in Baden.

Allerdings ist der neue jüdische Friedhof - er bietet Platz für etwa 500 Gräber - noch nicht komplett: Ihm fehlt noch eine Trauerhalle: "Mal sehen, wann wir die Mittel dafür haben", so Rabbiner Pawelczyk-Kissin. Denn die christliche Kapelle mit ihrem großen Kreuz komme für Versammlungen nicht in Frage.

Übrigens weihen Juden ihre Grabstätten anders ein als Christen: Die beiden Rabbiner Flomenmann und Pawelczyk-Kissin gingen einmal um die insgesamt drei neuen Areale herum und rezitierten den 90. und 91. Psalm. Das ist auch schon die ganze Zeremonie.

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