Buchen. (afi) Die Initiative "Herz statt Hetze" stellte an neun Schulen den Film "Meine Familie, die Nazis und ich" vor und stieß dabei auf reges Interesse der Schüler. Wir berichten stellvertretend von der Filmvorführung an der Realschule Buchen. Geleitet wurde die anschließende Diskussionsrunde von Katrin Himmler, die die vielen Fragen der Schüler mit ihrem großen Wissen beantworten konnte.
Der rund 75-minütige Dokumentarfilm von dem israelischen Regisseur Chanoch Ze’evi setzt sich mit Nachkommen von Nazi-Verbrechern und deren Last auseinander. Dabei werden die Gefühle der Nachfahren, ihre Probleme, Konflikte, Schmerzen und Ängste ungefiltert eingefangen. Interviewt wurde neben Bettina Göring, deren Großonkel Hermann Göring war, Verantwortlicher für die Gründung der Gestapo sowie die Einrichtung der ersten Konzentrationslager, auch Katrin Himmler, die Großnichte von Heinrich Himmler, der nach Hitler die zweitgrößte Machtposition im nationalsozialistischen Regime innehatte. Weitere Interviewte waren Rainer Höß, Monika Göth und Niklas Frank, der mit seinem Vater Hans Frank, dem "Schlächter von Polen", schwer ins Gericht geht.
Alle fünf Nachfahren haben sich auf unterschiedliche Art und Weise mit ihrer Familiengeschichte, aber auch den dunklen Jahren der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Dennoch geht jeder anders mit dem Familienerbe um: So entschied sich Bettina Göring in die USA zu ziehen und sich sterilisieren zu lassen, um der Familienlinie ein Ende zu setzen, während für Himmler die nationalsozialistische Verwandtschaft zwar eine Belastung war, sie aber gelernt habe, damit umzugehen. "Mir ist es wichtig darüber zu sprechen", so Himmlers Großnichte, "da viele immer noch nicht darüber sprechen und weitaus mehr Familien als nur die bekannten Namen an dem Holocaust und den Verbrechen der Nazis beteiligt waren." In ihrer eigenen Familie sei sie aufgrund ihrer Recherchen auf Ablehnung gestoßen, was sie schmerze, jedoch nicht davon abhalte, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. "Erschüttert hat mich, dass es in meiner Familie niemanden gab, der nicht ein Nazi war, doch konnten sich alle hinter dem großen Schatten, den Heinrich warf, verstecken", berichtete die Buchautorin.
Soweit sich Rainer Höß und Niklas Frank zurückerinnern können, fehlte in ihrer Kindheit jegliche Art von Wärme und Zuneigung, da Gehorsam an erster Stelle stand. Himmler meinte dazu: "Der Balanceakt ist schwer. Es stellt sich die Frage, wann es unmöglich ist, die Eltern zu lieben. Viele brechen vollständig mit ihrer Familie, andere entscheiden sich für bedingungslose Loyalität und blenden alles Übel aus." Es gäbe zudem Grenzen, wenn man über Vergangenes mit den Eltern oder Überlebenden des Holocaust sprechen wolle: "Manches ist zu schmerzhaft, als dass man darüber ohne weiteres sprechen kann", so Himmler. Und dennoch lebt die Geschichte weiter und wirkt sich bis heute aus. Eldad Beck, dessen Familie zum Großteil in Ausschwitz ums Leben kann, drückt dies so aus: "Nicht jede Geschichte hat ein Happy End und einige enden sogar nie." Vollständig damit abschließen könne man damit nie.
Dennoch sei die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen wichtig, meinte Himmler: "Als Nachfahrin eines NS-Verbrechers trage ich keine Schuld, auch wenn ich mich früher schuldig fühlte, aber ich fühle mich verantwortlich." Deshalb besuche sie solche Veranstaltungen, um mit anderen ins Gespräch zu kommen.
In der Fragerunde antwortete Himmler auf die Frage, was sie ihrem Großonkel gerne sagen würde, damit: "Ich weiß, er wäre nicht offen für andere Meinungen oder irgendeine Form der Kritik gewesen, da er in seiner Überzeugung so sicher war, dass niemand und nichts diese ins Wanken hätte bringen können."
Heinrich Himmler sei damit nicht alleine gewesen, denn während ihrer Recherchen sei eine zentrale Erkenntnis gewesen, dass alle Täter ein solides Netzwerk oder eine Familie, die hinter diesen Menschen stand, gebraucht haben.
Geplant habe sie nie, sich so intensiv mit der Familiengeschichte auseinanderzusetzen. "Der Auslöser war mein Vater, der mich bat, im Bundesarchiv nachzuschauen, ob mein Großvater Mitglied der NSDAP war. Er wollte nur die Bestätigung seiner Vermutung, doch für mich war das der Anfang", erzählte Himmler.
Am meisten habe sie in den Fragerunden an den Schulen die Frage eines Schülers vom Burghard-Gymnasium bewegt. "Er fragte mich, was für mich Glück sei. Das war etwas, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte", berichtete Katrin Himmler. Insgesamt sei die Vielfalt der Fragen groß gewesen, so Alexander Weinlein von "Herz statt Hetze", das sich für Toleranz, Freiheit und Demokratie einsetzt. "Es war beeindruckend, wie aufmerksam, diszipliniert und interessiert die Schüler waren."