"Der Wald hier ist voller Leben"
Mit Reiner Leis von der Bürgerinitiative am Kornberg unterwegs - Auf den Spuren des Rotmilans

In ihrem Gutachten, das nun in Auszügen vorliegt, verweist die Bürgerinitiative auf einen neuen Horstfund, der das Aus für den umstrittenen Windpark "Kornberg" bedeuten könnte. Fotos: Wolfgang Brenneis / Rüdiger Busch (3)
Bretzingen. (rüb) "Achtung, da fliegt er fort." So schnell kann ich als naturkundlich kaum bewanderter Schreibtischtäter gar nicht schauen, wie der große Greifvogel seinen Horst verlässt. Noch keine fünf Minuten bin ich mit Reiner Leis von der Bürgerinitiative für Gesundheit und Naturschutz (BGN) am Kornberg zwischen Bretzingen und Höpfingen unterwegs, da haben wir schon den ersten Bussard gesehen.
Früher habe er die heimische Flora und Fauna nicht bewusst wahrgenommen, räumt Leis ein. Doch seit die Pläne für den umstrittenen Windpark am Kornberg öffentlich bekannt wurden, sei sein Interesse an der Natur stetig gewachsen. Von seinem Garten aus blickt er auf das Waldgebiet, er sieht seltene Vögel kreisen, hört abends den Ruf des Uhus und beobachtet die Fledermäuse auf Beutejagd.
Heute möchte er mich zu einigen Horsten des Rotmilans führen. Dass am Kornberg und in einem Radius von drei Kilometern darum inzwischen 48 Horste von Greifvögeln kartiert wurden, ist auch den ehrenamtlichen Naturbeobachtern der BGN zu verdanken. Acht bis zehn Aktive sind regelmäßig unterwegs, hinzu kommen Sichtungen von 50 weiteren Bürgern. Allein im Jahr 2016 sind so weit mehr als 1000 Beobachtungsstunden zusammengekommen. Der Großteil der Horste ist dem Bussard zuzuordnen. Sieben davon seien aber vom Rot- bzw. vom Schwarzmilan besetzt gewesen, so Leis.
Mit dem Fernglas bewaffnet nehmen wir den ersten Horst in Augenschein, den ein Rotmilan in einer großen Kiefer gebaut hat. Ohne die Hilfe des Hobby-Vogelbeobachters Reiner Leis hätte ich ihn komplett übersehen. Während ich noch fasziniert nach oben schaue, sucht mein Begleiter bereits am Boden nach frischen Kotspuren des Greifvogels. Dadurch lasse sich nämlich feststellen, ob ein Horst besetzt ist.
Weiter geht es zum nächsten Brutplatz, der noch vor zwei Jahren von einem Rotmilan besetzt gewesen sei. Inzwischen habe ihn aber ein Kolkrabe für sich beansprucht. Plötzlich ist ein Rascheln zu hören und über den Baumwipfeln ist für einen kurzen Moment ein Rotmilan zu sehen. Nur ein Zufall, oder möchte der gefährdete Greifvogel sich seinen Horst zurückerobern? Wir werden es wohl nie erfahren.
Auch interessant
Was wir jedoch wissen: Weltweit gibt es nur noch zwischen 20.000 und 29.000 Brutpaare des Rotmilans. Etwa die Hälfte davon lebt in Deutschland. Und eine bemerkenswerte Anzahl der Tiere muss rund um den Kornberg heimisch sein, wie die vielen Beobachtungen zeigen. Per Smartphone informieren sich die Mitglieder der BGN gegenseitig über ihre Sichtungen, hängen Fotos bei und tauschen sich aus.
Doch weshalb gibt es gerade hier so viele Milane? "Unser Gutachter spricht von einem Eldorado für den Rotmilan", berichtet Reiner Leis. Die vielen Wiesen und stillgelegten Ackerflächen böten dem Milan ideale Lebensbedingungen. Und nicht nur ihm: Auf dem Weg zum nächsten Horst sehen wir zwei weitere Greifvögel über dem Wald kreisen. Eine genaue Bestimmung ist auf Grund der Entfernung nicht möglich.
Schon weist mich Reiner Leis auf eine weitere Besonderheit hin: "Siehst Du die Spuren an dem abgestorbenen Baum? Dort hat sich eine Fledermaus eingenistet, und was dort herausgelaufen ist, ist ihr Urin." Es sind jedoch nicht nur die Greifvögel oder die seltenen Fledermäuse. Der Wald am Kornberg besitzt eine hohe Vielfalt, die Natur scheint hier größtenteils noch intakt zu sein. "Der Wald hier ist voller Leben", schwärmt Reiner Leis, und wer mit offenen Augen durch das Gebiet geht, kann das nur bestätigen. Wir sind jetzt seit gut einer Stunde dort unterwegs. Wir haben nicht einen Menschen getroffen, aber dafür unzählige Tiere gesehen - vom großen Greifvogel bis zum kleinen Schmetterling.
Wir sind am letzten Horst angelangt, und werden von einem schrillen, langgezogenen "Wiiieeh" begrüßt. "Das ist der Ruf des Rotmilans", klärt mich Reiner Leis auf. Doch halt: Das Geräusch kommt gar nicht von dort oben, wo sich der Horst befindet, sondern von dort drüben. Minutenlang sucht Leis mit seinem Fernglas die dichte Krone der Kiefer ab, dann ist er endlich fündig geworden: "Wir haben Horst Nummer 49 gefunden!"
Reiner Leis könnte mich sicherlich noch stundenlang durch den Wald führen, doch die Pflicht in der Redaktion ruft. Auf der Rückfahrt habe ich Zeit, das Erlebte einzuordnen. Und schnell wird mir klar: Ein Gutes hat die wenig erfreuliche Diskussion um die Windkraft, die bundesweit Gräben durch Gemeinden, Familien und Vereine zieht, doch: Die Schönheit und der Wert der heimischen Natur wird vielen Menschen viel stärker bewusst.