Kinderwunsch

Bei vielen Paaren will es mit der Schwangerschaft nicht klappen

Da hilft eine künstliche Befruchtung – ein nicht immer einfacher Weg, wie drei Frauen und ein Mediziner berichten

25.03.2020 UPDATE: 29.03.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 35 Sekunden
Leerstelle: Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Foto: Getty Images​

Von Frauke Gans

Carola wollte immer Kinder. Aber die 40-Jährige hat keinen Partner und leidet an Endometriose. Eine Krankheit der Gebärmutter, die oft zu Unfruchtbarkeit führt. Operationen helfen selten. In einer Kinderwunschklinik ließ sich Carola deshalb eine Eizelle einsetzen, die zuvor künstlich befruchtet worden war.

Carola hat dafür einiges auf sich genommen. Zwei Mal wurden ihr Eizellen entnommen. 193 Spritzen mit Hormonen vor der Schwangerschaft und schließlich einen fünfstündigen Kaiserschnitt, um das Wunschkind zur Welt zu bringen. Über 16.000 Euro hat die junge Mutter gezahlt, um ihr Kind in den Armen halten zu dürfen.

Hintergrund

Die künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers, mit anschließender Einführung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter:

IVF / In-vitro-Fertilisation: Die Spermien müssen in einer Petrischale die Eizelle von alleine finden.

ICSI / Intrazytoplasmatische

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Die künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers, mit anschließender Einführung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter:

IVF / In-vitro-Fertilisation: Die Spermien müssen in einer Petrischale die Eizelle von alleine finden.

ICSI / Intrazytoplasmatische Spermieninjektion: Bewegungsarme Spermien werden in die Eizelle injiziert.

Findet die künstliche Befruchtung innerhalb des Körpers statt, heißt das Insemination:

IUI / Intrauterine Insemination: Damit der Weg zur Eizelle leichter fällt, wird das Sperma bis in die Gebärmutter transportiert, wenn der Eisprung bevorsteht.

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Danach versetzte man sie künstlich in die Wechseljahre – eine weitere Schwangerschaft wäre wegen ihrer Vorgeschichte zu gefährlich. Doch vier weitere ihrer Embryonen lagen noch tiefgefroren in der Kinderwunschklinik. "Meine Eisbärchen", wie Carola die befruchteten Eizellen nennt. Diese ließ sie in die USA fliegen – eine Leihmutter sollte ihr ein weiteres Kind austragen. Viel Geld nahm Carola dafür nochmals in die Hand, doch zwei Versuche mit zwei Leihmüttern blieben erfolglos – und nun waren keine befruchteten Eizellen mehr übrig.

"Ich ließ mich aus den künstlichen Wechseljahren holen", berichtet Carola. Nach erneut 99 Spritzen konnten fünf weitere Eizellen gesichert werden. Samenzellen des Spenders ihres ersten Kindes waren noch vorhanden. Also: Befruchtung und eine dritte Leihmutter. Und gerade als es losgehen sollte, grätscht "Corona" dazwischen: Alle Behandlungen sollen vorerst ausgesetzt werden.

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Der Wunsch nach einem eigenen Kind kann so überwältigend sein, dass Menschen jeden Leidensweg auf sich nehmen, um ihn sich zu erfüllen. Heute gibt es zahlreiche Möglichkeiten nachzuhelfen, falls der Körper nicht mitspielt. In Foren für künstliche Befruchtung klingen Unterhaltungen wie das Lied "MfG" der Band "Die fantastischen Vier": Abkürzungen fliegen durch den virtuellen Raum wie Pingpongbälle. (siehe Kasten) Wer mitliest, erlebt eine emotionale Achterbahn. In einem Beitrag ist das Foto eines Schwangerschaftstests zu sehen: Es hat geklappt, Hurra! Der zweite Strich auf dem Schwangerschaftstest ist deutlich zu erkennen. Das Bild löst unwillkürlich Glücksgefühle aus – als wäre es der eigene Test. Zwei Beiträge weiter stimmt ein Blutwert trotz hundertfachem Spritzens nicht: vorerst keine Schwangerschaft. Die Trauer ist auf dem Monitor fast greifbar. Und Frauen, die im Moment mitten in der Behandlung stecken, sind zusätzlich verunsichert: Pausieren wegen Corona? Und wenn ja, wie lange abwarten?

Thomas Strowitzki ist Fachmann für künstliche Befruchtung an der Uniklinik in Heidelberg. Er kennt sich mit den Emotionen seiner Patientinnen aus. "Von unserer Seite gibt es sehr viel TLC für Kinderwunschpaare, die zu uns kommen." TLC? Tender, Love and Care. "Wer sich in einer Kinderwunschklinik vorstellt, hat meist einen langen Weg hinter sich," weiß Strowitzki.

Wie viele künstliche Befruchtungen finden denn im Jahr statt? Zahlenspiele sind schwierig. Es gibt zwar offizielle Register. Aber darin werden nur die Transfers der Eizellen festgehalten und die Schwangerschaftsraten. Die Geburtenraten dagegen nicht zuverlässig, denn nicht alle Paare geben an die Kinderwunschkliniken weiter, wie die Schwangerschaft ausgegangen ist. Was sich aber sagen lässt: Etwa drei Prozent der Babys werden derzeit nach einer künstlichen Befruchtung geboren. Am Beispiel des Jahrgangs 2016 waren dies bei 790.000 Geburten etwa 23.700 Kinder. Damit dürfte in jeder Kindergartengruppe und jeder Schulklasse ein Kind sitzen, das sein Leben einer Befruchtung außerhalb des Körpers verdankt.

Bis es so weit ist, haben die meisten Paare ja schon die emotional belastende Realität hinter sich, dass eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg nicht klappt. Oft haben die Frauen mehrere Fehlgeburten durchlitten. Eine künstliche Befruchtung ist nun nicht nur eine körperliche und seelische Belastung, sondern auch eine finanzielle. Passt man in ein gewisses Raster, übernehmen die gesetzlichen Kassen einen Teil der Kosten. Aber wer durchfällt, muss selbst zahlen. Und das geht schnell in die Zehntausende. Bei jeder privaten Krankenkasse sieht es wieder anders aus. Ist nur ein Partner gesetzlich versichert und der andere privat, wird es noch komplizierter. "Es ist ein Dschungel", seufzt Strowitzki.

Mit ausschlaggebend für finanzielle Hilfen sei auch das Alter. Für Frauen ab 40 gibt es von den Kassen oft kein Geld. "Denn das Alter der Eizellen entscheidet meist über den Erfolg einer künstlichen Befruchtung", weiß der Gynäkologe. Aber auch unverheiratete Paare dürfen in Deutschland im Fall einer künstlichen Befruchtung keine Kostenbeteiligung erwarten – ebenso wenig wie schwule Partner oder Singles. Denn das deutsche Embryonenschutzgesetz schließt alleinstehende Frauen oder auch lesbische Paare von moderner Fortpflanzungstechnik prinzipiell aus (Leihmutterschaften sind hierzulande ohnehin verboten). Weshalb sie nicht mal als Selbstzahler in einer Kinderwunschklinik behandelt werden dürfen. In solchen Fällen können sich Menschen mit dem Traum von einem eigenen Kind und ordentlichen Ersparnissen an andere Länder wenden, Dänemark oder Holland.

Das haben Saskia (35) und Sandra (32) getan: Sie sind verheiratet und möchten ein Baby. Ein gängiger Wunsch unter Paaren. Samenspenden sind in Deutschland auch erlaubt. Den zwei Frauen ist es nun aber wichtig, dass es ihr beider Kind wird. Ebenfalls ein übliches Anliegen der meisten Familien. Die Aufteilung der Zwei-Mütter-Konstellation ist klar: "Sandra wollte eine Schwangerschaft körperlich erleben. Mir war das nicht wichtig. Aber ich fand es seltsam, als Mutter körperlich nicht beteiligt zu sein", erzählt Saskia. Das Ehepaar entschied sich für die Ropa-Methode, "Reception of Oocytes from Partner". Saskia ließ sich in Holland eine Eizelle entnehmen, damit sie Sandra eingesetzt werden konnte. Dem ging ein langes Prozedere voraus. Psychologische Befragung, Hormontests, Bluttests. Eine Therapie für Saskia, um die Eizellreife zu stimulieren, gleichzeitig aber den Eisprung zu verhindern. Während Sandra ihren Körper mit Hormonen auf die Schwangerschaft vorbereitete, damit die befruchtete Eizelle sich einnisten konnte. Aber wer sollte das Sperma liefern?

"Internet und Samenbanken schieden für uns aus. Wir haben einen Freund in Spanien gefragt. So kann unser Kind seinen Vater auch kennenlernen." Also Flüge von Barcelona nach Amsterdam gebucht und eine Samenprobe abgegeben. Nach einem Einfrier- und Auftautest des Spermas und Tests auf genetische Probleme konnte es losgehen. Im Februar wurde Sandra ein Embryo eingesetzt. Im März war der Herzschlag zu sehen. Die Frauen hatten allein für die Behandlung 10.000 Euro gezahlt. Die Reisen nicht mitgerechnet. Drei Embryonen haben sie einfrieren lassen. Das Einsetzen eines weiteren Embryos kostet noch mal 2000 Euro. Aber das Gefühl, Eltern zu werden, ist für die beiden unbezahlbar.

In den USA sind die Intentionen der künstlichen Befruchtung inzwischen manchmal andere. Während in Deutschland ausschließlich bei schweren genetischen Vorerkrankungen der Gensatz einer befruchteten Eizelle auf diese Fehler – und nur auf diese – vor Einsetzen untersucht werden darf, lassen in den USA einige angehende Eltern die Embryonen auf Augenfarbe, Talente und weitere Präferenzen abklopfen: Designerbabys. Der deutsche Autor Marc Elsberg hat genau daraus einen extrem spannenden Wissenschaftsthriller gemacht: "Helix". Im Zentrum steht ein privates Forschungszentrum, in dem mithilfe von Gentechnik "besondere Kinder" gezüchtet werden. Doch die Versuche geraten außer Kontrolle.

In der Realität gehen in den USA bereits Paare vor Gericht gegen Kinderwunschkliniken, weil der Nachwuchs nicht die Erwartungen erfüllt. Für Menschen, die sich den finanziellen, körperlichen und seelischen Herausforderungen stellen, um überhaupt ein Kind zu bekommen, dürfte dies befremdlich sein.

So auch für Carola. Die 40-Jährige hat in ihrer Kinderwunschklinik unterschrieben, dass sie – Corona zum Trotz – den neuen Versuch zur künstlichen Befruchtung fortsetzen will. Sie fiebert, wie so viele Paare in Kinderwunschforen, erneut auf diesen glücklichsten aller Momente hin: Das eigene Baby im Arm zu halten. In den kommenden Tagen wird einer neuen Leihmutter eine weitere befruchtete Eizelle von Carola eingesetzt.