Die Parcels sind erfrischend pazifisch
Die australischen Berliner Parcels lassen die Beach Boys aufleben. Außerdem reingehört haben wir auch bei David Byrne, Brad Mehldau, Marissa Nadler und Big Thief.

Von Steffen Rüth
"Wir sind eine kulturell ganz gehörig fluide Band", sagt Patrick Hetherington, der Keyboarder und Gitarrist von Parcels, während wir ihn per Handyvideointerview auf einem kleinen Parkspaziergang durch sein Wahlheimatsviertel Berlin-Neukölln begleiten. "Selbstverständlich hat Berlin seine Spuren in unserem Sound hinterlassen. Besonders in den ersten Jahren waren wir hier quasi dauerhaft in den Clubs unterwegs und der euphorische, repetitive Stil Berlins hat sich bei uns in die Hirne gefräst." Auch die elektronische Musikszene Englands sowie jene der australischen Heimat habe Parcels beeinflusst. "Und darüber hinaus haben wir alle ein ausgeprägtes Faible für Pop und House aus Frankreich."
Insbesondere Letzteres ist nicht zu überhören, auf "Loved", dem dritten Album der fünf jungen Männer aus dem ostaustralischen Sehnsuchtsküstenort Byron Bay. Die Band hat ja bereits mit Daft Punk kollaboriert. Und nun hält mit dem Auftaktsong "Tobeloved" jene entspannt-beschwingte Lässigkeit Einzug, die man sonst an Phoenix schätzt. "Wir lieben diese Band", bestätigt Patrick, "dabei wussten wir lange gar nicht, dass sie aus Frankreich kommt." Umgekehrt haben bei Parcels nicht wenige Menschen angenommen, dass es sich um Franzosen handelt – zumal sie zunächst beim renommierten französischen Dance-Label Kitsuné unter Vertrag standen.
"Wir sind mit einem unendlichen Fundus an Disco, Soul und Pop vergangener Zeiten großgeworden", so Hetherington. "Wir alle lieben zum Beispiel Earth, Wind & Fire über alles. Ich würde unseren Sound aber trotzdem nicht als ,vintage‘ bezeichnen. Wir machen schon sehr zeitgemäße und knackige Songs."
Mehr denn je klingen Parcels auf "Loved", trotz vereinzelter Melancholie-Schübe wie dem Song "Everybodyelse", nach Sommer und nach Leichtigkeit. Die fünf, die nach der Schulzeit ihre einst von armen und heute von überwiegend reichen Surfer-Hippies bevölkerte Heimatstadt verließen und sich 2014 in Berlin ansiedelten (zwei Mitglieder des Quintetts leben inzwischen wieder im trotz allem immer noch bezaubernden Byron), haben leicht was von neuzeitlichen Beach Boys.
Nicht von ungefähr sind Parcels insbesondere in Portugal sehr angesagt. Und ihr neues Album haben sie unter anderem im mexikanischen Pazifik-Hipster-Ort Oaxaca aufgenommen. "Der Pazifik ist einfach unvergleichlich und überall auf der Welt schön. Ich glaube, er ist etwas salziger als andere Meere und definitiv ruppiger." Die Ostsee, wo Patrick Hetherington gerne seine Wochenenden verbringe, könne da – bei aller Liebe – nicht ganz mithalten.
Info: "Loved" erscheint diesen Freitag. Am 25. September eröffnen Parcels ihre Europatour in Düsseldorf.
Bryan Adams und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Suede
Antidepressants
Britpop Das fünfte Album seit der Rückkehr – und damit ebenso viele wie in der ersten Inkarnation, als Suede in den frühen Neunzigern den Britpop in Schwung brachten. Bis ihnen hörbar die Puste ausging. Jetzt strotzen Brett Anderson & Co. zum Glück wieder vor Energie. "Antidepressants" bietet elf Songs im klassischen Suede-Sound, der sich keinen Trends mehr anbiedern muss. Mit einem exaltierten Frontmann, der erzählerisch aus dem Vollen schöpfen kann: von der überwundenen Depression und Drogensucht, der eigenen Vergänglichkeit über den Blick auf die eigenen Kinder bis hin zum doppeldeutigen Statement: "Dancing With The Europeans", einer Art Anti-Brexit- oder auch Pro-Ukraine-Hymne. (hol) ●●
Für Fans von: Blur
Bester Song: The Sound And The Summer
The Rasmus
Weirdo
Rock Rock Auch wieder 22 Jahre her, dass "In The Shadows" in die deutschen Single-Charts einkrachte. Mit "Weirdo" kommt schon das elfte Rasmus-Album. Gewidmet ist es den Freaks und Sonderlingen – eine zehn Songs-Ode an das Anderssein. Richtig freaky klingen Lauri Ylönen und Co. aber nicht. Poppige Melodien, wuchtige E-Gitarren, gedrückter Harmoniegesang: Schreit alles nach dem hinteren ESC-Platz, den das Finnenquartett bereits 2022 belegt hat. (dasch) ●
Für Fans von: HIM, Good Charlotte
Bester Song: Love Is A Bitch
Die Höchste Eisenbahn
Wenn wir uns wieder sehen schreien wir uns wieder an
Indiepop Ausgerechnet Die Höchste Eisenbahn lassen sich gerne Zeit: Sechs Jahre sind seit dem letzten Album vergangen. Vielleicht fühlt sich der Viertling der Berliner deshalb so behaglich an. In ihrer Prosa von der Melancholie des modernen Menschen schimmert Wärme durch, Mitgefühl und Sprachwitz. Dazu gestaltet die Gruppe ihren Indiepop mal schmissig, mal trabend – aber immer mit einem Händchen für Melodien. Bleibt nur eins zu sagen: "hach ..." (han) ●●●
Für Fans von: Von Wegen Lisbeth
Bester Song: Hotpants
Josh Ritter
I Believe In You, My Honeydew
Folk Seit er mit 17 von einer Klassenfahrt nach Idaho mit zwei Alben von Bob Dylan und Johnny Cash zurückkam, ist Josh Ritter Folk-Fan. Kurz darauf kaufte er seine erste Gitarre. Mittlerweile hat er Songs für Joan Baez und Bob Weir geschrieben und mit "I Believe In You, My Honeydew" ein neues Album am Start. Produziert von Sam Kassirer überrascht es mit poppigen Tracks wie "You Won’t Dig My Grave" und "Honeydew". Zwar gibt es immer noch puristischen Folk wie "Truth Is A Dimension" und Rockkracher wie "Kudzu Vines". Aber in Summe wirkt diese Scheibe seltsam glattgebügelt. Kein Vergleich zu grandiosen Vorgängeralben wie "Spectral Lines" (2023) oder "Fever Breaks" (2019). (welf) ●
Für Fans von: Al Stewart
Bester Song: Kudzu Vines