Heidelberger Frühling

"Wir müssen den Mut haben, das Publikum zu fordern"

Am heutigen Samstag beginnt die 25. Ausgabe des Heidelberger Klassikfestivals. Der Festivalintendant Thorsten Schmidt im RNZ-Interview.

25.03.2022 UPDATE: 26.03.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 48 Sekunden
Auf der Suche nach dem Publikum von morgen: Intendant Thorsten Schmidt. F: Nikolaj Lund

Von Jesper Klein

Heidelberg. Nach zwei ausgefallenen Jahrgängen startet am heutigen Samstag der Heidelberger Frühling in seine 25. Ausgabe. Das Klassikfestival steht in diesem Jahr unter dem Motto "FESTspiel".

Herr Schmidt, welche Rolle kann ein Musikfestival in Zeiten des Krieges einnehmen?

Bei einem Musikfestival zusammenzukommen und sich über die aktuellen Ereignisse auszutauschen, halte ich für ungemein wichtig. Das hat uns in den vergangenen zwei Jahren durch die Pandemie gefehlt. Es besteht Heilungsbedarf. Auf der anderen Seite haben wir eine bedrohliche politische Situation. Ich glaube, es ist der richtige Weg, Austausch zu ermöglichen und zugleich zusammenzukommen, um Musik zu hören. So bieten wir den Menschen eine Gelegenheit, ein wenig aus dem Alltag rauszukommen. Konkret werden wir mit dem Festival helfen, indem wir Mittel sammeln.

Ein aktuelles Thema sind die Fälle Waleri Gergijew und Anna Netrebko. Muss man die zum Festival eingeladenen russischen Künstler auf ihre politische Einstellung überprüfen?

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Wir müssen differenzieren. Die Fälle Gergijew und Netrebko sind für mich klar und auch die Reaktion aus München fand ich richtig. Auch ich habe darum gebeten zu schauen, ob es bei uns Künstler gibt, die sich explizit nicht vom Krieg distanzieren. Wenn sich jemand bewusst für den Krieg ausspricht, würde ich die Reißleine ziehen. Russische Musiker unter Generalverdacht zu stellen, halte ich für fragwürdig. Dieses Denken passt nicht zu dem, wofür wir stehen. Jede Institution muss für sich sehr genau überlegen, wo sie die Grenze zieht. Bei uns ist das keine Chefentscheidung, sondern eine Entscheidung, die vom ganzen Team getragen wird.

Gab es konkrete Programmänderungen?

Nein. Es ging generell vielmehr um die Frage, wie wir unsere Solidarität ausdrücken. Ob wir vor jedem Konzert eine Schweigeminute machen sollen. Man kann nicht jeden Abend mit der ukrainischen Nationalhymne beginnen, das wird auf Dauer schwierig.

Thema Corona: Auf welche Bedingungen kann sich das Publikum beim Festival einstellen?

Es ist eine große Erleichterung für uns, dass eine Auslastung von 100 Prozent möglich ist. Bestimmte Konzerte sind ausverkauft und wir müssen niemanden vor die Tür setzen. Wir hoffen, dass das Publikum den Mut fasst, zum Festival zu kommen. Es gibt noch viele Karten.

Beim Blick auf das Programm fällt die prekäre Spielstätten-Situation ins Auge. Wie sehr fehlt die Stadthalle nicht nur als Konzertsaal, sondern auch als Ort der Begegnung?

Gerade vor dem Hintergrund der Pandemie wäre es schön gewesen, einen Ort zu haben, der in gewohnter Form Begegnungen ermöglicht. Es steckt aber auch eine Chance darin. Wir werden ein Festivalzentrum im Hof der Neuen Universität einrichten, sodass ein kleiner Campus um die Spielstätten Alte Aula, Neue Aula, Jesuitenkirche und Peterskirche entsteht. Das schafft eine besondere Atmosphäre, weil sich das Publikum aus vier Konzerten an einem Ort treffen kann. Wir haben in diesem Jahr zwei Stränge verknüpft: Konzerte in den Sälen werden durch die kostenlosen Konzerte des Programms "re:start" in allen Heidelberger Stadtteilen ergänzt. So sind wir auf Orte gestoßen, die wir sonst womöglich nicht bespielt hätten. Mit dieser Mischung können wir das Fehlen der Stadthalle ausgleichen.

Hat man es in Vergangenheit ein wenig versäumt, das Festival schon früher in die Stadtteile zu tragen?

Wir sind immer wieder mit Konzerten in Spielstätten in Randlagen gewesen – auch auf dem Emmertsgrund. Das gehört zur Geschichte des Festivals. Es gibt noch immer Akzeptanzprobleme. Und leider ist Heidelberg nicht unbedingt reich an besonders interessanten Räumen mit Akustik wie etwa alte Fabrikhallen oder Straßenbahndepots. Aber das Bürgerhaus auf dem Emmertsgrund ist einer der schönsten Säle in Heidelberg. Der freie Eintritt ist eine andere Sache. In diesem Fall funktioniert es durch den Fonds Zukunftsmusik, den wir mit unseren Hauptpartnern und der Stiftung ins Leben gerufen haben, um junge Künstler und Künstlerinnen in der Corona-Krise zu unterstützen. Ich fände es großartig, jedes Jahr mit Konzerten bei freiem Eintritt in die Stadtteile zu gehen. Aber dafür müssen die Mittel zur Verfügung stehen. "re:start" bleibt zunächst eine einmalige Sache, aber ich werde das beobachten und vielleicht kann etwas daraus entstehen. Ein Festival wie der Heidelberger Frühling muss eigentlich ein Festival für alle sein.

Was ist Ihr persönliches Highlight in diesem Jahr?

Höhepunkt ist alles. In jedem Fall "re:start", weil es eng mit dem zusammenhängt, was wir uns vor 25 Jahren, als wir das Festival gegründet haben, vorgenommen haben: niederschwellig zu sein. Die Stadt ohne Rücksicht auf mögliche Hürden mit Kunst und Musik in Berührung zu bringen. Sehr gespannt bin ich auf das Konzert mit Martin Grubinger im SNP dome. Es ist eine Möglichkeit, "ernste Musik" in einem Ambiente zu erleben, das dafür eigentlich nicht gemacht ist. Das erzeugt eine gewisse Spannung.

Sie teilen sich die künstlerische Leitung des Festivals künftig mit Igor Levit. Steckt dann weniger Thorsten Schmidt im Heidelberger Frühling?

Das werden wir sehen. Es sollte gar nicht so viel Thorsten Schmidt erkennbar gewesen sein in der Vergangenheit. Mir ging es immer darum, genau zuzuhören und ein Gefühl für das Publikum zu bekommen. Die eigentlichen Festivalmacher sind die Menschen, die ins Konzert gehen. Wir versuchen, immer ein Stück voraus zu sein und Angebote zu entwickeln, die unser Publikum weiterbringen. Da sind Igor Levit und ich uns in der Haltung nah beieinander. Manche Perspektiven sind in einem gewissen Alter aber verstellt. Idealerweise entsteht ein Programm, das für das Publikum von morgen eine eigene Sprache entwickelt, das bestehende Publikum aber nicht verliert. Das ist die Aufgabe.

Wie schafft man es, dem Publikum voraus sein?

Es braucht den Mut zum Scheitern. Wir haben zum Beispiel anspruchsvolle Konzerte um 23 Uhr mit Überraschungscharakter gemacht. Ich wollte immer mal einen Liederabend in der Unterführung am Adenauerplatz machen. Wir müssen den Mut haben, das Publikum zu fordern. Es fängt damit an, jungen Musikerinnen und Musikern Freiräume zu geben. Alles, was wir tun, ist darauf gerichtet, dass man etwas erlebt, das im Gedächtnis bleibt. Wenn Menschen etwas aus dem Konzert mitnehmen und es im nächsten Sommerurlaub noch nachklingt, dann haben wir etwas richtig gemacht.

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