Der "Frühling" setzt auf eine Doppelspitze
Festivalintendant Thorsten Schmidt holt sich Igor Levit an seine Seite. Der Weltklasse-Pianist ist ab sofort Co-Künstlerischer Leiter.

Von Sebastian Riemer
Thorsten Schmidt, 59, kommt glattrasiert und im Anzug mit Einstecktuch zur Pressekonferenz. Igor Levit, 35, trägt Vollbart, Pullover und eine Art Jogginghose. Die beiden äußerlich so unterschiedlichen Männer teilen sich ab sofort die künstlerische Leitung des "Heidelberger Frühling". Schmidt bleibt zwar alleiniger Intendant des klassischen Musikfestivals – holt sich mit Levit aber einen der weltbesten Pianisten als Co-Künstlerischen Leiter an die Seite. Die Zusammenarbeit ist zunächst für fünf Jahre vereinbart.
"Das ist ein bewegender Moment für mich, denn er läutet eine neue Ära ein", sagt Schmidt bei der offiziellen Bekanntgabe des neuen Führungsduos am Dienstag im Europäischen Hof. "Für uns ist es ein großer Glücksfall, dass Igor Levit diese Rolle einnimmt." Der Pianist kommt seit 2011 regelmäßig nach Heidelberg zum "Frühling", hat sich immer stärker ans Festival gebunden – etwa als Künstlerischer Leiter der Kammermusik Akademie und als Kurator des Schwerpunkts "Standpunkte".
Hintergrund
Igor Levit ruft zu Solidarität mit russischen Musikern auf
Der Pianist Igor Levit stellte sich bei seiner Vorstellung als neuer Co-Künstlerischer Leiter beim "Heidelberger Frühling" (siehe Artikel rechts) in der Ukraine klar an die Seite russischer Musiker. Zu Putins
Igor Levit ruft zu Solidarität mit russischen Musikern auf
Der Pianist Igor Levit stellte sich bei seiner Vorstellung als neuer Co-Künstlerischer Leiter beim "Heidelberger Frühling" (siehe Artikel rechts) in der Ukraine klar an die Seite russischer Musiker. Zu Putins Invasion in der Ukraine sagte er: "Es ist der Krieg eines Diktators und seiner kleinen Gruppe von Handlangern." Zwar gebe es auch unter Musikern "politische Profiteure, Operateure und Handlanger dieses Diktators". Aber, so der 35-Jährige: "Die allermeisten russischen Musikerinnen und Musiker sind das nicht – sie sind einfach russische Musikerinnen und Musiker." Diese müsse man schützen. "Es wäre der Sieg alles Bösen, wenn wir diese Menschen ihrer künstlerischen Lebensgrundlage berauben, nur weil sie den falschen Pass haben. Dagegen wehre ich mich mit allem, was ich habe."
Igor Levit wurde 1987 in der Sowjetunion in Gorki – heute Nischni Nowgorod, die fünftgrößte Stadt Russlands – geboren. 1995 übersiedelten seine Eltern mit ihm als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Hannover. (rie)
Als Intendant sehe er es als seine Aufgabe, so Schmidt, "strategische Weichenstellungen" vorzunehmen – daher die Entscheidung für die neue Doppelspitze. "Wir wollen damit noch stärker in den Dialog der Generationen treten. Denn Igor Levit bringt Erfahrungen und Perspektiven auf diese Welt mit, die sich von meinen unterscheiden." Zugleich stehe Levit wie kaum ein anderer Künstler für die Vision des "Frühlings" als Raum für Diskurs und Treffpunkt für neue Ideen – mit dem Menschen immer im Mittelpunkt.
"Nun offiziell in die Frühling-Wohnungsgemeinschaft einzuziehen, macht mich überaus glücklich", sagte Levit bei der Pressekonferenz. Er verdanke dem Festival einen Gutteil seines künstlerischen Selbstverständnisses. "Ich habe hier so viel gelernt, Freiräume bekommen und mich immer aufgehoben gefühlt – als Künstler und als Mensch", so der 35-Jährige. Dieses Gefühl und diese Chancen wolle er nun in seiner neuen Rolle anderen jungen Musikerinnen und Musikern geben.
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Levit ist ein politischer Kopf, der gut zum debattenstarken "Frühling" passt. Manchen ist er gar nicht so sehr als Pianist bekannt, sondern mehr als Aktivist, der auf Twitter und in Interviews häufig Stellung bezieht. Levit kämpft gegen Antisemitismus, die Ausgrenzung Geflüchteter oder die AfD – und äußert sich unmissverständlich über Putins Angriffskrieg in der Ukraine (siehe Artikel links). Nach Heidelberg ziehen wird der Wahl-Berliner Levit für seinen neuen Job nicht. Bei der Pressekonferenz kündigt er aber vollen Einsatz an: "Ich versichere Ihnen: Ich mache keine halben Sachen."
Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner, der gemeinsam mit den Festivalsponsoren Uwe Schroeder-Wildberg (MLP) und Dominik von Achten (HeidelbergCement) bei der Pressekonferenz dabei war, lobte die Einrichtung der Doppelspitze als "wesentlichen Schritt für die Zukunft des Festivals". Schmidt leite damit einen zukunftsweisenden Generationenübergang ein.
Für den Intendanten, der den " Frühling" 1997 mit erfunden und seither zu einem europaweit renommierten Festival entwickelt hat, ist die Verpflichtung Levits auch Ausdruck seiner persönlichen Haltung: "Mir ist wichtig, das, was wir aufgebaut haben, früh für die Zukunft auszurichten." Dazu gehöre, die jüngere Generation rechtzeitig einzubinden, so Schmidt. Denn der 59-Jährige will nicht irgendwann aus dem Intendantenbüro herausgetragen werden müssen: "Ich habe schon sehr früh für mich entschieden, dass mir das nicht eines Tages passieren wird."
Doch dieser Zeitpunkt ist noch weit entfernt. Jetzt steht erst einmal das große Jubiläumsfestival an. Der diesjährige "Frühling" beginnt in zehn Tagen, feiert ab 26. März sein 25-jähriges Bestehen. Nach zwei wegen Corona abgesagten Jahrgängen wird es ein ganz besonderes Festival: Weil die Stadthalle renoviert wird, gibt es viele neue Spielorte zu erleben. Neben dem normalen Festivalprogramm gibt es mit der Reihe "Restart" ein zusätzliches Gratis-Programm in allen 15 Heidelberger Stadtteilen. Insgesamt stehen binnen vier Wochen 188 Veranstaltungen an.
Info: Festivalprogramm und Tickets unter www.heidelberger-fruehling.de.



