Von Matthias Roth
Walldorf. Eine Stahltreppe führt an der Außenwand des zweistöckigen Industriegebäudes nach oben, wo am dunklen Winter-Spätnachmittag schon Licht brennt. In unmittelbarer Nähe eines großen schwedischen Möbelkonzerns im badischen Walldorf bin ich verabredet mit einer spanischen Künstlerin: Susana Reberdito. Die Fotografien aus ihrem Studio, die die Künstlerin bei Facebook postet, zeigen ein geräumiges Atelier, das es auch in Corona-Zeiten gestattet, sich maskenbewehrt mit Abstand zu treffen.
"Ich habe gelüftet", begrüßt mich die Malerin, und ihr Lachen kann ich trotz Maske gut erkennen. Sie hat offenbar eine fröhliche Natur, das sieht man auch an ihren Bildern, die meist mit kraftvollen Farben und breiten Pinseln in großen Formaten gemalt sind. Wenn sie ein "kleines Bild" postet, dann hat auch dieses oft 70x70cm-Maße. Und so bin ich beim Eintritt in das große, hell erleuchtete Atelier auch sofort umstellt von Leinwänden, die die Fläche eines Betts oder Schranks ausmachen, und in einer kleinen Wohnung würde manches Bild sicher eine ganze Wand füllen. Dabei ist die Künstlerin selbst kleiner als ich, und ich bin kein Riese.
Susana Reberdito wurde 1962 in San Sebastian im Baskenland geboren. Damals eine politisch unruhige Region. Mit ihren Eltern zog sie 1974 nach Santander, ebenfalls an der Nordküste Spaniens gelegen, wo sie 1980 auch mit dem Studium begann: Zeichnen und Malerei bei Xesús Vázquez und Esteban de la Foz. Aber sie hatte noch andere Interessen und studierte daneben Mathematik. Zum Abschluss des Studiums der Kunstgeschichte (1988) wechselte sie nach Madrid, wo sie an diversen Kunst-Workshops teilnahm und ihren Mann kennenlernte, einen Informatiker.
Mit ihm ging sie 1988-89 nach Tokio und 1990-92 nach New York, bevor das Paar 1995 in Walldorf sesshaft wurde. Hier widmete sich die Künstlerin zunächst der Familie, die bald fünfköpfig war. Zum Malen kam sie dabei wenig, und wenn, dann konnte sie es nur in einem kleinen Kellerraum verwirklichen: Die Formate aus dieser Zeit sind entsprechend klein, die Farben eher dunkel.
"Meine Lehrer malten alle abstrakt", sagt sie, so, als wolle sie ihre Bilder von damals damit entschuldigen. Denn schon eines ihrer ersten großen Formate zeigt etwas anderes: 1990 gewann sie den Wettbewerb um die Ausgestaltung einer Wand in der Sala Griega des Palacio de Festivales in Santander, und schon dieses Mural-Gemälde im langen Halbrund zeigt – in stilistischer Anlehnung an Matisse – einen Reigen von fröhlich Tanzenden auf tiefblauem Grund.
Heute fällt auf, dass Susana Reberdito ihre Malerei auf wenige Motive beschränkt hat, diese aber vielfach variiert und beinah seriell nach neuen Möglichkeiten abtastet. "Ich war in den ersten Jahren in Deutschland häufig allein zuhause und lernte die Sprache. Dann kümmerte ich mich um die Kinder, da war das Malen zurückgestellt. Als ich wieder intensiver mit der künstlerischen Arbeit begann, konzentrierte ich mich motivisch auf das, was mich umgab: eine Obstschale, eine Blumenvase." Bis heute sind das bevorzugte Motive. Dabei arbeitet sie meist in Öl auf Leinwand und zeichnet mit dem Pinsel grob die Konturen vor (das Zeichnerische ist fast immer erkennbar). Die Farbe trägt sie dann mit breiten Pinseln auf, ohne dabei etwa eine Orange en detail wiedergeben zu wollen. Das Malen mit Pigmenten gab Susana Reberdito nach allergischen Reaktionen auf. Heute benutzt sie Farben aus der Tube, die sie selten mischt: Nuancierungen entstehen beim mehrfachen Übermalen mit unterschiedlichen Farben
Fünf große, quadratische Leinwände stehen derzeit im Atelier verteilt auf hölzernen Gerüsten. (Diese Staffelei zu nennen, würde einen falschen Eindruck erwecken.) Sie widmen sich dem zweiten großen Motivkomplex, den die Malerin bevorzugt – das Meer. Auch hier geht es nicht um die Wiedergabe des feuchten Elements im Stil eines "Seestücks". Reberditos Malen ist ein Malen an sich, keine Option zur Wiedergabe von bildlicher Wirklichkeit. Es geht in diesen Bildern in erster Linie um Farbe, Stoff, Form, Kontrast oder Gleichklang und hat darin etwas von Farbfeld-Malerei. Beim Motiv des Meeres oder anderen Landschaften gibt es Werke, die vollkommen in Farbflächen aufgelöst sind und an die Bilder etwa von Mark Rothko erinnern.
Doch am häufigsten bestimmt große Bewegung diese Bilder: Wellen, Schlingen, Schleifen dominieren die Bildfläche. Viel Schwung und viel Farbe sind nötig, und an einigen Stellen sieht man die frisch aufgetragene, bunte Flüssigkeit Tropfen bilden: "Ich kann nicht auf dem Boden malen, da reichen meine Arme nicht aus, um in alle Ecken zu kommen. Ich stelle die Bilder auf, und da kann es schon sein, dass die Farbe spritzt oder tropft. Das ist Teil des Malprozesses", erläutert die Künstlerin und lächelt. Zwischendurch begann sie, auch ins Dreidimensionale zu denken, entwarf Ideen für Brunnenplastiken oder ließ Zeichnungen mit einem Laser aus Kunststoffplatten schneiden. Auch mit Druckverfahren und iPad-Bildern experimentierte sie.
Doch ihr eigentliches Metier ist die pure Malerei, der Umgang mit Farben, und diese strahlen Optimismus aus: Die Felsen im türkisfarbenen Wasser sind Dottergelb, die dramatischen Wolken im großen Diptychon "Meeresrauschen" sind zitroniger und changieren in Grünliche. Das aufgewühlte Meer darunter schäumt in vielen Lagen von unterschiedlichem Blau und gibt Durchblicke auf einen roten Untergrund frei: Häufig übermalt sie Bilder, und bei einem anderen Meeresbild lugen Teile einer Obstschale hervor. "Es kommt vor, dass ich nicht fertig werde und immer weiter übermale", sagt sie.
Die beiden Teile von "Meeresrauschen" (2016) sind jeweils 2x2 Meter groß. Es ist eines der größten Werke, die sie im Atelier beherbergt: Sie zieht sie aus einem Holzregal hervor und stellt sie sorgfältig an die Wand. Das Meer tobt und stöhnt, der Wind pfeift und zischt, die Wolken wirken bedrohlich. Im Gegensatz zu den Stillleben, die eher meditativ wirken, peitschen hier Gefühle auf. Kein Wunder, dass eine Galeristin sich weigerte, diese Bilder in kleinen Räumen zu zeigen: Sie würden alles andere hinweg fegen! Und das ist ohne Zweifel denkbar.
"Letztlich will ich Schönheit ins Leben bringen", sagt Susana Reberdito und geleitet mich zur Tür. "Es ist oft grau genug." Mit einem Lächeln steige ich die Stahltreppe wieder hinunter. Alles ist dunkel, grau und kalt. Aber das Meer rauscht mir noch in den Ohren. Mitten in Walldorf!
Info: Nächsten Jahr ist eine Ausstellung mit neuen Bildern in der Heidelberger Galerie P13 geplant.
Breite Pinsel bevorzugt: Susana Reberdito in ihrem Atelier. Foto: Roth