Die Eppinger sind nun auf Entzug (plus Fotogalerie)
Zum Finale der Gartenschau feierten Bürger und Helfer nochmals eine große Party und trauern einem "geilen Sommer" nach.

Von Armin Guzy
Eppingen. Alles fließt am vergangenen Sonntag in Noch-Gartenschau-Eppingen: Die Stadt hat ihre "Wassernase" gestrichen voll, Dauer-Nachschub von oben prasselt auf Wassertische und Wasserspielplatz, und selbst die Innenstadt ist überschwemmt – von Wasser und Besuchern. Eine farbenfrohe Schirmparade zieht am verkaufsoffenen Kerwe-Sonntag durch die Straßen. Es ist der 136. und somit der letzte Gartenschautag. Und er ist trotz des miserablen Wetters nochmals ein überraschend guter.
Die Gartenschau klingt an vielen Ecken gemütlich, mitunter auch wehmütig aus. Bei den Landfrauen, vor Elektro-Müller, vor der Dieffenbacher-Bühne, vor dem Café Müller und der Kaffeefaktur: Überall sitzen und stehen Grüppchen bei Kaffee, Bier, Wein, Leberkäs-Brötchen oder Zwiebelkuchen beisammen, geschützt von großen Schirmen oder Zelten. "Glühwein geht heute besonders gut. Erheblich besser als Eis", sagt Dieter Mitsch vom Sulzfelder Wildobsthof, der nahe dem Marktplatz seinen Verkaufsstand aufgebaut hat – und sich wundert, dass doch so viele Leute gekommen sind. Mittags hatte Peter Thalmann, Bürgermeister und zugleich Betriebsleiter der Gartenschau, dort mit einem einzigen wuchtigen Schlag noch etwas zum Fließen gebracht: das Kerwe-Freibier.
Vom großen Andrang, befeuert durch den verkaufsoffenen Sonntag, zeugen schon die Eingänge der Geschäfte. Im Modegeschäft Spiess stehen und liegen etliche triefende Parapluies neben den Schirmständern, so groß ist der Zulauf. Inhaber Oliver Spieß freut’s: "Alle wollen ins Trockene. Und alles, was ein bisschen dicker ist, ist der Renner." Dicke Puschelsocken etwa, aber auch Bettflaschen. "Die Gartenschau hat so viel positive Stimmung gebracht – und auch sehr viel Lob für die Innenstadt", resümiert Spieß. "Das hat schon gutgetan."
Ähnlich fällt auch das Fazit von Steffen Kammerlander im Fotogeschäft gegenüber aus: "Es war wunderbar und toll, die Stadt wieder voller Menschen zu erleben", sagt der HGV-Vorsitzende. Er vermutet, "dass die Eppinger demnächst etwas Entzug haben". Durchweg positive Resonanzen habe er gehört – und zwar in unterschiedlichsten Dialekten. Auch für die Gastronomie war die Schau nach der Corona-Zeit ein Segen. "Alle drumherum waren von woanders", berichtet Kammerlander beispielsweise vom jüngsten Familienessen im Wirtskeller St. Georg. "Von Anfang an gut", bestätigen Rame und Shaqir Shala, die Inhaber des Wirtskellers. Und auch ihr Altstadthotel lief zumindest an den Wochenenden "auffallend besser". Sie hoffen, dass fünf bis zehn Prozent der Gartenschaufrequenz dauerhaft erhalten bleiben.
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Auf dem Veranstaltungsgelände am Rande der Altstadt klingt unterdessen die Gartenschau aus. Am Eingang werden die "letzten Stempel" auf Handrücken gedrückt, ein Händler packt bereits zusammen, und die Gartenschau-Devotionalien gibts zum Schleuderpreis: T-Shirts, Liegestühle, Tassen, sogar Flip-Flop-Sandalen. Rege werden Portemonnaies gezückt und – wen wundert’s? – auch etliche Schirme verkauft.

Kehraus auch beim Kunstförderverein Artificium: Eine halbe Stunde vor der großen Abschlussparty fegt Virginia Gorny von der Schreinerei Urholz im "Gläsernen Atelier" getrocknete Matsch-Krümel zusammen, die bei diesem Wetter unvermeidlich sind. "Manche haben sich heute gar nicht reingetraut", sagt sie angesichts des piekfeinen Ateliers, "oder nur in den Regenpausen." Ihrer Beobachtung nach sind an diesem Tag auffallend viele Familien gekommen: "Die wollen wohl den letzten Tag noch mitnehmen." Tatsächlich macht beispielsweise der junge, wetterfest ausgerüstete Paul aus Elsenz das Beste aus dem Mistwetter und testet per Sprung munter die Spritzeigenschaften verschiedener Pfützen.
Peter Schäffner hat als Ehrenamtlicher schon bei den Gartenschauen in Bad Rappenau und Öhringen und auf der Buga in Heilbronn geholfen. Der Heilbronner Büroangestellte hat damals quasi Blütenstaub geleckt und will nächstes Jahr auch in Mannheim dabei sein. Eppingen aber war für ihn etwas ganz Besonderes, wie er am Eingang der Blumenscheune der RNZ verrät und später bei der Abschlussparty nochmals auf der Bühne vor Publikum wiederholen wird: "Die Eppinger waren wunderbare Gastgeber. Ich habe bei all den Schauen noch nie so ein herzliches Willkommen erlebt." Viele seien traurig, dass es nun zu Ende geht, meint Schäffner. "Ich auch." Er hat extra eine Woche Urlaub genommen, um noch beim Abbau zu helfen.
"Sonst wunderschön, heute eher ...", resümiert Kamel Tinsahli vom Eppinger Imkerverein, der einsam die Stellung in der historischen Gartenlaube hält. Bienen fliegen heute nicht, nur Wespen. Daher bleiben die Ferngläser, mit denen sich die Bienenstöcke aus sicherer Entfernung beobachten lassen, heute unbenutzt. Ihre Linsen sind ohnehin beschlagen. "Alle Leute sagen: Das war eine gelungene Gartenschau." "Ehrlich!", fügt er hinzu, so als ob dem nahezu allseits zu hörenden Lob etwas Zweifelhaftes anhaftet, das ausgeräumt werden muss. Wenn Kritik zu hören ist, zielt sie fast ausschließlich auf die Preise und mitunter auch auf das Tempo der Gastronomie.
Am Nachmittag übergibt ein gut aufgelegter, ja fast euphorischer Oberbürgermeister Klaus Holaschke die Gartenschaufahne und den neu gravierten, glänzenden Spaten an Balingens Bürgermeister Helmut Reitemann. Die Stadt im Zollernalbkreis richtet im kommenden Jahr die Gartenschau aus: "Wir seh’n uns", wird versprochen, und Staatssekretärin Sabine Kurtz lobt nochmals das Besondere der Eppinger Schau, unter anderem die vielen ehrenamtlichen Helfer.

"Schwimmen!", ruft ein Besucher zwei Stunden später einem Jungen scherzhaft zu, der an der "Wassernase", dem Zusammenfluss der Bäche Elsenz und Hilsbach, wieder umdrehen muss, weil die Trittsteine, die eigentlich darüberführen, vollständig überflutet sind. Er muss einen Umweg machen und sich beeilen, denn im Hintergrund sind schon die Dudelsackklänge zu hören. Das Bürgerfest, der große Abschluss auf der Sparkassenbühne, beginnt. Vom Kilt bis zum Dolch im Strumpf stilecht gekleidet, sind die "Heidelberg & District Pipes and Drums" aufmarschiert. OB Holaschke erinnert in seiner Ansprache auch an das Engagement der Partnerstädte, darunter der nahe London gelegenen Stadt Epping. "Schottland wär’ uns lieber", kommentiert Donald McPhee, der an diesem Abend die Dudelsack-Gruppe leitete. Hat die Gruppe vielleicht gar das schottische Wetter mitgebracht, das die beiden letzten Gartenschautage etwas trübte? Die 400.000er-Marke wurde am Ende nur um etwa 10.000 Besucher verpasst. Musikalische Abschiedsgrüße haben die Heidelberger Schotten jedenfalls gleich mehrere dabei: "Auld Lang Syne" (Nehmt Abschied, Brüder) erklingt, und, als passende Zugabe, auch "Muss i denn".
Inzwischen haben sich fast 900 Menschen eingefunden, drängen sich unter das weitgespannte, aber doch zu kleine Dach der Sparkassen-Bühne und erinnern sich gemeinsam an Eindrücke aus den vergangenen 135 Tagen, an die spektakulären Großveranstaltungen wie zuletzt das Lichterfest, aber auch an die kleinen, an viele herzliche Begegnungen und die gute Stimmung. Matschspritzer auf der Anzugshose – was solls? OB Holaschke ist bestens drauf, wie die meisten hier. Lauten Extra-Applaus gibts für Wolf Grünenwald, den Manager der fast 2000 Einzelveranstaltungen. Und Thalmann fasst seine Eindrücke in einer prägnanten Aussage zusammen, die wohl viele teilen: "Es war ein geiler Sommer!"
Schlagersänger Christian Engel schmettert noch mal seinen "Gartenschau-Song", dann wird zu den deutlich rockigeren Klängen der Coverband "Lost Eden" eine krachende Abschlussparty gefeiert. Erst spät zerstreuen sich die letzten, immer noch schirmbewehrten Zuschauer und schlendern zu den Ausgängen. Sollte dabei eine Träne in den Matsch getropft sein, keiner hätte es bemerkt – aber viele Eppinger würden es verstehen. Eine Frau sagt, dass sie ihre Dauerkarte einrahmen wird. Dann schiebt sie ein letztes Mal das Drehkreuz an und verschwindet in der Altstadt. 136 Tage sind um. Das wars.