Der Klimawandel kommt

So werden wir in 30 Jahren in der Region leben

Die Hitzesommer 2018 bis 2020 haben gezeigt, was passiert, wenn die Menschheit die Klimakrise nicht in den Griff bekommt. Beispiele, wie wir in Mannheim, Heidelberg und im Odenwald in nur 30 Jahren leben werden.

01.06.2021 UPDATE: 06.06.2021 06:00 Uhr 5 Minuten, 26 Sekunden
Nur einige Folgen des Klimawandels: Es wird öfter Hochwasser geben, wie dieses in Heidelberg nach heftigen Regenfällen im Dezember 2010. Foto: Lenhardt

Von Alexander R. Wenisch

Heidelberg. Gäbe es beim Klimawandel einen eindeutig identifizierbaren Bösewicht, so wie das Coronavirus, die Menschen würden nicht zögern zu handeln. Das liegt an unserem Gehirn. Es ist auf unmittelbare Gefahrenabwehr programmiert. Auf den angreifenden Säbelzahntiger. Doch das "Raubtier" Klimawandel ist so weit weg, so wenig erfahrbar, versteckt sich hinter solch abstrakten "Reduktionszielen", dass man die Gefahr nicht ernst genug nimmt. Obwohl die Klimamodelle keine Zweifel lassen. Aber mit Statistiken, Diagrammen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen erreicht man nur Zahlenfetischisten.

Dabei sind die Zeichen am Horizont längst erkennbar. Daher haben sich die beiden Journalisten Nick Reimer und Toralf Staudt angeschaut, wie "Deutschland 2050" (Kiwi, 374 Seiten, 18 Euro) aussehen wird, wenn wir es nicht schaffen, in der Umweltpolitik, aber auch in unserem täglichen Verhalten, umzusteuern. Ganz konkret heruntergebrochen auf unsere Region: Wie werden wir an Rhein, Main und Neckar leben? Und zwar in nur 30 Jahren – ein überschaubarer Zeitraum. Dann werden die heute 40- bis 45-Jährigen Senioren sein und ihre Kinder erwachsen.

Die Hitze nimmt zu

Die Sommer der vergangenen drei Jahre mit ihren Dürreperioden haben einen Vorgeschmack darauf geliefert, was kommen kann. Andreas Walter vom Deutschen Wetterdienst sagt für den Südwesten voraus: "Spätestens ab 2050 wird das Leben ungemütlich für Menschen in der Region Wiesbaden, Mainz, Mannheim, Karlsruhe, im Oberrheingraben bis hinunter nach Freiburg." Das sind ja schon heute die heißesten Gegenden in Deutschland. Früher – also 1971 bis 2000 – war es dort durchschnittlich an nicht einmal 30 Tagen pro Jahr wärmer als 25 Grad Celsius. Mitte dieses Jahrhunderts werden es bis zu 80 Tage sein, Ende des Jahrhunderts sogar mehr als 120. Und: "Das Thermometer wird nicht nur immer häufiger steigen, sondern auch immer höher. Das heißt, es dürfte dann auch Tage mit Spitzentemperaturen von mehr als 45 Grad geben – das kennt man höchstens aus dem Urlaub in Dubai. Auch die Zahl der tropischen Nächte nimmt bis auf 20 zu – Nächte, in denen sich die Umgebung nicht mehr auf unter 20 Grad abkühlt. "Wer wissen will, wie sich das Leben in Frankfurt ab 2070 anfühlt, der sollte heute im Sommer einige Wochen in Mailand verbringen", sagt Walter.

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Die Städte kochen

Vor allem die Städte und ihre Bewohner geraten in Hitzestress. Experten nennen eine Reihe von Städten, in denen schon heute die Sommerhitze besonders belastend ist: darunter Karlsruhe, Ludwigshafen, Mannheim. Im Zuge des Klimawandels kommen München und Stuttgart dazu – und wenn der Klimawandel stark ausfällt, wird die Liste noch länger. Für manche Städte werden 60 bis 70 Tage mit hoher Hitzebelastung im Jahr vorhergesagt – in Stuttgart sind es heute mit 30 schon überdurchschnittlich viele. Ganz konkrete Konsequenzen für die Bürger: Heute so "coole" Dachgeschosswohnungen werden in den Sommermonaten unbewohnbar. Moderne Neubauten werden sich überhitzen, so eine Studie aus der Schweiz. Am besten wird es sich in klassischen, aus Stein gemauerten Häusern mit Sprossenfenstern und hohen Decken aushalten lassen. Heute schicke, nach Süden hin ausgerichtete große Fensterflächen werden wohl zurückgebaut, stattdessen Klimaanlagen eingebaut werden müssen. Städteplanung muss Kaltluftschneisen mehr als bisher berücksichtigen, um die Quartiere zu belüften. Die Bundesgartenschau 2023 in Mannheim will dies mit dem "Grünzug Nord" exemplarisch machen. Auch brauchen die Städte viel mehr (hitzebeständiges) Grün. Schon heute ist Hitze in der Stadt tödlicher als Verkehrsunfälle. Zum Beispiel in Berlin: 1400 zu 65. Und trifft vor allem Senioren. Darum wird es 2050 wohl öffentliche Kälteräume geben, in denen die schwitzenden Städter ihren Organismus regenerieren können.

Unsere heimischen Bäume werden leiden, wie jene im Schwetzinger Schlosspark 2019. Foto: Lenhardt

Die Tigermücke ist schon da

In Südeuropa ist die Tigermücke schon heute weit verbreitet – beispielsweise in Heidelbergs Partnerstadt Montpellier. Aber auch in Heidelberg selbst und kürzlich in Meckesheim wurde die Mücke, die die Tropenkrankheit Dengue-Fieber übertragen kann, ausgemacht. Die Schnaken-Bekämpfer der Kabs (Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage) haben die eingewanderte Art schon ins Visier genommen. Denn Dengue könnte auch in Deutschland zum Problem werden – bereits in den nächsten zehn Jahren. Wo sich die Mücke am wahrscheinlichsten zuerst etablieren wird: in Mannheim, Heidelberg, Frankfurt/Main und Ludwigshafen sowie in den Landkreisen Karlsruhe und Rhein-Neckar. Besonders enervierend an der Tigermücke: Sie sticht nicht wie die Schnake nachts, sondern auch tagsüber und macht einen Aufenthalt im Freien unkomfortabel. Zunehmen werden mit steigender Hitze auch die Zeckenkrankheit FSME und das von Mäusen übertragene Hanta-Virus, das beim Menschen schwere Lungenentzündungen und Fieber verursacht.

Zu viel Wasser

Starkregen und Überschwemmungen wird es in Deutschland 2050 wesentlich häufiger geben als heute. Die Bewohner im baden-württembergischen Braunsbach, der "Perle im Kochertal", haben einen Vorgeschmack erhalten: Im Mai 2016 wurde ihr Örtchen von einer Sturzflut verwüstet. Mit Blick darauf wird Kommunen schon jetzt empfohlen, Regenauffangbecken um 20 Prozent größer zu bauen. Überschwemmte oder von rutschenden Hängen blockierte Straßen wird es gerade in Mittelgebirgen wie dem Odenwald häufiger geben, ebenso wie eigentlich harmlose kleine Bächlein, die nun über die Ufer treten. Das Hochwasserrisiko steigt am Rhein und an seinen großen Nebenflüssen wie dem Neckar. In Gebieten, die in der Vergangenheit statistisch alle 100 Jahre überschwemmt wurden, ist künftig alle 20 bis 50 Jahre mit "Jahrhunderthochwasser" zu rechnen. In Mannheim bereitet man sich auf die Situation bereits vor: Der Rheindamm soll erweitert werden; dass dafür massenweise alte Bäume gefällt werden sollen, stößt bei den Anwohnern aber auf wenig Verständnis.

Zu wenig Wasser

Die andere Seite des Wandels: Durch die steigende Hitze und die längeren Dürrephasen drohen die Fluss- und Grundwasserpegel zu sinken. Dass es in Deutschland genug Wasser für alle gibt, diese Gewissheit gilt angesichts des Klimawandels nicht mehr. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz warnt bereits, es könne künftig zu Problemen bei der Trinkwasserversorgung kommen. Die Konkurrenz wird zunehmen: Bevölkerung, Bauern, Industrie, Kraftwerke – alle wollen Wasser. Es wird also harte Konflikte geben. Der Rhein wird wegen zunehmender Niedrigwasser ein unzuverlässiger Transportweg. Das hatte sich bereits während des Hitzesommers 2018 gezeigt.

Binnenschiffe, die normalerweise täglich die BASF in Ludwigshafen ansteuern, konnten wochenlang gar nicht oder nur mit einem Teil der Ladung fahren. Bald wurden dem Chemieriesen die Rohstoffe knapp. Zeitweise mussten mehrere Produktionsanlagen gedrosselt werden, weil man kein Kühlwasser mehr aus dem Fluss holen konnte. Allein bei der BASF verursachte die Hitze rund 250 Millionen Euro Verlust. Vorstandschef Martin Brudermüller forderte daher bereits nach dem Dürresommer 2018, über Schleusen und Staustufen für den Rhein nachzudenken. Doch das hätte schwerwiegende ökologische Folgen und wäre zudem eine Investition von gewaltiger Dimension.

Und die Tigermücke wird sich hier heimisch machen. Foto: dpa

Unser Wald stirbt

Deutschland steht ein großflächiges Waldsterben bevor. 2050 wird es ganze Regionen ohne alte Bäume geben. Und welche neuen Arten dann bei uns wachsen können, weiß derzeit niemand. Vermutlich kommt eine Vegetation, wie es sie heute im Mittelmeerraum gibt. Vor zehn Jahren noch galt die Eiche als relativ klimafest; heute ist bundesweit nicht mal mehr jede fünfte gesund. Experten haben untersucht, welcher Hitzestress Eichen, Buchen, Fichten und Kiefern künftig droht. Schon in wenigen Jahrzehnten, so die Modellrechnungen, könnten etliche Standorte zu trocken und zu heiß sein. Süddeutschland wird fast flächendeckend betroffen sein: An rund 40 Prozent der heutigen Buchen- und Fichtenstandorte wäre es dann zu heiß für die Bäume, bei Eichen und Kiefern wären es rund 35 Prozent.

Zwei Beispiele aus den vergangenen Jahren werfen auch hier Schlaglichter: Nach dem Dürresommer 2018, mussten im Odenwaldstädtchen Buchen 150 Bäume gefällt werden, weil sie zu sehr geschädigt waren – größtenteils Buchen. Ein Jahr später wurde für den Schwetzinger Schlossgartens der Klimanotstand ausgerufen: Extreme Trockenheit plus fallender Grundwasserspiegel gefährdeten die alte Landschaftsarchitektur. Allein im Bestand der teils 200 Jahre alten Rotbuchen war nach dem Dürrejahr jeder zweite Baum erheblich geschädigt. Was mit steigenden Temperaturen noch kommt: Die Bedingungen für den ohnehin schon grassierenden Borkenkäfer werden noch besser. Und die Waldbrandgefahr wird steigen. Bis Mitte des Jahrhunderts steigt die Waldbrandgefahr entlang des Oberrheins auf 40 Tage im Jahr, so die Prognose. Werden die Freiwilligen Feuerwehren in den Kommunen darauf vorbereitet sein?

Soja aus eigenem Anbau

Hitzesommer bringen große Probleme für die Landwirtschaft mit sich. Nicht nur wegen des Wassermangels. Bei mehr als 30 Grad etwa werden die Pollen von Weizen steril. Der Anbau wird sich verändern müssen (und damit auch unsere Ernährung). Kichererbsen, Hirse und Sojabohnen könnten in Deutschland 2050 weitverbreitete Agrarkulturen sein. Feigen und Kiwis, Safran und Süßkartoffel werden bei uns gedeihen. Der Apfelwickler, die Kirschfruchtfliege und neue Pilzkrankheiten dürften zunehmen. Die Winzer der Region beobachten die Klimaveränderungen schon seit dem Jahrgang 1990, sagt Thomas Seeger aus Leimen. "Seit 2003 steht fest, dass wir mit einer dauerhaften Veränderung zurechtkommen müssen." Die Reben kämen mit höheren Temperaturen aber meist gut klar. Allein wenn Bewässerung nicht möglich sei, würden die Erträge zurückgehen. Immerhin: Der Weißburgunder ist nicht gefährdet.