Der Rechtsstaat schlägt zurück
Hunderte Polizisten rückten in der Ellwangener Flüchtlingsunterkunft an – Zuvor Widerstand der Bewohner

Insgesamt wurden in Ellwangen 292 Personen kontrollierte. 26 wollten fliehen.
Von Thomas Burmeister und Sören S. Sgries
Ellwangen. Nein, so einfach gibt sich der Rechtsstaat nicht geschlagen: Nur kurz währte der Triumph der rund 150 Asylbewerber, die Polizisten bedrängt, Streifenwagen beschädigt hatten, und so in der Nacht auf Montag die Abschiebung eines 23-jährigen Togolesen verhindert hatten. Am frühen Donnerstagmorgen schlug der Rechtsstaat zurück.
Nicht nur vier, sondern hunderte Polizisten und bewaffnete Spezialkräfte, viele von ihnen mit Sturmhauben maskiert, machten sich auf den Weg zur Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen. Im Schutz der Dunkelheit sammelten sie sich. Ab 5.15 Uhr, heißt es in der Pressemitteilung des zuständigen Polizeipräsidiums Aalen, begann der Einsatz in der LEA. Drei von fünf Gebäuden wurden systematisch durchsucht. Ausgespart wurden nur die beiden Unterkünfte für Familien und Frauen.
Hintergrund
Gewalt im Heidelberger PHV?
Ein aufgebrachter Asylbewerber-"Mob", der sich organisiert gegen Polizisten stellt: Gibt es das eigentlich auch in Landeserstaufnahmestellen in Heidelberg und Mannheim? Derzeit gebe es dazu "keinerlei Erkenntnisse", heißt es
Gewalt im Heidelberger PHV?
Ein aufgebrachter Asylbewerber-"Mob", der sich organisiert gegen Polizisten stellt: Gibt es das eigentlich auch in Landeserstaufnahmestellen in Heidelberg und Mannheim? Derzeit gebe es dazu "keinerlei Erkenntnisse", heißt es aus dem Land. Und ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mannheim erklärt auf Anfrage: "Einen Fall wie Ellwangen, das hatten wir bis dato noch nicht." Allerdings habe es sehr wohl Einsätze gegeben, in denen die Einsatzkräfte vor Ort auf "große Menschenmengen gestoßen" seien.
In den Pressemitteilungen der Polizei sind die letzten Meldungen über Gewalt im Ankunftszentrum Patrick-Henry-Village allerdings über ein Jahr alt: So kam es im Februar und im März zu "tumultartigen Auseinandersetzungen" bei der Essensausgabe mit rund 50 Beteiligten gekommen sei. Im Februar 2017 wurden dabei auch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes "mit Eisenstangen angegriffen". (sös)
Insgesamt, so die Bilanz nach dem mehrstündigen, bis 12.30 Uhr dauernden Einsatz, werden fast 300 Personen kontrolliert. Von 26 - erfolglosen - Fluchtversuchen spricht die Polizei. Zwölf Personen werden verletzt, darunter ein Polizeibeamter. Es sei um "Prellungen, Übelkeit und stressbedingte Hyperventilation" gegangen, sagt der leitende Notarzt Hariolf Zawadil. Der Polizist sei "nicht durch Fremdeinwirkung" verletzt worden.
23 Personen leisteten "teils massiven Widerstand" - sie alle wurden vorläufig festgenommen. Fünf Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz werden eingeleitet. Zwei wegen des Verdachts des Diebstahls von Kleidungsstücken. Falsche Dokumente werden gefunden. 18 Personen haben "erhöhte Bargeldbestände" bei sich - nämlich mehr als die 350 Euro, die Asylbewerbern erlaubt sind.
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Eine eher dürftige Ausbeute angesichts des massiven Polizeiaufgebots? Ziel war vor allem: Stärke zeigen.
Als "Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung" hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den vorhergehenden Aufstand in der Unterkunft genannt. In einer solchen Weise dürfe "das Gastrecht nicht mit Füßen getreten werden", so Seehofer. "Diese Dinge müssen mit aller Härte und Konsequenz verfolgt werden, und die zuständigen Stellen haben dabei meine vollständige Unterstützung." Landesinnenminister Thomas Strobl erklärte gegenüber der RNZ: "Wir dulden in Baden-Württemberg keine rechtsfreien Räume, nirgendwo, zu keiner Zeit. Und am Donnerstag ist klar geworden: Bei uns setzen sich Polizei und Rechtsstaat durch."
Der harte Schlag war politisch ein wichtiges Zeichen. Nicht nur von rechtspopulistischer Seite war Kritik lautgeworden, wie es sein könne, dass die Polizei sich einer Übermacht von randalierenden Asylbewerbern geschlagen geben müsse. "Rückzug!", hatten die vier beteiligten Beamten in der Nacht auf Montag beschlossen. Den 23-jährigen Togolesen, den sie schon in Gewahrsam hatten, ließen sie wieder laufen.
Die Entscheidung sei absolut richtig gewesen, sagt der Aalener Polizeivizepräsident Bernhard Weber. "Ich beglückwünsche die Beamten dazu." Seine Polizisten hätten sonst wohl ihr Leben riskiert, es hätte viele Verletzte geben können. In einer "so aggressiven und gewaltbereiten Ausnahmesituation" habe man nicht anders gekonnt.
Auch Karl Klein, Vorsitzender des Innenausschusses, lobt die vier beteiligten Beamten als "klug und überlegt". "All diejenigen, die jetzt von ihrem Schreibtisch aus meinen, das Ende des Rechtsstaates beklagen zu müssen, verkennen die Situation", so der Wieslocher CDU-Landtagsabgeordnete Klein. Grünen-Innenexperte Uli Sckerl stellt zudem klar: "Auch eine bevorstehende Abschiebung kann kriminelles Handeln niemals rechtfertigen."
Sorgen bereitet allerdings das Ausmaß, in dem sich die LEA-Bewohner organisierten. Einzelne Bewohner sollen an taktisch günstigen Stellen postiert gewesen sein, um via Handy vor einem polizeilichen Zugriff zu warnen. In kürzester Zeit konnte so eine aufgebrachte Menge mobilisiert werden. Das durfte nicht geduldet werden. "Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass man die Polizei mit einer organisierten Übermacht in die Flucht schlagen kann, hätte das verheerende Folgen", so Einsatzleiter Peter Hönle.
Der Togolese, der Auslöser der ganzen Aktion war, wurde am Donnerstag übrigens festgenommen. Ihn trifft wohl noch am wenigsten eine Schuld. Einsatzleiter Hönle sagt, er habe sich ohne jeden Widerstand festnehmen lassen. Bereits am Montag habe er selbst sich nicht widersetzt. Andere hätten den Aufstand initiiert - und wohl auch zielgerichtet vorbereitet.