Sicherheit in Heidelberg

Wenn die taghelle Neckarwiese nachts die Leute abschreckt ...

Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson erklärt die Pläne für diesen Sommer - Der Grüne kritisiert zudem die Landesregierung und erläutert die geplante Videoüberwachung

20.03.2018 UPDATE: 21.03.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 47 Sekunden

Wolfgang Erichson (Grüne), 62, ist seit über zehn Jahren Heidelbergs Dezernent für Umwelt, Bürgerdienste und Integration. Zu seinem Aufgabenbereich zählt auch die öffentliche Ordnung - weshalb er Videokameras an Bismarckplatz und vor dem Hauptbahnhof befürwortet. Foto: Alex

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Mehr Polizisten, mehr Kommunaler Ordnungsdienst, eine intelligente Videoüberwachung und schon wieder neue Sperrzeiten: Die Themen gehen dem Heidelberger Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson (Grüne) nicht aus. Im RNZ-Gespräch spricht der 62-Jährige darüber, warum die Neckarwiese nachts bald taghell erleuchtet wird, welche Entscheidung der grün-schwarzen Landesregierung er katastrophal findet - und ob Heidelberg in den letzten Jahren fremdenfeindlicher geworden ist.

Im Sommer gibt es einen vierwöchigen Modellversuch: Die Neckarwiese wird von der Theodor-Heuss-Brücke bis zum Wasserspielplatz abends bis mindestens Mitternacht taghell ausgeleuchtet. Was versprechen Sie sich davon?

Wir probieren das jetzt einfach mal nach Einbruch der Dunkelheit aus. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder finden die Leute das helle Licht so unangenehm, dass sie nach Hause gehen, wenn es angeht. Oder die Menschen fühlen sich dadurch angezogen - etwa, weil sie sich sicherer fühlen.

Warum machen Sie das denn?

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Wir bekommen von Polizei und Kommunalem Ordnungsdienst die Rückmeldung, dass die spärliche Beleuchtung bisher nicht ausreicht, um effizient das Geschehen auf der Wiese überblicken zu können. Und vielleicht reduziert das Licht auch die spätabendliche Lärmbelastung für die Anwohner. Es ist ein Versuch, den wir dann auswerten müssen.

Was glauben Sie, wie es kommt?

Ich glaube schon, dass das abschreckend wirkt. Es ist ja ein eher kaltes, wenig angenehmes Licht.

Ist es nicht schade, einen der schönsten Orte der Stadt dadurch ganz bewusst ungastlich zu machen?

Viele Menschen meiden die Neckarwiese nach Einbruch der Dunkelheit. Und sogar der Kommunale Ordnungsdienst sagt mir: Um abends wieder für mehr Ordnung sorgen zu können, brauchen wir eine bessere Ausleuchtung der Wiese.

Andere Neckarseite, ähnliche Probleme: Nachdem das Land das Alkoholverkaufsverbot nach 22 Uhr abgeschafft hat, gibt es in der Altstadt schon zwei neue Kiosks, die nachts Alkohol verkaufen. Viele fürchten, dass "Lärm, Dreck und Randale" jetzt zunehmen.

Die Kommunen haben dem Land immer gesagt, dass genau das passieren wird - und es die Probleme in den Innenstädten verschärft. Für uns ist das sehr ärgerlich. Wir haben keinerlei rechtliche Handhabe - es sei denn, in den Kiosks selbst wird Alkohol konsumiert. Aber sobald die Leute aus dem Laden raus auf die Straße treten, dürfen sie den Alkohol im öffentlichen Raum trinken.

Streben Sie jetzt ein Alkoholkonsumverbot auf öffentlichen Plätzen in der Altstadt an?

Das würden wir sofort in Betracht ziehen, aber die rechtlichen Hürden dafür sind extrem hoch. Es braucht unter anderem eine hohe Zahl von Straftaten, die auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind, um das rechtssicher anzuordnen. Deshalb hat es bislang auch noch keine Stadt in Baden-Württemberg gemacht.

Dafür hofft der lärmgeplagte Teil der Altstadtbewohner nun wenigstens auf neue, kürzere Kneipenöffnungszeiten. Denn der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ließ bereits durchblicken, dass er die jetzige Regelung - Donnerstag, Freitag und Samstag bis 4 Uhr, an den restlichen Tagen bis 2 Uhr - wohl noch vor Ostern kippen wird. Wie geht’s dann weiter?

Zunächst gilt dann automatisch die Landesregelung - unter der Woche bis 3 Uhr, am Wochenende bis 5 Uhr. Dann muss der Gemeinderat neu entscheiden. Wir als Verwaltung werden auf Basis des Lärmgutachtens vorschlagen: werktags bis 1, am Wochenende bis 3 Uhr. Das halten wir nach wie vor für richtig.

Glauben Sie, das Thema lässt sich noch dieses Jahr endlich mal abräumen?

Wenn ich ehrlich bin: Ich glaube, das wird noch meinen Nachfolger in über fünf Jahren beschäftigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Gemeinderat seinen politischen Ermessensspielraum, den das Gericht ja in der Verhandlung betonte, nutzt - und weniger strenge Sperrzeiten beschließt. Dann droht eine Norm-Erlassklage, mit der einige Anwohner noch strengere Regeln anstreben.

Wie wollen Sie das verhindern?

Sobald das Urteil vorliegt, werden wir den "Runden Tisch Altstadt" einberufen. Und ich lege wert darauf, dass sich bereits in diesem Rahmen dann auch der Gemeinderat deutlich positioniert, damit wir endlich eine Lösung hinbekommen, mit der möglichst viele leben können.

Die Stadt schließt sich bei der geplanten Videoüberwachung am Bismarck- sowie am Willy-Brandt-Platz vor dem Hauptbahnhof an den Modellversuch in Mannheim an. Was heißt das konkret?

Bei dieser intelligenten Videoüberwachung laufen die Kameras, zeichnen aber nicht auf. Dies tun sie erst, wenn sie erkennen, dass etwas Ungewöhnliches passiert - etwa, wenn jemand plötzlich rennt, stürzt oder es ein Gerangel gibt. Dann schlägt das System Alarm, und im Lagezentrum schaut die Polizei sofort, was da los ist.

Warum soll nun dieses Modell kommen und nicht das, für welches der Gemeinderat im Mai 2017 schon 120.000 Euro bereitgestellt hat? Demnach wären die Aufnahmen nach 48 Stunden gelöscht worden - und nur abgerufen worden, wenn eine Straftat gemeldet wurde.

Vor allem aus Datenschutzgründen: Denn das nun geplante System zeichnet nur auf, wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Und wenn es sich dabei nicht um eine Straftat handelt, etwa wenn jemand einfach nur stolpert, dann wird diese Aufnahme auch sofort wieder gelöscht. Zudem können wir mit dem neuen System Straftaten nicht nur besser aufklären - sondern auch sofort eingreifen, wenn etwas passiert. Und damit erhöhen wir nicht nur das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen an diesen beiden Kriminalitätsschwerpunkten.

Bislang waren drei Kameras am Hauptbahnhof und zwei am Bismarckplatz geplant. Bleibt das so?

Nein, für diese intelligente Videoüberwachung brauchen wir mehr - vielleicht acht oder zehn.

Wird es damit auch teurer?

Ja, aber ich kann noch nicht sagen, wie viel teurer. Sobald wir das wissen, legen wir es dem Gemeinderat vor. Ich denke, im Jahr 2019 können wir dann mit dem System starten.

Heute wird im Haupt- und Finanzausschuss die Befragung zum Sicherheitsgefühl der Heidelberger diskutiert. Ein Ergebnis: Jeder fünfte Heidelberger änderte 2017 sein Freizeitverhalten aus Angst, Opfer einer Straftat zu werden. Was wollen Sie dagegen tun?

Es ist wichtig, zu verstehen, warum das so ist. Denn in Teilen hat das mit Heidelberg überhaupt nichts zu tun, sondern mit dem allgemeinen Sicherheitsgefühl der Deutschen. Und manche reagieren etwa auf einen Anschlag wie jenen auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016, indem sie große Menschenansammlungen meiden. Aber natürlich haben auch Menschen in Heidelberg an manchen Orten, wie etwa der Neckarwiese, subjektiv mehr Angst. Dagegen hilft die Sicherheitspartnerschaft mit dem Land und auch die Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdiensts und des Gemeindevollzugsdiensts - denn beides erhöht die Präsenz von Ordnungshütern in Heidelberg.

Was ist nach den ersten vier Wochen Ihr Zwischenfazit der Sicherheitspartnerschaft mit dem Land?

Das hilft uns sehr. Ich bekomme viele Rückmeldungen von Heidelbergern, denen die erhöhte Polizeipräsenz auffällt. Auch an den ersten konkreten Zahlen, welche die Polizei letzte Woche veröffentlicht hat, sehen wir, dass es wirkt. So wurden über 1000 Personen kontrolliert, mehr als 400 durchsucht - und 18 Personen wurden vorläufig festgenommen. Und dann ist es auch einfach beruhigend zu wissen: Im Bedarfsfall gibt es eine Einsatzreserve der Polizei, die wir sehr schnell aktivieren können.

Die Studie zum Sicherheitsgefühl zeigte auch: Die Anzahl ausländerfeindlicher Heidelberger hat sich seit 2009 von drei auf sechs Prozent verdoppelt. Wie ist Ihr Eindruck: Hat sich das Klima gegenüber Ausländern und Migranten in Heidelberg verändert?

Jein. Zum einen sehen wir in Heidelberg, dass die Zivilgesellschaft sofort Farbe bekennt, wenn sich Fremdenfeindlichkeit zeigt - etwa beim Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte mit Gruppen wie "Kirchheim sagt Ja", "Rohrbach sagt Ja" oder "Handschuhsheim hilft". Und wenn so eine Flüchtlingsunterkunft dann erst einmal anläuft, wie jetzt in Handschuhsheim, gibt es auch keinerlei Probleme mehr. Zum anderen aber sagen mir sowohl die jüdische als auch die beiden muslimischen Gemeinden, dass ihre Gemeindemitglieder persönlich häufiger angefeindet werden. Offenbar trauen sich wieder mehr Leute, ihr fremdenfeindliches Gedankengut offen zu äußern. Das ist besorgniserregend. Und deshalb ist der - von mir ins Leben gerufene - interreligiöse Dialog so wichtig.

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