Kritik an OB Würzners Prestigeprojekt und Alleingang
Grüne, SPD und andere Fraktionen sind irritiert. Stadtsprecher: "Wir werden andere Aufgaben nicht vernachlässigen".

Von Holger Buchwald
Heidelberg. Kaum hat Oberbürgermeister Eckart Würzner am Montag verkündet, dass sich Heidelberg um den Titel als europäische Kulturhauptstadt bewerben will, bläst ihm Gegenwind aus dem Gemeinderat entgegen. Die SPD-Fraktion ist "sehr irritiert" über die Prioritätensetzung des Stadtoberhaupts. "Personalmangel, langsame Verfahren, hoher Krankenstand, zum Teil nicht mal mehr in der Lage, Pflichtaufgaben zu erfüllen – das sind nur einige der Beschreibungen, die wir unter anderem vom Gesamtpersonalrat seit Wochen zu hören bekommen", sagt Fraktionschefin Anke Schuster: "Viele Ämter sind personell am Anschlag." Und trotzdem würden neue Personalstellen wegen Geldmangels nicht genehmigt.
Angesichts dieser angespannten Personalsituation könne die SPD-Fraktion über das "Prestigeprojekt Kulturhauptstadt" und die dafür geschaffene Stabsstelle nur den Kopf schütteln. Zunächst müssten die Pflichtaufgaben erledigt werden: zum Beispiel der Abbau des Sanierungsstaus an den Schulen.
Übergangen fühlen sich auch die Fraktionen der Grünen, der Linken, die Grün-Alternative Liste und die Einzelstadträte von "Bunte Linke", Waseem Butt und Björn Leuzinger. "Das Ziel, die Heidelberger Kultur und ihre Akteure zu stärken, besser auszustatten und international sichtbarer zu machen, teilen wir", schreiben sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung.
Es sei gerade nach den schwierigen Corona-Jahren auch richtig, finanzielle Mittel dafür bereitzustellen.Ob die Bewerbung als europäische Kulturhauptstadt der geeignete Weg hierfür sei, könne man aber nur bewerten, wenn den städtischen Gremien die Details vorgelegt werden. "Wir kritisieren, dass der Gemeinderat stattdessen über eine Pressemitteilung von der geplanten Umsetzung des Vorhabens und der Personalentscheidung erfahren hat."
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Die Bewerbung sei ein anspruchsvolles, sehr teures und aufwendiges Ziel, an dem auch andere Städte mit bedeutender Kulturszene bereits gescheitert seien. "Um damit erfolgreich zu sein, bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten", heißt es in dem Schreiben.
Besonders kritisieren die Stadträte, dass Würzner das Projekt nur wenige Tage vor Ablauf der Ausschreibungsfrist für das Amt des Kulturbürgermeisters verkündete. Im Juli steht die Wieder- oder Neuwahl des Dezernenten an. Die Amtszeit von Wolfgang Erichson endet am 31. August. Die Kritiker schreiben: "Ein solcher Schnellschuss zum jetzigen Zeitpunkt ist kein guter Stil und eine relevante Belastung für das Projekt."
Das Thema Kulturhauptstadt habe gesamtstädtische Bedeutung, entgegnet ein Stadtsprecher auf RNZ-Anfrage. Deshalb sei die Stabsstelle im Dezernat des OB angesiedelt. Da dezernatsübergreifende Fragestellungen, insbesondere im Bereich Stadtentwicklung, aufgeworfen würden, gebe es keinen Grund, die Wahl des Kulturbürgermeisters abzuwarten. Im Übrigen habe Würzner im Vorfeld mit den Fraktionsspitzen über das Thema gesprochen.
Eine Mitsprache des Gemeinderates bei der Besetzung der Stabsstelle sei nicht erforderlich. Der eingesetzte Beauftragte für die Bewerbung, Ex-Theaterintendant Peter Spuhler, verdiene nicht so viel, dass die Stadträte zustimmen müssten – diese Grenze liege bei der Tarifgruppe E14. Demnach würde Spuhler maximal 5255,33 Euro brutto im Monat verdienen.
Die Stadt werde andere Aufgaben nicht vernachlässigen. Es sei keinesfalls zu früh, die Bewerbung auf den Weg zu bringen, zumal sich jüngst mit der Region Lausitz ein erster möglicher Mitbewerber ins Spiel gebracht habe, so der Stadtsprecher. "Heidelberg möchte die Stadtgesellschaft in ihrer ganzen Breite für diesen Prozess begeistern. Es sollen Netzwerke entstehen, Ideen und neue Orte entwickelt werden, die diese Bewerbung bereichern können."
CDU-Fraktionsvorsitzender Jan Gradel freut sich auf den Bewerbungsprozess. Als Mannheim sich vor einigen Jahren schon einmal um den Titel beworben hatte, hätten die Heidelberger und die Mannheimer Christdemokraten gemeinsam Marseille, die Kulturhauptstadt 2013, besucht. "Diese Stadt hat eine Renaissance erlebt", schwärmt Gradel: "Die haben dadurch zum Beispiel ihren Stadttunnel bezahlt bekommen."
Eine vierspurige Straße am Hafen wurde damals unter die Erde verlegt. Gradel meint zu den Heidelberger Bemühungen: "Das Thema hat aktuell noch nichts mit den Aufgaben des Kulturdezernenten zu tun. Hier geht es um Stadtentwicklung, Strategie, Tourismus und Finanzen. Das ist Chefsache."
Larissa Winter-Horn ("Heidelberger") begrüßt die Bewerbung ebenfalls und bestätigt, dass Würzner mit den Fraktionsspitzen über das Thema gesprochen habe. Dass Peter Spuhler die Stabsstelle bekommen soll, habe sie "riesig gefreut". Er habe in seiner Zeit beim Theater viel für Heidelberg erreicht.
Grünen-Fraktionschef Derek Cofie-Nunoo gibt zwar zu, dass Würzner bereits Anfang Januar das Thema Kulturhauptstadt erwähnt habe, aber nur als eines von vielen anderen. "Wir wussten nicht, dass er gleich Nägel mit Köpfen macht, ohne die gemeinderätlichen Gremien zu hören."
Am Beispiel Chemnitz könne man sehen, wie es besser gehe. "Dort hat der Gemeinderat die Oberbürgermeisterin damit beauftragt, die Bewerbung vorzubereiten."