Heidelberg

So retteten 2500 Kulturfreunde das Theater

Vor zehn Jahren hob sich im sanierten, erweiterten und geretteten Kulturjuwel zum ersten Mal der Vorhang.

24.11.2022 UPDATE: 24.11.2022 06:00 Uhr 5 Minuten, 7 Sekunden
Die allererste Vorstellung am 23. November 2012: Das Premierenpublikum wurde durch zahlreiche Auftritte – unter anderem auf der Treppe zum Balkon (l.) – überrascht. Im Anschluss an zahlreiche Reden gab es Tschaikowskys „Mazeppa“ zu hören. Archivfoto: Stefan Kresin

Von Klaus Welzel

Heidelberg. Es kommt sicherlich selten vor, dass eine Zeitung in dieser Weise für das zentrale Kulturhaus in ihrer Stadt kämpft. Dass sie dabei aber tausende Unterstützer auf den Plan ruft, dass sie es ermöglicht, dass ein städtisches Theater nicht nur saniert und umgebaut, sondern zum Teil auch neu gebaut wird, das ist sicherlich einmalig.

Einmalig auch, dass finanzstarke Mäzene vom ersten Tag an dabei sind. Zu einem Zeitpunkt, als noch niemand wusste, ob das Haus überhaupt zu retten ist. Und wirklich ein Glücksfall, dass einer dann in der Stunde der Entscheidung 13 Millionen Euro auf den Tisch legt – einfach so.

Doch der Reihe nach. Am Anfang stand das Wort. Das Wort von der Schließung. Einflussreiche Manager aus Ludwigshafen mäkelten, angesichts der Heidelberger Misere um ein baulich marodes Haus Anfang des Jahrtausends: In der Metropolregion bräuchte doch nicht jede Großstadt ihr eigenes Theater. Zusammenlegung. Ein Ensemble. Drei Spielstätten: Pfalzbau Ludwigshafen, Nationaltheater Mannheim, Städtische Bühne Heidelberg. Das würde reichen.

So denken kühl kalkulierende Manager. So denkt kein Theaterintendant, kein Journalist, kein Kulturbegeisterter. So denken auch Schüler nicht. So denken auch nicht die Bürger einer Stadt, die sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts für ihren Theaterbau einsetzten, ihn schon damals mittels eines Bürgerkomitees ermöglichten. Gegen alle kirchlichen und großherzoglichen Widerstände.

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Es wäre allerdings auch völlig absurd, so zu denken. Wieso sollte man das tun, angesichts einer künstlerischen Bilanz, die sich deutschlandweit sehen lassen kann? Große Theaterleute gingen aus Heidelberg hervor (Kresnik, John, Stolzenberg). Eine Tradition des Erfolgs, die drohte, jäh unterbrochen zu werden.

Intendanten unter sich: Holger Schultze (l.) und Peter Spuhler im November 2012. Archivfoto: Stefan Kresin

Es war Peter Spuhler, der 2005 an den Neckar kam, und, umtriebig, wie er ist, das Thema Sanierungsstau als Intendant auf den kommunalpolitischen Spielplan hob und hartnäckig für das Theater kämpfte, sich für nichts zu schade war. Und es war der theaterversessene Finanzexperte Wolf Meng, der sich durch das Zahlenchaos wühlte.

Und es waren Ingrid Thoms-Hoffmann und Manfred Fritz von der Rhein-Neckar-Zeitung, die zum einen im Sommer 2006 die Not der Stunde erkannten und zum anderen willens waren, ihre journalistische Kraft für die Rettung des Heidelberger Theaters einzusetzen. Sanierung statt Schließung.

Die Ausgangssituation sah im Frühsommer 2006 so aus: Geld war keines in den städtischen Kassen. Man war sich einig, klein zu sanieren, maximal zehn Millionen Euro an Kosten. Also gerade genug, um den Künstlern menschenwürdige Umkleide- und Proberäume zu geben und die Brandschutzauflagen endlich zu erfüllen. Überlebensnotwendig.

Alle baulichen Mängel, der architektonisch verhunzte alte Saal, das hässliche Glasfoyer, die zu kleine Bühne, die veraltete Technik – all das wäre so geblieben. Der Sanierungswille war gleich null. Und es standen im Herbst Oberbürgermeisterwahlen an. Gut für eine Theaterrettungsaktion.

In dieser Situation der Hoffnungslosigkeit traten Spuhler und Meng an Ingrid Thoms-Hoffmann heran, die damals die Stadtredaktion der Rhein-Neckar-Zeitung leitete. Ihr Versprechen: "Wir machen eine Kampagne" war der Startschuss für die größte Bürgerbewegung, die Heidelberg je erlebt hatte.

Und das in einer Zeit, als anderenorts die subventionierten Spielstätten reihenweise dicht machten. Später sollte die Aktion vom "Land der Ideen", einer Initiative der Bundesregierung, ausgezeichnet werden.

Viel wichtiger war es aber, dass die Heidelberger in ihrer Mehrheit hinter ihrem Theater standen. Dass sich eine ganze Stadtgesellschaft auf dieses Großprojekt fokussierte.

Das RNZ-Forum im historischen Theatersaal ist zu einer Institution geworden. Foto: vaf

Dass es auch kritische Stimmen gab, lag in der Natur der Sache. Die Heidelberger Widerstandskraft gegen Veränderung ist ja legendär. Die einen wollten unbedingt den alten Saal so erhalten, wie er ist – und nicht so, wie er 1853 gebaut wurde. Die anderen wollten Geld sparen, die nächsten keinesfalls die Altstadtarchitektur gestört sehen, andere schimpften, dass sie viel lieber ein Fußballstadion hätten, als einen teuer sanierten Ort der Hochkultur.

Wieder andere verbreiteten die Mär, dass der Alte Saal gänzlich abgerissen werden sollte. Doch das stand nie zur Debatte. Das Architektenehepaar Sibylle und Felix Waechter bekannte: "Wir haben den alten Saal vom ersten Augenblick an geliebt".

Keine Frage, dass das Schmuckkästchen erhalten blieb. Fraglich war hingegen, ob man in der Struktur alles beim Alten belässt oder das Haus für die Zukunft fit macht. Die Kostenvoranschläge beliefen sich jeweils auf gut 30 Millionen Euro – für beide Varianten.

Die Auseinandersetzungen wurden mit harten Bandagen geführt – mitten in einem Oberbürgermeister-Wahlkampf. Dass es ein "Weiter so" nicht geben konnte, war allerdings allen klar. Spätestens nach der Zwangsschließung des maroden Hauses. Dass sich der spätere Sieger und heutige Amtsinhaber Eckart Würzner erst vorsichtig, dann aber mit Nachdruck auf der Seite der umsichtigen Sanierer positionierte, war auch dem Druck aus der Bevölkerung geschuldet.

Sanierung hieß: Der alte Saal wird in den Urzustand zurückversetzt, die Bühne würde er sich mit einem großen neu zu bauenden Saal teilen, das bisherige, reichlich unpraktische Glasfoyer würde ersetzt. Ein Großteil des Gebäudebestandes würde in den Neubau integriert.

Nach der OB-Wahl und nach langen Debatten entschied sich der Gemeinderat im Juli 2007 für die Sanierung plus Erweiterung. Eine spektakuläre Sitzung. Mit Riesenbegeisterung auf der einen und Tränen und einem Parteiaustritt auf der anderen Seite.

Doch immer noch hing die Theatersanierung an einem seidenen Faden. Denn mittlerweile waren, ein Jahr danach, die Baukosten explodiert, die Finanzierung zusammengebrochen. Am Abend vor der entscheidenden Gemeinderatssitzung kam die erlösende Nachricht vom dem Heidelberger Mäzen Wolfgang Marguerre.

Der große Musikfreund sagte OB Würzner statt einer, weitere stolze dreizehn Millionen Euro zu. Später legte er noch einmal 2,5 Millionen Euro nach. Theater gerettet.

Angestiftet von einem kleinen, aber sehr aktiven Bürgerkomitee, angestiftet von der RNZ. Denn kein Erscheinungstag ohne einen Theaterrettungsartikel. Thoms-Hoffmann rückblickend: "Dieses Trommelfeuer war auch notwendig. Wir mussten immer wieder motivieren – manchmal auch uns selbst".

Das Engagement, das die Bürgerschaft hier an den Tag legte, beeindruckte auch die späteren Mäzene. Wie Manfred Lautenschläger, der in seiner Zeitung von den Spendenaufrufen las und spontan eine Million gab. Er war der erste Großspender. Natürlich brauchte die Stadt zur Verwirklichung die hohen finanziellen Beiträge, aber getragen wurde diese Rettungsaktion von den vielen kleinen Spendern und ihrem Idealismus.

Exakt 2437 Bürger halfen mit. Vom elfjährigen Schüler, der fünf Euro – sein gesamtes Taschengeld – beisteuerte bis zu den hunderten von Stuhlpaten, den vielen Käufern von symbolischen "Goldenen Bausteinen". Vom Benefizkonzert über Flohmärkte, Versteigerungen bis zu Fundraising-Dinnern setzte das Bürgerkomitee alles in Bewegung, damit die Rettung gelingt.

Bis das neue Haus im November 2012 eröffnet werden konnte, waren hunderte von Artikeln verfasst, Podiumsdiskussionen durchgeführt, eine RNZ-Umfrage gestartet (die Leser nahmen die Neubau-Variante begeistert auf). Der Mühe Lohn waren die neuen Städtischen Bühnen.

Ein Bau, der zwar einigen immer noch nicht gefällt. In dem aber die Theaterleute endlich unter menschenwürdigen und künstlerisch idealen Bedingungen arbeiten können, mit transparenten Werkstätten, großen Probesälen und zwei Bühnen, die Raum für großartige Aufführungen bieten.

Über die Leistungsbilanz der Zeitung staunte auch Holger Schultze, als er im Herbst 2011 nach Heidelberg kam und Peter Spuhler ablöste. Schultze war es dann, der die Tanzsparte zurück nach Heidelberg holte (unvergessen: Nanine Linning) und der das Haus am 24. November 2012 eröffnete.

Zur Premiere erklang im Marguerre-Saal Tschaikowskys "Mazeppa". Wild und berauschend. Und genau daran erinnert heute Abend die Jubiläumsvorstellung von Dvoraks "Rusalka". Missklänge sind dann nicht mehr zu erwarten. Sondern Stolz über das Erreichte. Wie sagte doch OB Würzner vor zehn Jahren: "Heute verfügen wir über ein in Europa einmaliges Gebäude für Schauspiel, Oper, Ballett und Konzert". Genießen wir es.


Mini-Chronik

> 2003: Anlässlich des 150. Geburtstages des Theaters macht Intendant Beelitz den "dringenden Sanierungsbedarf" erstmals öffentlich bekannt.

> 2005: Peter Spuhler wird neuer Intendant, trommelt für eine Sanierung.

> 2006: Die Heidelberger Stadtverwaltung plant eine Sanierung, deckelt die Umbaukosten bei 20 Millionen Euro. Im Juni erklärt sich das Theater bereit, bei einer angenommenen Bausumme von 40 Millionen Euro mindestens zehn Prozent der Kosten in Form von Spenden einzuwerben. Am 8. Juli startet die RNZ-Kampagne "Wir retten unser Theater". 

> 2007: Im Juli beschließt der Gemeinderat die Sanierung plus Neubau.

> 2009: Am 12. Juli schließt das alte Haus in der Theaterstraße, Umzug in das Opernzelt im Stadtteil Bergheim.

> 2012: Die Eröffnung des sanierten und erweiterten Heidelberger Theaters.

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