Ein großer Brückenbauer

Jobst Wellensiek ist verstorben - ein Nachruf

Wellensiek war Deutschlands bekanntester Insolvenzverwalter. Der "Konsensverwalter" wurde 90 Jahre alt.

12.11.2022 UPDATE: 12.11.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 12 Sekunden
Auf diesem Foto aus dem Jahr 2011 gefiel sich Jobst Wellensiek besonders gut – entstanden ist es in seiner Neuenheimer Wohnung. Archivfoto: Kresin

Von Klaus Welzel

Heidelberg. Um Jobst Wellensiek zu beschreiben, sollte man am besten erst einmal allen negativen Stress von sich abfallen lassen. Denn dafür ließ der "Konsensverwalter", wie ihn viele nannten, gar keinen Raum. Jahrzehntelang betrieb Wellensiek mit dieser Grundeinstellung eines der schwierigsten Geschäfte, die es gibt: Firmen, die am Rande des Konkurses stehen, zu sanieren. Menschen Hoffnung zu geben. Zu retten, was zu retten ist.

Wer also dem bekanntesten Heidelberger begegnete, der hörte meist nach der Begrüßung eine seiner vielen Anekdoten. Und davon kannte er viele. Unvergessen sein hübscher Witz von den vier Freunden, die sich Jahr für Jahr im Gasthaus "Engel" treffen. Erzählt hat ihn Wellensiek beim RNZ-Forum 2016 im Heidelberger Theater. Der Saal prustete noch nach der Veranstaltung vor Lachen.

Sein erster Fall war ein Trompeter aus Eberbach, der Umsatz mit Gewinn verwechselte, sein prominentester Fall die Bremer Vulkan, die ein Schiff baute, das die Werft viel teurer kam als der Erlös. Über 900 solcher Fälle, die sich vom größten bis zum kleinsten in der Struktur gar nicht so sehr unterschieden, betreute der Rechtsanwalt im Laufe der Jahre.

"Vertrauen ist das A und O", sagte Wellensiek vor einem Jahr beim großen RNZ-Interview anlässlich seines 90. Geburtstages. Enttäuscht hat er dieses in ihn gesetzte Vertrauen nie, sondern Wort gehalten. Bei der Bremer Vulkan schloss ihn der Betriebsrat sogar in seine Gebete ein. In Bayern traf er gleich dreimal mit dem damaligen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß zusammen. Dieser gewährte Wellensiek alle Freiheiten, um die Maxhütte in der Oberpfalz zu sanieren, was ihm gelang. Sein "Herzensfall".

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Seine Kanzlei betreibt heute neben dem Heidelberger Standort eine Dependance in Frankfurt und hat in Christopher Seagon einen Partner und Nachfolger gefunden, der den guten Namen weiterträgt. Das passt zum fröhlichen Naturell des Schaffers, dessen Erfolg vor allem darin begründet lag, dass er nicht nur den richtigen Ton traf, sondern mit Zahlen umzugehen wusste. "Für mich war wichtig, dass mir jeden Tag die Finanzbestände offengelegt wurden und Transparenz herrschte."

Es würde aber viel zu kurz greifen, Jobst Wellensiek ausschließlich über den Beruf zu definieren. Denn der begnadete Brückenbauer nutzte sein Talent auch als Präsident der Anwaltskammer, als Vorsitzender des Theater-Freundeskreises, als Ehrensenator der Universität, Berater der Portheim-Stiftung und als langjähriger Präsident des Heidelberger Tennis-Clubs, dessen Damenmannschaft unter seine Ägide Höchstleistungen ablieferte. Mit Anke Huber und Steffi Graf waren gar zwei spätere Weltklassespielerinnen am Start.

Selbst griff er bis ins hohe Alter zum Schläger. Er fuhr Ski, spielte als junger Mann "leidenschaftlich, aber eher mittelmäßig" Fußball. Doch: "Für Golf habe ich einfach keine Zeit", scherzte das Gründungsmitglied des Golfclubs Heidelberg-Lobenfeld" zu seinem 80. Geburtstag im RNZ-Gespräch.

Obwohl er bis vor Kurzem jeden Tag in seine Kanzlei kam, nahm er sich für die wirklich wichtigen Dinge dann doch die nötige Zeit. Jobst Wellensiek war ein Familienmensch. Verbrachte Urlaube mit der Patchworkfamilie in den Schweizer Bergen oder in St. Tropez, wo der Vater von vier Kindern und Großvater von drei Enkeln zuletzt an Pfingsten war. "Wir haben viel gelacht", berichtet die Familie.

Freilich ein Urlaub ohne seine zweite Ehefrau Annelie, die vor sieben Jahren im Alter von nur 56 einem Krebsleiden erlag. "Annelie war für mich Lebensmittelpunkt und Lebenselixier", sagte der Witwer 2021 zur RNZ. Und er bedauerte es sehr, dass er seinen 90. Geburtstag im Königssaal des Schlosses ohne sie feiern musste. 

Jetzt heißt es Abschied nehmen von einem großen, warmherzigen Mann. Am 23. November findet der Trauergottesdienst in der vermutlich viel zu kleinen Heidelberger Johanneskirche statt. 

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