Zwischen Königsklasse und Krise

So lief die Saison von 1899 Hoffenheim

Kampfansage, Permanent Make-up, Westfalenwunder - Viele Facetten und bot beste Unterhaltung

20.05.2019 UPDATE: 21.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden

Ein letztes Mal abklatschen: Die TSG-Fans bedanken sich nach dem Saisonfinale in Mainz bei Julian Nagelsmann für dreieinhalb außergewöhnliche Jahre. Foto: APF

Von Nikolas Beck

Heidelberg. In einem der unschöneren Augenblicke dieser Saison wechselte Julian Nagelsmann die Perspektive. "Wenn ich hier als Zuschauer die letzten drei Jahre im Stadion gewesen wäre", erklärte der Trainer der TSG Hoffenheim nach dem 1:4 gegen Wolfsburg, bei dem viele Zuschauer die Arena vorzeitig verließen, "würde ich erst mal drei Kreuzchen machen und sagen: Schön, dass in der Region solch ein Fußball gespielt wird." In der Tat: Wenngleich das Saisonziel verpasst wurde, auch die dritte volle Spielzeit unter dem 31-Jährigen bot regelmäßig beste Unterhaltung - auf und neben dem Platz. Ein Rückblick:

> Königsklasse und Kampfansage: Die Sommerpause tat der Euphorie nach dem Coup gegen Dortmund im Saisonfinale 2018 im und um den Klub herum keinen Abbruch. Ganz "Hoffe" freute sich auf die Champions League, auf Reisen in die Ukraine und nach Lyon, auf Duelle mit den Superstars von Manchester City. Ein Trainer wie Julian Nagelsmann aber will immer mehr. Seine Aussage Anfang August, stets nach dem Maximalen zu streben - "und das ist der Meistertitel" - ist eigentlich viel harmloser als sie im ersten Moment klingt. Dennoch wird sie ihm als Kampfansage an Branchenprimus Bayern München ausgelegt.

> Pep und Permanent Make-up: Mit eben jenen Bayern war die TSG zum Eröffnungstanz verabredet. Ende August gibt es zum Bundesligaauftakt eine 1:3-Niederlage in der Allianz Arena und die Erkenntnis, dass Rekordmeister und Dorfklub eben noch nicht auf Augenhöhe unterwegs sind. Für Schlagzeilen sorgte hinterher auch das neue Erscheinungsbild des TSG-Trainers: Mit Kragennadel und gezupften Augenbrauen stand Nagelsmann an der Seitenlinie, sprach anschließend von Schlupflidern und Permanent Make-up. Anfang Oktober, am zweiten Spieltag der Champions League, ist dann erstmals die internationale Fußball-Beletage zu Gast im Kraichgau. Pep Guardiola und die "Citizens" haben ihre liebe Mühe mit dem Debütanten, gewinnen aber 2:1 - und haben hinterher nur Lob für Hoffenheims Mannschaft und Trainer übrig.

> Reiss, Risiko und Remis: Ende Oktober schlägt die große Stunde eines damals 18-Jährigen. Arsenal-Leihgabe Reiss Nelson, trifft in seinem zweiten Einsatz von Beginn an beim 3:1 in Nürnberg doppelt und schraubt sein Torkonto bis Mitte November auf sechs Treffer in die Höhe (allerdings trifft der Engländer das nächste und letzte Mal für Hoffenheim erst wieder im April). Während für die TSG national ein biederer Winter beginnt, in dem alleine die letzten sechs Partien des Jahres mit einem Remis enden, sorgt sie auf europäischer Bühne für Furore. Das 3:3 im Heimspiel gegen Lyon gleicht einer rasanten Achterbahnfahrt, im Rückspiel gelingt gar ein Novum: Trotz Unterzahl wird ein 0:2 in ein 2:2 gedreht. Doch Nagelsmann erntet auch Kritik wegen seiner Risikobereitschaft. Dass "Hoffe" beim Stand von 2:2 gegen Donezk am vorletzten Spieltag - erneut mit einem Mann weniger - alles nach vorne wirft, mit dem 2:3 bestraft wird - und damit nicht nur ein Weiterkommen, sondern auch das Überwintern in der Europa League verspielt, wird hinterfragt.

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> Winterwechsel und Westfalenwunder: Weil aus der Dreifach-Belastung durch den Pokal-K.o. in Leipzig eine einfache wird, wird der Kader im Januar komprimiert. Mit Pires, Grifo, Zuber, Nordtveit, Hoogma, Akpoguma und Kobel verlassen gleich sieben Spieler den Klub leihweise. Die Ergebnisse zum Rückrundenbeginn ähneln denen der Vorrunde. Auch gegen den damaligen Tabellenführer Dortmund steht am Ende ein Unentschieden. Aber was für eins! Eine Viertelstunde vor Schluss steht es 0:3, am Ende 3:3.

> Belfodil und Bestmarke: Doppelter Torschütze im ehemaligen Westfalenstadion ist Ishak Belfodil. Es sind die ersten zwei von insgesamt zwölf Treffern des Algeriers in der zweiten Halbserie (16 Saisontore). Ende März steht aber Sturmpartner Andrej Kramaric im Fokus: Er macht beim 4:1 gegen Leverkusen sein 47. Tor im TSG-Trikot und löst den bisherigen Rekordhalter Sejad Salihovic ab.

> Serie und Sehnsucht: In März und April holt "Hoffe" aus sechs Spielen 16 von 18 möglichen Punkten und es scheint, als könnte die Sehnsucht nach der Champions League doch noch gestillt werden. Nach dem 5:2 auf Schalke liegt die TSG auf Rang sechs nur noch drei Zähler hinter Frankfurt auf Platz vier.

Ort des Geschehens

> Kritik und Krise: Kramaric sorgt wenige Wochen vor Saisonende dafür, dass der Haussegen schief hängt. Nach dem 2:2 in Gladbach äußert der kroatische VizeWeltmeister scharfe Kritik an Trainer Nagelsmann beziehungsweise dessen vielen taktischen Umstellungen innerhalb eines Spiels: "Wir sind keine Roboter, sondern Menschen", so der Angreifer: "Das sind viele Fehler von draußen." Das Spieler-Trainer-Verhältnis hat wohl keinen nachhaltigen Schaden genommen. Aber es passt ins Bild: Erfolgscoach Nagelsmann verabschiedet sich aus Hoffenheim mit einer Ergebniskrise. Ein Punkt aus den abschließenden vier Spielen reicht nicht für einen Europapokalplatz.

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