TSG Hoffenheim

Maximal frustrierend - Die Nagelsmann-Zeit endet unvollendet

Bitteres 2:4 der Hoffenheimer bei Mainz 05 bedeutet gleichzeitig das Europapokal-Aus

19.05.2019 UPDATE: 20.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden

Schmerzhafter letzter Akt in Mainz: Teammanager Timmo Hardung (l.) und Trainer Julian Nagelsmann. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Mainz. Der Schlussakkord passte zu einer Spielzeit, die als Ansammlung von Unachtsamkeiten und Fahrlässigkeiten in die relativ junge Historie der TSG 1899 Hoffenheim eingehen dürfte. Das 4:2 (0:2) für den unermüdlich emotionalen FSV Mainz 05, der sich dank einer wahnsinnigen Energieleistung selbst belohnte und en passant Nachbarschaftshilfe für den Erzrivalen Eintracht Frankfurt leistete, war eine total verrückte Partie. Es ging munter hin und her auf dem Rasen der Opel-Arena - und darüber hinaus wurde der jeweilige Blick auf die digitale Blitztabelle zum ständigen Begleiter.

Doch am Ende waren die Hoffenheimer restlos bedient. Sie vermasselten die Europapokal-Teilnahme, fielen gar noch auf Rang neun zurück und bereiteten somit ihrem scheidenden Trainer Julian Nagelsmann einen unbefriedigend-schmerzhaften Abschied. "Die Enttäuschung ist schon riesig. Ich glaube, das Spiel ist Sinnbild der ganzen Saison", so Nagelsmann in der Mixed Zone, "aber wir haben Europa nicht heute verloren."

Noch deprimierter als der Cheftrainer schien Torhüter Oliver Baumann zu sein. Der Breisgauer bilanzierte mit stockender Stimme die knapp dreieinhalbjährige Amtszeit des jüngsten Bundesliga-Coaches Nagelsmann bei der TSG. "Wir sind alle total geknickt und traurig, dass wir es nicht geschafft haben - auch für Julian, für uns, für den Verein." Baumann hielt kurz inne und meinte reflektiert: "Julian hat uns alle auf ein anderes Niveau gehoben und hätte es definitiv verdient gehabt." Allzu gerne hätte der erfolgsbesessene Fußballlehrer seine Schützlinge zum dritten Mal hintereinander in europäische Sphären katapultiert, doch diese Krönung blieb ihm selbst und dem kompletten Team verwehrt.

"Hoffe" scheiterte an den immer wiederkehrenden Unzulänglichkeiten und Defekten im eigenen System. So auch vor 28.305 Zuschauern - darunter 3 000 TSG-Fans - bei den Nullfünfern. Dabei startete der Kraichgauklub fulminant. Ishak Belfodil tanzte FSV-Ikone Niko Bungert aus und schlenzte den Ball spektakulär zum 0:1 (12.) in den oberen rechten Torwinkel. Andrej Kramaric erhöhte mit seinem eiskalt verwandelten Freistoß aus 20 Metern auf 0:2 (34.). Das Torjäger-Duo hatte dadurch entscheidende Akzente gesetzt - und die Mannschaft ungewohnt hohe Effizienz nachgewiesen.

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Hintergrund

Julian Nagelsmann, TSG-Trainer: "Wir haben uns die Butter vom Brot nehmen lassen, obwohl wir auswärts 2:0 führen. Wir haben in den letzten Wochen zu viele Situationen verspielt, zu viele Chancen verstreichen lassen. Wie schon so oft in der Hinrunde haben wir

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Julian Nagelsmann, TSG-Trainer: "Wir haben uns die Butter vom Brot nehmen lassen, obwohl wir auswärts 2:0 führen. Wir haben in den letzten Wochen zu viele Situationen verspielt, zu viele Chancen verstreichen lassen. Wie schon so oft in der Hinrunde haben wir mangelnde Cleverness gezeigt."

Sandro Schwarz, FSV-Trainer: "Ganz großer Sport, das war heute ein geiler Abschluss für alle Beteiligten! Meine Mannschaft hat eine Riesenenergie und Riesenmentalität gezeigt."

Oliver Baumann, TSG-Torhüter: "Für uns ist das alles wahnsinnig bitter. Mit dem Elfmeter für Mainz ist unsere Mauer eingebrochen. Für ’Baumi’ (Anm. der Red.: Baumgartner) tut es mir total leid. Er hat jetzt gemerkt, wie hart die Bundesliga sein kann."

Niko Bungert, FSV-Kapitän zu seinem Abschied: "Das ist zu viel Wertschätzung für eine Person. Ich gehe als glücklicher Ex-Fußballer nach Hause."

Nico Schulz, TSG-Verteidiger: "Wir haben’s nicht geschafft, die Führung am Ende zu verteidigen. Es ist keine Ausrede, dass wir in Unterzahl waren. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen."

Deniz Aytekin, Schiedsrichter: "Ich habe nichts zu verstecken. Wir Schiris sind kein Geheimbund!" jog

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Auf der anderen Seite gab es indes versteckte Botschaften, die Unheil verkündeten. Rookie und Startelf-Debütant Christoph Baumgartner holte sich früh Gelb (18.) gegen Kunde Malong ab, Belfodil verdrehte sich unglücklich nach einem Zweikampf mit Niakhaté an der Seitenlinie das Knie (27.) - und als Baumgartner völlig unnötig gegen FSV-Torhüter Robin Zentner (41.) nachtrat, blieb Referee Deniz Aytekin gar nichts anderes übrig als den übermotivierten "Bösi" Baumgartner vom Feld zu schicken.

Es sollte der Wendepunkt sein - ein Symbol der Unreife. Ein Gewitter mit Blitz und Donner zog auf, nach einer Doppelchance von Joshua Brenet und Kramaric (50.) starteten die "Mainzelmännchen" wilde Attacken, und die in Unterzahl agierenden Gäste gerieten zunehmend unter enormen Druck. Daniel Brosinski gelang per Foulelfmeter nach Videobeweis das 1:2 (66.), Jean-Paul Boetius traf zum 2:2 (83.) und viel umjubelten 3:2 (90.) und Jean-Philippe Mateta sorgte mit dem 4:2 (90.+4) fürs i-Tüpfelchen. Das Stadion glich einem Tollhaus - Fastnachtsstimmung zum Abschied der Stadionsprecher-Legende Klaus Hafner.

Und "Hoffe"? Viele Akteure saßen oder lagen auf dem Rasen. Alles war futsch und schlampig verspielt. Nur schleppend bewegten sich die TSG-Profis samt Betreuer Richtung Gäste-Fankurve. In einem ganz bitteren Moment wurden sie von einer Welle der Sympathie getragen. "Unsere Fans waren total großartig", sagte Nagelsmann hinterher gerührt.

Er kündigte an, am Samstagabend in der Heidelberger Event-Location "Level 12" noch einmal "ein paar emotionale Worte an die Jungs" richten zu wollen, doch im Mainzer Stimmungstempel überwogen naturgemäß noch Kummer und tiefe Enttäuschung über das verpasste Saisonziel. Der Fußball-Gott habe es nicht immer gut gemeint mit der TSG und es sei "sehr viel mehr drin gewesen", lamentierte der künftige Leipzig-Trainer. Dem kann nicht widersprochen werden. Andererseits wurden die "Nagelsmänner" vor allem ein Opfer ihres verschwenderischen Potenzials und ihrer grenzenlosen Labilität.

Hintergrund

Baumann: Rettete einige Male bravourös. Ausflug kurz vor dem 3:2 für Mainz. Klassensprecher danach.

Brenet: Oft zu zögerlich und ohne Selbstvertrauen. Hatte vorne immerhin zwei Chancen.

Vogt: In der Viererkette

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Baumann: Rettete einige Male bravourös. Ausflug kurz vor dem 3:2 für Mainz. Klassensprecher danach.

Brenet: Oft zu zögerlich und ohne Selbstvertrauen. Hatte vorne immerhin zwei Chancen.

Vogt: In der Viererkette der beste. Redet seit Monaten nicht mehr mit den Printmedien - merkwürdig für einen Kapitän.

Bicakcic: Ordentlich. Bis auf den Lapsus, der zum 4:2 des FSV führte.

Schulz: Der künftige BVBler gab alles, wirkte aber glücklos.

Grillitsch: Blass. Mitverantwortlich für den Mainzer Ausgleich.

Demirbay: Gute erste Hälfte. Leitete gemeinsam mit Grillitsch das 2:2 von Boetius ein. Danach ohne Biss.

Baumgartner: Tragische, übermotivierte "Leidfigur". Schwächte das Team durch die Ampelkarte. Gelb-Rot mit pädagogischem Lerneffekt!

Kramaric: Eifrig. 17. Saisontor - neigte aber auch erneut zum Schludern.

Belfodil: Überragend sein 1:0 und sein zugleich 16. Saisontreffer. Pechvogel an der Seitenlinie.

Joelinton: Noch längst nicht bei 100 Prozent. Dem Brasilianer fehlten Tempo und Dynamik.

Szalai: Applaudierte vorher mehrfach Nullfünf-Stimme Klaus Hafner. Ein gefährlicher Schuss aufs Tornetz (68.).

Rupp: Comeback nach Kreuzbandriss und einem Jahr Zwangspause.

Nelson: Nach dem 2:2 als Offensivkraft ins Getümmel reingeworfen. jog

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Nagelsmann räumte grummelnd ein: "Ich habe es mir anders vorgestellt und gewünscht, trotzdem war ja meine Amtszeit nicht die schlechteste." "Hoffes" Identifikationsfigur und sportliches Aushängeschild der letzten Jahre entdeckte hinsichtlich der nahen Zukunft des Dorfvereins im Scheitern sogar eine Chance: "Für den neuen Trainer ist es grundsätzlich eine bessere Situation, als wenn wir Siebter geworden wären und die Mannschaft durch Europa hätte tingeln müssen." Nun habe sein Nachfolger Alfred Schreuder, mit Ajax Amsterdam Meister und Pokalsieger geworden, die Gelegenheit, "etwas Gutes aufzubauen", es sei nicht verkehrt, "wenn man wieder Hunger bekommt." Mit etwas Distanz wird sich diese Einschätzung in Hoffenheim wohl durchsetzen.

Unterdessen bleibt nach vier problematischen Kehraus-Wochen, jenem symptomatisch verlaufenden Showdown bei Mainz 05 sowie dem Ende aller internationalen Träume ein Eindruck haften: Die Nagelsmann-Zeit endete maximal frustrierend. Das Gütesiegel der Vollendung war dem Erfolgstyp nicht vergönnt.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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