1899 Hoffenheim: Kann Stevens das Klima des Misstrauens weglächeln?

Huub Stevens soll das Schadensfeuer löschen, dann das große Trainertalent Julian Nagelsmann die TSG Hoffenheim übernehmen

28.10.2015 UPDATE: 28.10.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden

TSG-Sportdirektor Alexander Rosen (rechts) baut auf die Erfahrung von Stevens im Abstiegskampf. Foto: vaf

Von Joachim Klaehn

Zuzenhausen. Die Entdeckung der Geschwindigkeit lässt sich bei der TSG 1899 Hoffenheim nicht mehr wegdiskutieren. Der oberste Geschäftsführer Peter Rettig rausgeworfen, der Konzepttrainer Markus Gisdol wegen Erfolglosigkeit entlassen, der "Feuerwehrmann" Huub Stevens gerade installiert - da tauchte bereits der Name des Perspektivtrainers Julian Nagelsmann auf. Die Fülle an zentralen personellen Veränderungen binnen rund 72 Stunden ist schon rekordverdächtig. Für den neutralen Beobachter ist es eher verwirrend. Dass dermaßen am Schwungrad eines Vereins gedreht wird, hat Symbolkraft: Beim Kraichgauklub ist die Angst zum größten Berater in Krisenzeiten geworden.

Die Angst vor dem sportlichen Abstieg, die Angst davor, mit dem "ehrgeizigen Lausbub" (Süddeutsche Zeitung) Nagelsmann eines der Top-Trainertalente in Deutschland zu verlieren, und schließlich die Angst vor Entdeckungen oder gar Enthüllungen, dass die sogenannte "Maulwurf-Affäre" Wahrheiten ans Tageslicht bringen könnte, die "Hoffe" in den Grundfesten erschüttern würde. In diesem Gebilde ist selten Ruhe drin. Doch wenn es einem gelingt, ein Klima des Misstrauens wegzulächeln, und sich ganz auf seine Maloche mit eigenwilligen Profis zu konzentrieren, dann ist es der fast 62-jährige Haudegen Stevens.

Der Holländer zeigte sich bei seiner offiziellen Vorstellung gut gelaunt, milde und richtig originell. "Man hat mich am Samstag gestört, als ich Bundesliga geguckt habe", sagte Stevens über den Anruf von TSG-Sportdirektor Alexander Rosen. Nach einer Fachsimpelei wurde ein Treffen für Sonntag in Eindhoven vereinbart, zu Hause bei Huub und seiner Ehefrau Toos, die das neue Abenteuer in Hoffenheim absegnen sollte. Gesellschafter Dietmar Hopp, der frischgebackene Geschäftsführer Peter Görlich und Rosen flogen in den Süden der Niederlande und machten die Sache klar. Vertrag bis zum 30. Juni 2016, basta. Stevens hat im Laufe der Jahre und aufgrund seiner Wahnsinnserfahrung den befristeten Trainerjob zum erfolgreichen Geschäftsmodell perfektioniert. Der hemdsärmlige Typ löscht den schlimmsten Brandherd, begibt sich dadurch in keine großartige Abhängigkeit, lässt sich aber die Notfallhilfe ordentlich bezahlen. "Ich habe den Jungs gerade gesagt, dass es nicht am Samstag anfängt, sondern heute", berichtete der Entert(r)ainer. Seine Sprache ist klar, das Prinzip der Kompromisslosigkeit in jeder Geste zu spüren, er ist ein Motivator, der einer Mannschaft mit Erstversorgungsmaßnahmen auf die Beine hilft. Sein Credo: "Ich rede nicht gerne über Schwächen, sondern viel lieber über Stärken." Die Rettung des mit Lecks versehenen TSG-Bootes kann er nicht versprechen, aber der ehemalige Schlosserlehrling wird an den Stellschrauben drehen. Ehrliche Arbeit eben. "Ich bin offen", sagte er, "und ich glaube, dass dieser Verein auch offen und ehrlich ist." Ein kurzes Raunen - was in der Führungskrise und "Neuaufstellung" zu beweisen wäre ...

Die proklamierte Innovation und Altmeister Stevens - das beißt sich. Masterplanmäßig steht Stevens für die Gegenwart und Nagelsmann für die Zukunft. Es ist ein mutiger und zugleich riskanter Schritt, einen 28-jährigen Bundesligatrainer-Novizen mit einem Dreijahresvertrag (2016 bis 2019) auszustaffieren. "Wir sind von seiner Qualität und Autorität überzeugt", so Rosen auf Nachfrage. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Hopp bereits bei einem Fantreffen prognostiziert: "Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Julian Nagelsmann einmal Markus Gisdol als Trainer ablösen könnte." Dass dies über die Zwischenlösung Stevens mal geschehen würde, konnte der Boss ja nicht ahnen. Hopp kontaktierte den FC Bayern, um den Wechsel von Nagelsmann zum Branchenkrösus zu verhindern. Es gelang, "Baby-Mourinho" übernahm gottlob nicht die U 17 von Heiko Herrlich.

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Auch die beiden Red-Bull-Vereine aus Leipzig und Salzburg sowie der FC Augsburg waren an Nagelsmann dran. "Hoffe" traut ihm viel zu - und bürdet ihm viel auf. Das Gepäck für die "Gipfelbesteigung" kann schwerer werden als es ihm lieb sein kann. Verstecken kann die TSG den dann jüngsten Bundesliga-Cheftrainer aller Zeiten nämlich nicht.

Irgendwie war die 47-minütige Pressekonferenz mit Stevens und Rosen - und ohne Nagelsmann - surreal und grotesk. Das kann sich nur ein Meister der Kommunikation ausgedacht haben. Es bleibt die Hoffnung für die Fußballregion, "Hoffe", die TSG-Fans und auch für Nagelsmann, dass mit "Oberbrandrat" Stevens das Schadensfeuer im Kellergeschoss gelöscht wird - möglichst ab Samstag beim 1. FC Köln im Eiltempo.

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