Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Bei der Grünen Woche in Berlin dreht sich derzeit alles um Ernährung und Landwirtschaft. Im RNZ-Interview spricht Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, über den trockenen Sommer und Tierwohl.
Frau Klöckner, die deutschen Landwirte schlagen Alarm und fürchten starke wirtschaftliche Einbußen im Falle eines ungeordneten Brexit. Mit welchen Folgen rechnen Sie für die Agrarbranche?
Das Ergebnis der jüngsten Abstimmung bedauere ich. Bürger und Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten wollen keinen harten Brexit. Aber die Zeit wird immer knapper, deshalb verstehe ich die großen Sorgen der Landwirte. Betroffen ist insbesondere auch die Fischerei, die wichtige Fangmöglichkeiten in britischen Gewässern nutzt. Mit keinem anderen Land der Welt erzielt Deutschland im Agrarhandel einen so hohen Außenhandelsüberschuss. Das bedeutet aber auch, dass Großbritannien auf den Import angewiesen ist.
Wenn sich das Vereinigte Königreich für einen EU-Austritt entscheidet, fehlen EU-Beiträge in Milliardenhöhe im europäischen Haushalt. Was bedeutet das für das EU-Agrarbudget?
Ich orientiere mich an unserem Koalitionsvertrag, wonach ein Budget im bisherigen Umfang angestrebt wird. In diesem Sinne werde ich weiter verhandeln. Denn die finanziellen Mittel müssen es ermöglichen, die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik auch zu erreichen. Dazu gehört auch, kleinere und mittlere Betriebe besser fördern zu können.
Die EU will die Agrarförderung reformieren. Müssen die Landwirte hierzulande den Gürtel künftig noch deutlich enger schnallen?
Es kann und darf nicht sein, dass die Landwirte immer mehr Auflagen unter anderem in den Bereichen Tierwohl, Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu erfüllen haben - was richtig ist -, aber dafür dann weniger Geld zur Verfügung steht. Das passt nicht zusammen. Gemessen an den ursprünglichen Kürzungsvorschlägen sind wir hier bereits auch ein gutes Stück vorangekommen.
Start der Internationalen Grünen Woche in Berlin - wie steht es um die deutsche Ernährungs- und Landwirtschaft nach dem Dürre-Jahr 2018?
Der Sommer war hart für viele Betriebe. Mit meinem Ministerium habe ich deshalb dafür gesorgt, dass Betriebe, die in ihrer Existenz bedroht sind, finanziell unterstützt werden und Dürrehilfe erhalten. Die Zahlungen sind dabei an klare und transparente Kriterien gebunden, was richtig und wichtig ist, denn es geht um Geld des Steuerzahlers.
Und was die Grüne Woche angeht: Unsere Ernährungs- und Landwirtschaft ist moderner, digitalisierter, vernetzter und rückverfolgbarer denn je. Gleichzeitig sind die gesellschaftlichen Erwartungen an Erzeuger und ihre Produkte gestiegen, die Verbraucher sind kritischer geworden mit Blick auf die Ressourcenschonung oder das Tierwohl. Ich meine aber, dass die Branche sich diesem Dialog transparent und selbstbewusst stellen kann.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wirft Ihnen Versäumnisse bei den Verhandlungen über die Zukunft der europäischen Agrarpolitik in Brüssel vor. Warum zeigen Sie nicht stärker Flagge für eine Agrarwende und eine nachhaltige Landwirtschaft?
Jeder hat seine Aufgabe, sowas gehört zum Geschäft. Richtig ist, dass wir im EU-Agrarrat in den Verhandlungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik von Anfang an deutlich gemacht haben, dass die Vorschläge der EU-Kommission stärker an den Belangen des Umwelt-, Klima- und Naturschutzes sowie des Tierwohls ausgerichtet werden sollen. In die Abstimmung der deutschen Position ist übrigens das Bundesumweltministerium eng eingebunden. Meine Aufgabe als Landwirtschaftsministerin ist, die Interessen des Tier-, Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutzes, der Landwirtschaft, der ländlichen Räume sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher zu einem fairen Ausgleich zu bringen.
Der Ruf nach einer Agrarwende wird immer lauter. Muss die Branche nicht deutlich umsteuern?
Was genau meinen denn jene, die danach rufen: Eine Wende zurück in alte Zeiten? Wir brauchen den Blick nach vorne und keine Agrarwende zurück. Bestehende Zielkonflikte müssen wir klar benennen, die Landwirtschaftspolitik weiterentwickeln. Ein Beispiel ist das staatliche Tierwohlkennzeichen. Ich habe alle Beteiligten der Wertschöpfungskette mit ins Boot geholt, genau wie Vertreter der Tierärzte und Verbraucherschützer. Ich halte es für einen richtigen Ansatz, solche Wege miteinander zu gehen, statt sich gegeneinander zu profilieren. Mein Ziel ist, den Verbrauchern mit dem Kennzeichen eine klare Orientierung zu geben, in welchen Produkten ein Mehr an Tierwohl drinsteckt, das über den gesetzlichen Standard hinausgeht.
Tier- und Verbraucherschützer fordern ein ambitioniertes staatliches Tierwohllabel nicht nur für Schweine. Worauf warten Sie?
Das staatliche Tierwohlkennzeichen habe ich mit meinem Ministerium doch längst auf den Weg gebracht - wir kommen gut voran. Wenn der Staat ein offizielles Siegel verleiht, dann muss das auch gewissen Ansprüchen genügen. Einem staatlichen Label mit überprüfbaren, anspruchsvollen Kriterien, die über den gesetzlichen Mindeststandard bei der Tierhaltung hinausgehen, können die Verbraucher vertrauen. Wir wollen nicht schon das Einhalten der Gesetze mit einem besonderen Kennzeichen versehen, wie das Haltungskennzeichen tun, das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir wollen kennzeichnen, was darüber hinausgeht.
Diese Woche habe ich die so genannte Notifizierung des Gesetzentwurfes zur Einführung und Verwendung eines dreistufigen Tierwohlkennzeichens eingeleitet. Das ist der Rahmen für das Tierwohlkennzeichen und auf europäischer Ebene notwendig. Parallel arbeiten wir an einer Verordnung, in der unter anderem die konkreten Anforderungen und Kriterien für die einzelnen Stufen beschrieben werden. 2020 sollen die ersten gekennzeichneten Produkte im Handel sein.
Die Digitalisierung spielt auch in der Ernährungs- und Landwirtschaft eine immer größere Rolle. Wird der Hof der Zukunft von Robotern autonom betrieben?
Tatsächlich ist das gar nicht mehr so ferne Zukunft: Der digitale Stall von heute hat einen Fütterungs- und Entmistungsroboter, Wiederkau- und Tierortungssensoren. Moderne Höfe setzen auf Präzisionslandwirtschaft, um Pflanzenschutzmittel zu reduzieren, weil Maschinen Nutzpflanze und Schädling unterscheiden können und passgenau Dünger oder Pflanzenschutzmittel auftragen. Diese Entwicklung wird weitergehen, bald werden Roboter auf dem Feld selbstverständlich sein, die Datenübertragung wird direkt von der Ackerfurche in die Cloud, ins Supermarktregal bis auf den Teller des Verbrauchers laufen. Wie die Landwirtschaft von morgen - und auch schon von heute - aussieht, zeigen wir übrigens gerade in der Ausstellungshalle meines Ministeriums auf der Internationalen Grünen Woche. Das Motto: "Und was gibt’s Morgen? Landwirtschaft mit Herz und Drohne".
Das Mobilfunknetz der Zukunft 5G werde nicht an jeder Milchkanne gebraucht, sagt Bundesbildungsministerin Anja Karlizcek (CDU). Droht die deutsche Agrarbranche dann nicht beim Thema Digitalisierung abgehängt zu werden?
Aktuell gibt es zu viele weiße Flecken auf der Landkarte, gerade in ländlichen Regionen. Bei deren Beseitigung wird wichtig sein, im Blick zu haben, dass es nicht nur um den Anschluss jedes Haushalts geht. Wir brauchen schnelles Internet flächendeckend. Insbesondere auch für Landwirte, weil die Milchkanne von gestern heute eben der Melkroboter ist. Telearbeit im Dorfcafé, künstliche Intelligenz auf dem Acker und im Stall müssen selbstverständlich sein. Das geht nicht von heute auf morgen, muss aber das klar formulierte politische Ziel sein.