Wir "geben Vollgas" für Kriegsflüchtlinge
Hunderte werden in der Stadt erwartet. Deshalb bereitet die Stadtverwaltung die ersten Hallen vor.

Von Tim Kegel
Sinsheim. Die Situation erinnert ans Jahr 2015 und die Folgejahre: Ein großer Zustrom von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine wird in Sinsheim erwartet. Zurzeit werden städtische Hallen für die Unterbringung vorbereitet. Die Arbeit in der Stadt läuft auf vollen Touren, auch dank bereitstehender Ehrenamtlicher. Doch vieles ist weiter unklar. Ein Krisenstab des Rathauses, der sich nur mit diesem Thema befasst, wurde gebildet. Die Gruppe kam allein am Donnerstag zwei Mal zusammen.
Die Schindwaldhalle in Steinsfurt – nahe an der Bahnlinie und mit zehn Toiletten und Duschen ausgestattet – war am Vormittag noch leer. 75 Personen sollen hier auf ungewisse Zeit unterkommen, schildern Karin Blum vom Gebäudemanagement der Stadt und Ortsvorsteher Rüdiger Pyck. Sie zeigen auf einen Plan mit Parzellen, umstellt mit Bauzaun, "für etwas Privatsphäre". Noch sind sie nicht aufgebaut; noch wisse man nicht, wann und wie viele Menschen nach Sinsheim kommen. Bis kommenden Dienstag, sagt Blum, soll die Halle bereit sein. Für diesen Tag sei "ein Bus von der Landeserstaufnahmestelle" angekündigt; bei den Personen handle es sich "überwiegend um Frauen und Kinder".
Eduard Schuch ist auch bereit: Seit Jahren ehrenamtlich im Ort tätig. Schuch und Pyck sagen, dass sie "jederzeit, auch nachts" bereit stehen wollen, falls es Probleme gibt. Schuch hat von Menschenhändler-Banden gehört, die sich andernorts die Not der ukrainischen Frauen zunutze machen. Die Tür der Halle lasse sich "nur von innen öffnen", sagen sie. Ein Sicherheitsdienst soll außerdem kommen.
Unterdessen überschlugen sich schon am Nachmittag die Ereignisse: Behördenkreise rechneten mit der Ankunft mehrerer hundert Personen im Kreis "schon am Wochenende". Neben der Gemeindehalle in Hoffenheim, die ebenfalls vorbereitet werde, brachte Oberbürgermeister Jörg Albrecht nun auch die Halle in Rohrbach sowie die moderne Sporthalle der Carl-Orff-Schule und auch das Gebäude der Siedlerschule, das eigentlich verkauft werden soll, als Notunterkünfte ins Gespräch. "Klar ist, dass wir alles machen, was geht", sagte Albrecht; er sei auf seine "Mitarbeiter besonders stolz". Alle würden "Vollgas geben", die Hilfsbereitschaft sei riesengroß, sagt Blum.
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Die Situation lässt zwangsläufig an die Flüchtlingskrise seit dem Jahr 2015 denken, die sich bis heute auf Sinsheim auswirkt, wenn auch mit Unterschieden: Denn die Messehalle 6, in der damals 1500 und mehr Personen aus dem arabischen Raum und Afrika untergekommen waren, ist inzwischen ein Großlager für Autoteile und nicht nutzbar. Die Hallen in der Breiten Seite, seinerzeit ähnlich genutzt, fungieren als Impfzentrum des Rhein-Neckar-Kreises. Außerdem lagert das Landratsamt dort Bedarf für die Nothilfe und den Katastrophenschutz, wie Feldbetten.
Ein Teil davon wurde nach Beobachtungen am Donnerstagmittag von Einheiten des Technischen Hilfswerks auf Fahrzeuge geladen und abtransportiert, mit nicht näher genanntem Zielort, angeblich zum Aufbau eines Flüchtlingscamps in Weinheim. Gut informierte Kreise gehen aber davon aus, dass an den Hallen in der Breiten Seite zur Unterbringung mittelfristig nichts vorbei führt. Denn im Rathaus von Sinsheim hieß es zu Beginn der Woche noch, dass die Unterbringungskapazitäten in städtischen Immobilien, auch aufgrund der Anschlussunterbringung der Jahre nach 2015, begrenzt sind. Blum sprach auf Nachfrage davon, dass man auch die Nutzung von Räumen überlegen müsse, welche die Stadt "normalerweise für Obdachlose bereit hält".
Die Zuweisung der Personen übernehme das Regierungspräsidium und damit das Land Baden-Württemberg, sagt Landkreis-Sprecher Ralph Adameit. Eine "seriöse Prognose" über erwartbare Zahlen oder wie viele Menschen der Kreis mit seinen Kommunen aufnehmen kann, sei derzeit nicht möglich: "Eine Kapazitätsgrenze gibt es nicht", sagt Adameit, da die Zuweisung aufgrund des Flüchtlingsaufnahmegesetzes erfolge.
Bei deren Unterbringung und Versorgung stehe man im "engen Austausch mit der Großen Kreisstadt Sinsheim"; im Personalpool befänden sich unter anderem Hausmeister, Personal der Verwaltung sowie Sozialarbeiter. Von einer Mitarbeit des Roten Kreuzes, wie sie sich im Jahr 2015 und den Folgejahren bewährt hatte, wurde am Donnerstag nicht gesprochen; auch Aktive des DRK in Sinsheim wussten zu diesem Zeitpunkt noch nichts Konkretes über einen bevorstehenden Einsatz. Unter vorgehaltener Hand wurde die Frage in Richtung der übergeordneten Behörden laut, "ob man aus 2015 gelernt hat".
Auch Menschen aus Drittstaaten oder Staatenlose, die in der Ukraine legal lebten, bekommen laut Gesetz in Deutschland Asyl. Ein ähnlicher Umstand war in den Wirren des Jahrs 2015 auch von Nicht-Asylberechtigten ausgenutzt worden. Die Prüfung sei Aufgabe der Ausländerbehörde, sagt Adameit, und würde "anhand von Nachweisen" stattfinden.
Kaum gesprochen wird vom Corona-Virus in Zusammenhang mit Kriegsflüchtlingen. Manche verwundert das, angesichts der erwartbaren Enge der Hallen. Dies umso mehr, weil die Impfquote in der Ukraine bei rund 35 Prozent liegt, noch dazu mit einem hierzulande nicht zugelassenen Vakzin. Und weil in den Hallen und für Vereinsaktivitäten kürzlich noch 2G- oder 3G-Regelungen gegolten hatten. Ein Widerspruch, dem Albrecht pragmatisch begegnet, man müsse jetzt "erst mal helfen". Kreissprecher Adameit sagt, dass "infektionsschutzrechtliche Regelungen selbstverständlich beachtet" würden. Man müsse allerdings bedenken, dass sich bei einer vorläufigen Unterbringung von geflüchteten Menschen in Hallen "auch der Zweck der Hallennutzung ändert".
Auch in der Kreis-Unterkunft für Flüchtlinge im Fohlenweideweg sind nach Informationen der RNZ erste Menschen aus der Ukraine untergebracht. Offiziell bestätigt wird dies nicht. An Standorten von Gemeinschaftsunterkünften, an denen noch Kapazitäten vorhanden sind, werde man Menschen unterbringen, sagt Adameit, ohne Beispiele zu nennen. Es sei auch erforderlich, "Wohnheim-Kapazitäten anzumieten". Man stehe in Kontakt mit jenen Vermietern, mit denen man in der Vergangenheit "gut zusammengearbeitet" habe und prüfe gemeinsam mit den Gemeinden Standorte für Containeranlagen.



