Entsteht ein "siloartiger Wohnklotz" im Idyll?
Die Anwohner der beschaulichen Ringstraße sammeln Unterschriften gegen den Bau eines Mehrfamilienhauses.

Von Tim Kegel
Sinsheim-Steinsfurt. Überall ein ähnliches Lied: In gewachsenen Siedlungen werden Häuser frei. Investoren wittern Chancen, brechen Gebäude ab und ziehen große Blöcke hoch, in einer Art Einheitsbaustil. Grundstücke werden bis auf den letzten Meter genutzt, den das Gesetz hergibt. Nachbarn erleben Veränderung, fürchten um gewohnte Privilegien. Das sorgt für Konflikte. Wie zurzeit in der Steinsfurter Ringstraße.
Auch dort haben sich Nachbarn formiert und Einspruch erhoben; Anwälte eingeschaltet, Unterschriften im Viertel gegen das geplante Objekt gesammelt. Gerade stehen die Familien Reimund, Sifer und Deusch vor einem abgeholzten Gartengrundstück, auf dessen vorderem Teil noch ein ehemals schmuckes Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert mit Sandsteinfundament und Alkoven-Holzaufbau steht, "ein Schwarzwaldhäusle", wie Nachbar Ingbert Reimund es nennt. Nachdem der Garten gerodet wurde, soll auch das Häuschen bald fallen. Das Grundstück hat dann insgesamt rund 800 Quadratmeter freie Fläche. Die Anwohner blicken in die Höhe: "Zwölf Meter", sagen sie, und Verbitterung klingt mit. So hoch soll das künftige Gebäude werden, auf 25 Metern Länge, mit acht Wohnungen und zwölf Stellplätzen. Als alles begann, sei man noch von zwei kleineren Mehrfamilienhäusern ausgegangen, schildert Reimund. "Und das wäre in Ordnung gewesen, das hätte gepasst."
Tatsächlich wirkt die Situation auf dem Abschnitt der Ringstraße kompliziert. Die Ein- und Zweifamilienhäuser aus den 1950er- und 1960er-Jahren mit ihren Satteldächern liegen am Hang, was zur Folge hat, dass die Zufahrt über eine schmale Straße durch das Gebiet steil und rechtwinklig erfolgt. Nicht minder steil sind die Garagenzufahrten der Häuser gegenüber dem geplanten Bauprojekt angelegt.
Der "siloartige Wohnklotz", wie Reimunds Rechtsanwalt Walter Zelmansky das geplante Gebäude mit drittem Vollgeschoss und flachem Pultdach beschreibt, passe nicht in die während der 1950er- und 1960er-Jahre gewachsene, beschauliche Wohnsiedlung der Ringstraße, die von Ein- und Zweifamilienhäusern mit Satteldächern und kleinen Gärten geprägt ist. Die durch diesen Bestand definierten, "natürlichen Parameter" würden "in jeder Hinsicht gesprengt". Die zwölf geplanten Stellplätze – an einem Eckgrundstück, kurz nach der 90-Grad-Kurve in der schmalen Straße – ließen mit "einem belastenden Verkehrsaufkommen" rechnen. Ganz ähnlich liest sich auch das Schreiben ans städtische Baurechtsamt von Rechtsanwalt Michael Weimer, der eine weitere Nachbarpartei vertritt: Die Nutzung "eines dritten Geschosses als Vollgeschoss" komme im Viertel mit "ausschließlich Satteldächern" nicht vor. Die gerügte Höhe des geplanten Gebäudes sei auch deshalb "besonders belastend", weil diese durchgängig sei, während umstehende Gebäude ähnliche Höhen "nur ausnahmsweise und nur mit dem First" erreichten. Und würde über das Gebiet der Ringstraße, für das es keinen Bebauungsplan gibt, ein solcher fiktiv zugrunde gelegt, würden dessen dann zulässige Kenngrößen nach Sicht des Anwalts "bei weitem" übertroffen.
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Mehr als 30 Unterschriften von Anwohnern aus dem Viertel gegen das Vorhaben haben die Nachbarn gesammelt, was zwar juristisch kaum relevant sein dürfte, jedoch der Forderung nach einer weniger wuchtigen Lösung Nachdruck verleihen soll. Neben den Dimensionen der Bebauung sprechen die Anwohner von steigendem Verkehrsaufkommen, Verlust der Lebensqualität und dem Wertverlust der Immobiliengrundstücke.
Krankenwagen, Lieferanten und Müllfahrzeuge könnten künftig schlechter in die Straße einfahren, moniert auch Nachbar Helmut Deusch in einem Schreiben, das ans Baurechtsamt und den Steinsfurter Ortschaftsrat ging. Einzelne Nachbarn des geplanten Hauses könnten künftig nicht mehr vor ihren Häusern parken, "was seit 1956 uneingeschränkt möglich" gewesen sei. Wie Reimund denkt auch Deusch, dass das Baugrundstück "maximal drei Wohneinheiten und fünf Stellplätze" vertragen würde. Das Argument, es werde Wohnraum benötigt, sei ein kritisches Nachfragen wert, glaubt Reimund: "Wer hier herzieht, ist ja nicht automatisch vorher auf der Bahnhofstraße gesessen", sagt er. "Der hatte ja bereits eine Wohnung."
400 Bauanträge in allen Bereichen hat Sebastian Falke, Leiter der städtischen Flächenentwicklung, jährlich auf dem Tisch. "Verstehen" kann er bei Streitfragen oft beide Seiten; er sagt aber auch, dass seine Behörde "genehmigen muss, wenn alle Vorschriften eingehalten werden". Beim Blick aufs Luftbild des Viertels Ringstraße sieht Falke "manche in der Kubatur ähnliche Bauten".
Die Zahl der Stellplätze am geplanten Haus liege "oberhalb dessen", was sein Amt fordern könne. Schlussendlich werde der Sachverhalt "vollumfänglich geprüft", ebenso "die Verkehrssituation" – und auch die von den Nachbarn formulierten Einwände. Sollte eine Genehmigung erteilt werden, könne Angrenzerwiderspruch beim Regierungspräsidium eingelegt und zuletzt auch beim Verwaltungsgericht geklagt werden. "Dazu sind Rechtswege da."