Plus Holocaust-Gedenktag

KZ-Häftlinge waren auch in Heilbronn sichtbar

Gedenken zum 27. Januar auch am Mahnmal beim KZ-Friedhof Neckargartach. Es trug den Tarnnamen "Steinbock".

27.01.2023 UPDATE: 27.01.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 3 Sekunden
Im Heilbronner Stadtteil Neckargartach und im Bad Friedrichshaller Stadtteil Plattenwald (Foto) erinnert je eine Gedenkstätte an die Häftlinge, die in den beiden KZ-Außenlagern mit den Tarnnamen „Steinbock“ und „Eisbär“ ums Leben kamen. Archivfoto: Armin Guzy

Von B. Fritz-Kador und A. Guzy

Neckargartach. Die Vorstellung, dass es KZs "nur" in Auschwitz, Buchenwald oder Sachsenhausen gegeben habe, ist für Heilbronn und die Nachbarkommunen reine Selbsttäuschung. An diesem Freitag, 27. Januar, dem nationalen Gedenktag für die Opfer des Holocausts und der Nazidiktatur, findet auch hier um 16 Uhr eine Veranstaltung zu deren Gedenken statt, aus nahe liegenden Gründen und auf nahe liegendem Grund dort, wo sich der KZ-Friedhof Neckargartach befunden hatte und heute noch ein Gedenkstein steht.

Vom KZ, das auch als "Lager Steinbock" bezeichnet wurde, ist längst nichts mehr zu sehen. Es war vom Spätsommer 1944 bis Anfang April 1945 am Ortsende des Heilbronner Stadtteils Neckargartach in Betrieb, als ein "Ableger" der gleichen Einrichtungen im nahe gelegenen Kochendorf bei Bad Friedrichshall. Beide KZs waren Außenlager des großen Lagers in Natzweiler-Struthof.

Die ersten 200 Häftlinge waren am 4. September 1944 in Neckargartach angekommen, später folgten weitere Transporte, auch dem Verlauf der einbrechenden Frontlinien entsprechend. Im Winter waren es dann bereits mehr als 1000 Häftlinge. Die Standortwahl ergibt Sinn, auch im Hinblick auf das zynische Motto "Vernichtung durch Arbeit". Arbeitsplätze der Häftlinge waren das Salzbergwerk, in dem sich unter anderem ein Untertage-Rüstungsbetrieb der IG Farben und ein Lebensmittellager von Tengelmann befanden. Auch andere Unternehmen konnten sich der Arbeitskräfte "bedienen". In großer Zahl wurden die Häftlinge vor aller Augen eingesetzt, um die mehr als 6000 Toten nach der Bombardierung Heilbronns am 4. Dezember zu bergen.

Die Arbeitsbedingungen waren so, dass auch sie bald zu den Toten gehören konnten: Juden, Polen, Italiener, Russen, Jugoslawen, Franzosen, Lothringer und Deutsche waren in den 19 Baracken des KZs Neckargartach inhaftiert – abgeschirmt durch einen hohen Bretterzaun, der mit Stacheldraht und vier Wachtürmen gesichert war.

Auch interessant
Nationalsozialismus: Holocaust-Gedenktag im Zeichen von queeren Opfern
Antisemitismusforscherin: Die große Kluft zwischen Gedenken und Alltagsrassismus
Neckar-Odenwald-Kreis: Einladung zur Spurensuche vor Ort
Aus Hinterzimmern an die Macht: Als Hitler und von Papen das Ende der Weimarer Republik einläuteten

Kurz vor der Kapitulation räumte die SS das Lager. Die noch Lebenden wurden nach Hessenthal bei Schwäbisch Hall geschickt und von dort weiter nach Dachau, was als "Hessenthaler Todesmarsch" bekannt wurde, oder in Güterwaggons dorthin verbracht. Auch da konnte man vor ihrer Existenz nicht mehr die Augen verschließen.

Nach der Befreiung fanden Neckargartacher Bürger 246 Tote auf dem Gelände. Sie bestatteten sie und errichteten aus Steinen der gesprengten Neckarbrücke ein Mahnmal und versahen es mit einer Bronzetafel, auf der alle Namen der Toten vermerkt sind. Die US-Besatzung hatte dafür eine Sammelaktion erlaubt, an der sich neben den Neckargartachern auch Unternehmen beteiligten, die zuvor Häftlinge beschäftigt hatten. Einige KZ-Opfer sind laut Stadtverwaltung auch auf dem Heilbronner Hauptfriedhof und dem Friedhof in Sontheim beigesetzt worden.

Die Inschriften auf dem Mahnmal in Neckargartach sind sowohl auf Deutsch ("Sie starben kurz vor ihrer Befreiung") gehalten, als auch in russischer Sprache ("Den zu Tode gequälten unter dem faschistischen Joch"). Der Friedhof liegt nahe einer Kleingartenanlage und ist verschlossen, der Schlüssel ist bei der Friedhofsverwaltung erhältlich. Illegale Müllentsorgungen dort hatten immer wieder für Ärger gesorgt.

In Bad Friedrichshall gedenkt man der Opfer des KZs Kochendorf, das den Tarnnamen "Eisbär" trug, an diesem Freitag mit Trauerbeflaggung an öffentlichen Gebäuden. Eine Kranzniederlegung in der Gedenkstätte im Stadtteil Plattenwald, wie es sie bereits wiederholt gab, ist in diesem Jahr laut Auskunft der Stadtverwaltung nicht geplant. Die Gedenkstätte liegt am Rande des Amorbacher Wohngebiets "Am Reichertsberg", jedoch noch auf Bad Friedrichshaller Gemarkung.

Info: Ausführliche Informationen und viele Bilder finden sich im Internet unter alemannia-judaica.de/neckargartach_kz_friedhof.htm

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.